Die schweigende Lady

Nach ihrem ersten Wahlsieg 25 vor Jahren hat die Partei von Aung San Suu Kyi, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), in Myanmar erneut eine Wahl gewonnen. Im Jahr 1990 wurde der Wahlsieg der NLD von der Militärjunta nicht anerkannt. Die Generäle regierten weiter. Suu Kyi lebte insgesamt fast 15 Jahre unter Hausarrest, blieb aber die mit Abstand bedeutendste Oppositionspolitikerin des Landes, erfuhr auch im Ausland große Anerkennung und erhielt den Friedensnobelpreis. Nach Massenprotesten im Jahr 2007 leitete das Militär 2011 einen Reformprozess ein, am Sonntag wurde endlich gewählt. Die NLD erreichte die Mehrheit der Stimmen, dies räumten auch Repräsentanten des Regimes ein. Suu Kyi, die auch The Lady genannt wird, darf nach den Bestimmungen der Verfassung nicht Präsidentin werden, da ihr verstorbener Ehemann sowie zwei ihrer Kinder Ausländer sind. Sie hat jedoch angekündigt, dass sie das Land führen könne, ohne das höchste Staatsamt zu übernehmen. Unklar war bei Redaktionsschluss noch, ob die Mehrheit der NLD für eine Regierungsbildung ausreicht. Denn 25 Prozent der Sitze im Parlament sowie einige Schlüsselministerien verbleiben unter der Kontrolle des Militärs.

Dessen Macht ist nicht das einzige Hindernis bei der Demokratisierung. Die 1,3 Millionen Angehörigen der muslimischen Minderheit der Rohingya werden weiterhin diskriminiert und verfolgt. Sie gelten nicht als Staatsbürger und dürfen daher weder wählen noch gewählt werden. Die jahrhundertelange Verfolgung der Rohingya hat sich seit den organisierten Massakern von 2012 noch verschlimmert, angespornt durch die Hetze der buddhistisch-nationalistischen Organisation Ma Ba Tha (Vereinigung für den Schutz von Rasse und Religion). Der Forscher Daniel Feierstein spricht von einer »systematischen Schwächung« der Rohingya, ihnen drohe ein Genozid. Bislang hat Suu Kyi das Tabuwort »Rohingya« – die offizielle Bezeichung ist »Bengali« – nur einmal öffentlich ausgesprochen. Als sie nach den Massakern von 2012 Indien besuchte, sagte sie, dass sie sich nicht auf die Seite der Rohingya stelle. Zwar strebe sie die Versöhnung zwischen Buddhisten und Muslimen an, an der Gewalt trügen aber beide Seiten gleichermaßen die Schuld. Die NLD stellte für die Wahl keine muslimischen Kandidaten auf. Wohl aus Rücksicht auf religiöse und nationalistische Ressentiments wollen Suu Kyi und die NLD sich nicht für die Rechte der Rohingya einsetzen.