Der Isolationismus prägt die amerikanische Außenpolitik

Amerika will nicht mehr

Die erratische Syrien-Politik Barack ­Obamas wird von einem isolationistischen Konsens der Bevölkerungsmehrheit der USA ge­tragen.

»Die jahrelange Bombardierungskampagne gegen syrisches Territorium ist eine Verletzung der Souveränität dieses Landes und nach internationalem Recht illegal. (…) Die Neocons, die die US-Außenpolitik bestimmen, sind so entschlossen, ihren regime change in Syrien herbeizuführen, dass sie (…) sogar einen großen Krieg in der Region – und sogar darüber hinaus – riskieren. (…) Es ist an der Zeit, dass das amerikanische Volk sich erhebt.«
Auch in den USA ist es kaum noch möglich, Friedensbewegung und Rechtspopulismus auseinanderzuhalten. Der Text stammt von Ron Paul, einem rechtslibertären ehemaligen Kongressabgeordneten, veröffentlicht wurde er auch bei Antiwar.com. Die rechten Kriegsgegner könnten sogar ein wenig sympathischer erscheinen, weil sie im Gegensatz etwa zu Answer und Code Pink in der Regel auf antiisraelische Hetze verzichten, wären unter ihnen nicht Geschichtsrevisionisten wie Paul Craig Roberts (»Großbritannien und Frankreich begannen den Zweiten Weltkrieg, als sie Deutschland den Krieg erklärten«) und Rassisten wie William S. Lind (»Invasion durch Immigration ist gefährlicher als die Invasion durch eine ausländische Armee«).
Die Mehrheit der US-Bevölkerung teilt zwar nicht alle Ansichten dieser isolationistischen Querfront, stimmt aber Ron Pauls Diktum »Das ist nicht unser Krieg« zu. Unter Linken wie Rechten ist die Ansicht verbreitet, man müsse sich zuerst um die Probleme im eigenen Land kümmern – möge der Rest der Welt selbst sehen, wie er zurechtkommt. Dass die Amerikaner es aus der Sicht ihrer Kritiker immer falsch machen, ob sie nun intervenieren oder nicht (»You’re damned if you do, you’re damned if you don’t«), hat zu dieser Haltung beigetragen. 6 717 US-Soldaten starben in den Kriegen im Irak und in Afghanistan, mehr als 50 000 wurden verwundet und etwa eine halbe Million Veteranen leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen psychischen Langzeitfolgen.

Wofür? Diese Frage können Politiker beider Parteien nicht beantworten. Die Kriege in Afghanistan und im Irak sind schlecht gelaufen, die Gründe dafür werden vom politischen Establishment nicht ernsthaft diskutiert. George W. Bushs Demokratisierungsrhetorik gilt fast allen Repu­blikanern nunmehr als idealistisches Abenteurertum, ihre Kritik an Präsident Barack Obama beschränkt sich auf den rituellen Vorwurf, er vertrete amerikanische Interessen nicht energisch genug. »Was ist die Strategie?« fragt Marco Rubio nicht zu Unrecht. »Es sollte eine wirkliche Strategie geben, um Assad zu entfernen«, wünscht sich auch Jeb Bush. Doch sie und andere republikanische Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur bleiben schweigsam, wenn es darum geht, was ihre Strategie wäre.
Obama wurde vor allem wegen seines innenpolitischen Programms gewählt, aber auch, um Bushs Kriege zu beenden – worunter seine Wählerinnen und Wähler den Rückzug der US-Truppen verstanden, nicht die Lösung der Konflikte. Die teuren und verlustreichen Kampfeinsätze zu ersetzen durch Drohnenbombardements und die Unterstützung lokaler und regionaler Verbündeter, war innenpolitisch eine kluge Entscheidung. Die Kriege und Interventionen verschwanden weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung, wurden eben dadurch aber zu einem akzeptierten Dauerzustand – bis der »Islamische Staat« (IS) unübersehbar klarstellte, dass diese Strategie nicht funktioniert.
Der Wiederaufbau der irakischen Armee ist nach dem Desaster von Mossul, als die an Zahl und Feuerkraft weit überlegenen Soldaten flohen und dem IS ihr Kriegsgerät überließen, nicht vorangekommen. Man behilft sich mit schiitischen Milizen, die an Brutalität dem IS kaum nachstehen. Die von den USA nicht wirklich geführte informelle Koalition vereint alle, die tatsächlich oder vorgeblich den IS bekämpfen, mögen sie auch untereinander verfeindet sein wie der Iran und Saudi-Arabien oder die Türkei und die YPG. Das Ergebnis der widersprüchlichen Interventionsziele ist ein chaotischer Vielfrontenkrieg, an dem sich nun auch Russland beteiligt.
»Are we winning?« ist die in den USA oft gestellte Frage. Um sie beantworten zu können, müsste zunächst geklärt werden, worin ein Sieg bestünde. Der IS soll geschlagen werden – wie aber steht es um die anderen jihadistischen Gruppen? Assad soll entmachtet werden – was aber soll aus dem Machtapparat der ba’athistischen Bürokraten und Offiziere werden? Wie soll eine Entkonfessionalisierung des Konflikts gelingen, wenn die Schutzmächte beider Seiten eifrig den Hass schüren und die Fanatiker mit Waffen beliefern? Und glaubt man ernsthaft, eine formale Machtteilung, also eine Koalitionsregierung Assads oder eines Nachfolgers mit al-Qaida nahe­stehenden Gruppen und vielleicht einem kurdischen Minister für Jugend und Sport könne eine Lösung sein?
Die US-Regierung hat derzeit vor allem das Ziel, im Spiel zu bleiben. Der Abwurf von 50 Tonnen Kriegsmaterial nahe der türkischen Grenze war nicht nur Unterstützung für die YPG, sondern auch, wenn nicht vor allem, eine Botschaft an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, nicht allzu übermütig zu werden. Dem gleichen Zweck dient die Ankündigung von Verteidigungsminister Ashton Carter, es würden nun doch Bodentruppen eingesetzt, nur in geringer Zahl und nicht an der Front, aber wohl auch an der Seite der syrisch-kurdischen Milizen, die Erdoğan mit dem IS gleichsetzt. Diese Ankündigung ist auch eine Warnung an Russland und soll allgemein deutlich machen, dass die USA sich nicht verdrängen lassen.

