Die Reaktion im Internet auf die Anschläge von Paris

Pixelfahne auf Halbmast

Nach den Anschlägen in Paris bekundeten Ebay, Amazon, Google und Co. ihr Mitgefühl als Corporate Identity.roger behrens

Blau, weiß, rot: Buchstäblich wurden Zeichen gesetzt, die sozialen Medien zeigten Flagge – Facebook, Twitter, Youtube, Reddit, auch viele Nachrichten-, Kultur- und schließlich sogar Onlinefinanz-Portale demonstrierten Trauer um die Opfer, Wut und Verachtung nach den Terroranschlägen in Paris. Auch die übrigen Medien signalisierten Solidarität – »Liberté. Égalité. Fraternité« steht unter dem mit der Trikolore garnierten Logo des Privatsenders Tele 5, der eh schon seit einigen Wochen sein Programm mit politischen Meinungsbekundungen versieht. Unter dem Slogan »Fremdenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit« präsentieren sich Moderatorinnen und Moderatoren als sogenannte Toleristen und beschimpfen Nazis mit erfrischender Einfachheit als Scheiße.
Indes: Die (netz-)mediale Reaktion auf die Terroranschläge von Paris hat sich seit den Anschlägen des 11. September 2001 zu einem mittlerweile eingeübten Muster verselbständigt. Dem Schock folgt das Schweigen, der Zeichenordnung des kollektiven Mitgefühls folgt die Bilderverweigerung. Google ersetzte am Tag nach den Anschlägen das übliche »Vor 100 Jahren wurde XY geboren/erfunden«-Banner durch eine schlichte schwarze Schleife auf der Startseite, ließ an den nachfolgenden Tagen dann die Seite ohne Banner. Nur über den »Auf gut Glück!«-Button konnten die Jubiläums-Themen-Links abgerufen werden (für den 14. November wäre das gewesen: der »India’s Children’s Day«, mit Malwettbewerb, den – » … And the winner is … Drumrolls! … « – »9-year-old P. Karthik from Sri Prakash Vidyaniketan, Visakhapatnam« gewonnen hat: »Congratulations to the winner and a big shout out to all participants!«).
Dass sich in dieser Weise Großkonzerne ins Tagesgeschehen einschalten, mag auf den ersten Blick als nichts Ungewöhnliches erscheinen. Warum soll ein Unternehmen wie Facebook, das einige wegen seiner täglich fast 1,5 Milliarden aktiven User für die größte Nation der Erde halten, nicht auch als Nation agieren und mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln digitaler Ikonographie sich an der verordneten Staatstrauer beteiligen und die Pixelfahne auf Halbmast setzen? Sofern die Betriebsideologie solcher Konzerne über dieselben flachen Hierarchien reproduziert wird, mit denen das Management auch ansonsten vorgibt zu operieren, lässt sich das Szenario leicht vergegenwärtigen. Alle haben es in den Nachrichten gehört, laufen irgendwie betroffen und schockiert im Büro auf, einer sagt, »da muss man doch was machen«, eine andere hat die Idee, irgendwas mit Solidarität, Europa, Menschenrechten, Krieg gegen Terror graphisch umzusetzen, einer schlägt einen stilisierten Eiffelturm vor, eine andere sagt »Freiheit!«, einer sagt »Aids-Schleife!«, und alle unisono »Symbol der Hoffnung – Symbol der Solidarität«, und der CEO meint »In schwarz, ja, zack, das nehmen wir!« Und der Praktikant, der das Banner mit dem Kindertag in Indien gebastelt hat, hofft im Stillen noch, dass er seine animierte Grafik bezahlt bekommt, wo sie jetzt ja nicht erscheint – »Mist! Scheiß-Terroristen!«.
Irgendwie ist es ja selbstverständlich, dass apparative Strukturen einer technologischen Rationalität, die als Soziale Medien verbrämt werden, sich eben auch sozial engagieren; und dass solches Engagement sich in einigen wenigen standardisierten Symbolen manifestiert, die stellvertretend markieren, was dieser Tage als Kanon europäischer Werte proklamiert wird, ist ja ebenso selbstverständlich, wenn man zugleich bedenkt, inwieweit das, was hier euphemistisch-naiv als das Soziale bezeichnet wird, bloß nur noch als App, als Programm, als Software beziehungsweise als Interface funktioniert, also mit dem als »Wirklichkeit« verklärten konkreten Leben da draußen ohnehin nichts zu tun hat. In diesem Bogen schließt sich allerdings die Schleife. So wenig die Sozialen Medien sozial sind, so wenig sind sie im strengen Sinne Medien, also Vermittlungsinstanzen der Vergesellschaftung.
Mag es auch so sein, dass mitfühlende, sich an humanitäre Ideale klammernde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Agenturen von Unternehmen wie Google, Facebook, Youtube et cetera Möglichkeiten ausschöpfen, Zeichen zu setzen, und damit die allgemeine Ideologie der Social-Media-Branche bestätigen (nämlich eben »Social Media« zu sein), so sind die faktischen Interessen dieser Unternehmen freilich andere als die, gute Gesinnung zu verbreiten. Wie in jedem, den Gesetzen des kapitalistischen Marktes folgenden Unternehmen geht es auch hier um nichts weiter als Profit. Sich für die Beschönigung des Profitmotivs, gegebenenfalls auch tagesaktuell, ein bisschen Menschlichkeit zumindest symbolisch zu leisten, ist dann nicht mehr als lediglich eine auf den auch politisch sich aufgeklärt dünkenden Konsumenten ausgedehnte Reklamestrategie. Welcher Zynismus dahinter steckt, zeigt sich dann besonderes drastisch, wenn auch nicht exzeptionell, bei Firmen wie etwa Amazon, die Tariflohn und Arbeitsrecht verhöhnen, aber mit glücklich lächelnden Kindern für die Kunden annoncieren, »Flüchtlingshilfe: So können Sie spenden« – gefolgt von »Mit Pampers & Unicef spenden«.
Und entscheidend schließlich: Gleich wie sympathisch man wenigstens die symbolischen Solidaritätsbekundungen für Demokratie und Menschenwürde dieser Social-Media-Großkonzerne halten mag – der Definition zufolge stehen solche, nach Maßgabe des Kapitals eingerichteten Strukturen selbst jenseits von Demokratie und Menschenwürde. Politisch kommt beimm Solidarität bekundenden Zeichensetzen gegen den Terror allein eine ­institutionalisierte, das heißt ökonomisch installierte Scheinöffentlichkeit zum Ausdruck. Drastisch gesagt: Wenn Terroristen die Errungenschaften einer Freiheit wegbomben, über deren Gehalt und Bedeutung sich eine Gesellschaft nur noch informationstechnologisch auf der Ebene von Werbeetiketten verständigt, ist es mit diesen Errungenschaften nicht weit her. Bestenfalls kompensiert die digitale Ökonomie des Zeichensetzens die reale Ökonomie der Angst.
Die Solidaritätsbekundungen in Form von Fähnchen, Schleifen und Parolen sind insofern bloß Teil der sich fortschreibenden Ästhetisierung der Politik, die jede Handlungsfähigkeit, ja jede effektive Möglichkeit sinnlich-praktischer Erfahrung auf Pseudoaktivität verkürzt. Es sind die mächtigen Wirtschaftsbranchen, die mit ihren Symbolen Meinungen ­reklamieren, auf die die Ohnmächtigen einschnappen, ohne dass die Ohnmacht überwunden wird.
Da ist es zum Schluss nur eine ergänzende Anekdote, wenn man kurz noch einmal daran erinnert, dass sich gerade erst vor ein paar Wochen um die ikonographische Politik von Facebook eine Debatte entzündete, nachdem diese Firma (deren ursprüngliche Geschäftsidee es ja im Übrigen war, Studenten die Möglichkeit zu geben, Studentinnen nach Attraktivität sexistisch zu klassifizieren) Abbildungen nackter Brüste gesperrt hatte, während weiterhin jeder noch so rassistische Post, vom üblichen xenophoben Ressentiment bis zur offenen Morddrohung, durchs soziale Weltnetz geschickt werden darf.