Mehr aber wohl nicht. Die säkularen Kräfte bedürften weit größerer Unterstützung, um siegen zu können. Vor allem aber bedürfte es eines Plans, einer politischen Grundlage für das nation building. Der Krieg ist schließlich kein Missverständnis, das mit einer Dialogrunde zu beheben wäre. Man kann versuchen, den Konflikt durch eine faktische Teilung Syriens einzuhegen, die jeweiligen Herrschaftsgebiete also anzuerkennen und die Kriegsparteien durch Bestechung, Drohungen oder Gewalt zu zwingen, die Grenzen zu respektieren. Dies würde aber nicht nur Millionen von Menschen einer Terrorherrschaft unterstellen, es könnte angesichts der aggressiven Machtpolitik der Regionalmächte und der apokalyptisch-expansionistischen Strategie des IS auch keine dauerhafte Lösung sein. Die entscheidende Frage ist daher, ob man es nicht doch mit Demokratisierung versuchen sollte. Einfach wäre das nicht, denn die demokratischen Kräfte sind geschwächt und das Verhältnis zwischen säkularen arabischen und kurdischen Milizen in Syrien ist nicht unproblematisch. Überdies bedürfte es einer Führungsmacht, hier wären die USA the indispensable nation. Doch die sogenannte Realpolitik ist offenkundig gescheitert, ein demokratischer Föderalismus (Jungle World 14/2015) ist die einzige Chance zu verhindern, dass der Krieg zum Dauerzustand wird wie in Afghanistan (seit 1979) und Somalia (seit 1991).
Es wäre ein Kampf für politische Prinzipien. Er würde sich langfristig durch die Verminderung der Terrorgefahr auszahlen, die Obamas Drohnenkrieg konserviert. Wie die iberischen Staaten den schon fast vergessenen Klerikalfaschismus könnten auch die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens Islamismus und Diktatur in wenigen Jahrzehnten überwinden. Das wäre auch gut fürs Geschäft. Doch unmittelbare wirtschaftliche Interessen gibt es für die USA, die mittlerweile fast energieunabhängig sind, derzeit nicht durchzusetzen.
Obamas Isolationismus ist demokratisch legitimiert, der Wirtschaftsliberalismus, der die Außenpolitik zum Mittel des ökonomischen Konkurrenzkampfes unter einem Freihandelsregime macht, prägt auch die Ansichten der Bevölkerung. Kriege, aber auch demokratische Aufstände, werden als lästige Störung der Geschäftstätigkeit wahrgenommen. Diese Haltung hat wohl die ehemalige republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin am besten zusammen­gefasst: In einer Region, wo »beide Seiten einander abschlachten (…), sage ich: Allah wird die Seinen erkennen«.