Ein Jahr Untersuchungsausschuss zum NSU in Nordrhein-Westfalen

Viel Leerlauf, null Empathie

Seit einem Jahr gibt es in Nordrhein-Westfalen einen Untersuchungsausschuss zum »Nationalsozialistischen Untergrund«. Die Rechtsterroristen hatten in dem Bundesland einen Menschen erschossen und zwei Bombenanschläge verübt. Eine Zwischenbilanz zur parlamentarischen Aufklärungsarbeit in Düsseldorf.

Drei Taten hat der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) in Nordrhein-Westfalen verübt. Zweimal hat er in Köln zugeschlagen, einmal in Dortmund. Am 19. Januar 2001 explodierte in ­einem von Menschen iranischer Herkunft betriebenen Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse eine in einer Christstollendose versteckte Bombe. Die Tochter des Ladeninhabers wurde bei der Explosion schwer verletzt.
Auch der zweite Anschlag fand in Köln statt. Am 9. Juni 2004 detonierte eine Bombe in der Keupstraße, in der vor allem türkische Migranten wohnen und Geschäfte betreiben. Bei diesem Attentat wurden über 20 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Außerdem richtete der Sprengsatz erheblichen Sachschaden in den Geschäften der Keupstraße an. Die dritte Tat ereignete sich in Dortmund: Mehmet Kubaşık wurde in seinem Kiosk in der Nordstadt erschossen. Mit diesem Mord beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags seit einigen Tagen.
Der Einsetzung des Untersuchungsausschusses ging ein halbjähriges Hin und Her voraus. Birgit Rydlewski, Abgeordnete der Piratenpartei, und ihre Fraktion forderten im Sommer 2014 die Einsetzung eines solchen Ausschusses, dem schloss sich überraschend schnell die CDU an. Die anderen Fraktionen – SPD, Grüne und FDP – hielten sich zunächst zurück. Erst nach viel Überzeugungsarbeit im Hintergrund beschlossen schließlich im November 2014 alle im Landtag vertretenen Parteien gemeinsam die Einsetzung des Ausschusses. Im Januar 2015 nahm dieser seine ­Arbeit auf. In den ersten Monaten hörten die Parlamentarier ausschließlich Experten an. Die Ab­geordneten informierten sich über den Aufbau und die Struktur der Sicherheits- und Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen und hörten Vorträge zur Geschichte und Zusammensetzung der extremen Rechten im bevölkerungsreichsten Bundesland. Diese Anhörungen dienten vor allem dazu, allen Abgeordneten einen gemeinsamen Wissensstand zu vermitteln. Sie nahmen aber auch vier Monate ein, in denen der Untersuchungsausschuss nicht in die Details der beiden Anschläge und des Mordes eindringen konnte.

Im März 2015 sorgte der Untersuchungsausschuss bundesweit für Schlagzeilen. Nicht etwa, weil er etwas herausgefunden hatte – man hörte ja noch Vorträge –, sondern weil seine Vorsitzende, die Dortmunder SPD-Abgeordnete Nadja Lüders, in die Kritik geriet. Die Rechtsanwältin hatte dem Parlament verschwiegen, dass sie einen Neonazi vertreten hatte. Und zwar nicht irgendeinen, sondern Michael Berger, der im Sommer des Jahres 2000 drei Polizisten und anschließend sich selbst erschossen hat. Das Mandat stammt zwar aus dem Jahr 1999 und bezog sich nicht auf Verfahren mit politischem Hintergrund. Trotzdem war Lüders nicht mehr als Vorsitzende des Ausschusses zu halten. Denn auch der Fall des Dortmunder Polizistenmörders sollte untersucht werden und dabei wäre die Sozialdemokratin möglicherweise befangen gewesen. Ende März trat sie von ihrem Posten zurück.
Bis August passierte im Untersuchungsausschuss dann erstmal gar nichts. Dem Landtag fehlte es an Räumlichkeiten, in denen die Geheimdokumente der Sicherheitsbehörden von den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern gelesen werden konnten. Diese Räume mussten angemietet werden, ehe Parlamentarier die Akten sichten konnten. Ab Mitte August wurden in Düsseldorf erstmals Zeugen zu den Anschlägen in Köln befragt.

Diese Befragungen bestätigten das Bild, das sich auch in anderen Untersuchungsausschüssen zum NSU-Komplex ergab. Polizisten und Staatsanwälte wollen oder können sich nicht mehr ­genau an ihre Arbeit erinnern. Sie sprechen von »Routinevorgängen« und sagen, dass sie »aus heutiger Sicht« anders hätten agieren sollen.
Für einen Tiefpunkt in den ersten Zeugenvernehmungen sorgte die BKA-Beamtin Annika V. Sie sollte in einer Ermittlungsgruppe des Bundeskriminalamtes der Spur des Kölner Neonazis und V-Manns des Verfassungsschutzes Johannes H. nachgehen. Nach Recherchen von Kölner ­Antifa-Gruppen passte das Phantombild, das nach dem Anschlag in der Probsteigasse erstellt worden war, erstaunlich gut zum Aussehen von Johannes H. Die Beamtin sollte ein Opfer noch einmal befragen und ihm Bilder vorlegen. Davon berichtete sie im Ausschuss – allerdings nur sehr lückenhaft und mit suchenden Blicken zu ihrem Vorgesetzten, der grinsend in einer Ecke des Saals saß. Die Abgeordneten brachen die Vernehmung ab. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben. Bedienstete der Sicherheitsbehörden waren auch in den nichtöffentlichen Sitzungen des Ausschusses nicht auskunftsfreudiger. Im Oktober führte das sogar dazu, dass der Ausschuss eine Mitteilung herausgab, in der er einhellig seine »massive Verärgerung über die beschränkte Aussagegenehmigung des Bundesamtes für Verfassungsschutz« bei einem Zeugen äußerte. Der geladene Geheimdienstmann wollte nichts zu einem Dossier aus dem Jahr 2004 sagen, in dem das Bundesamt Hinweise über einen neonazistischen Hintergrund des Anschlags in der Keupstraße zusammengetragen hatte.

Mittlerweile ist der Ausschuss beim NSU-Mord in Dortmund angelangt. In der vergangenen Woche wurden die Hinterbliebenen von Mehmet Kubaşık angehört, seine Frau Elif und die Tochter Gamze. Beide schilderten eindrücklich, wie mit dem Mord eine Welt für sie zusammengebrochen sei und wie die Polizei ihr Leid noch vergrößert habe. In der Nachbarschaft seien Beamte herumgegangen, hätten Fotos von Mehmet Kubaşık ­gezeigt und gefragt, ob er Drogen verkauft habe. Dieser Makel haftete über Jahre an der Familie. Das zuvor intakte soziale Umfeld sei zerstört worden, schilderte Gamze Kubaşık. Bekannte und Mitschüler hätten den Kontakt gemieden. Die Familie sei »schlecht« und habe etwas mit der ­Mafia zu tun.
In der ersten Befragung eines Dortmunder Staatsanwalts und einer Polizistin fragten die Parlamentarier gezielt nach diesen Vorwürfen. Von den Beamten war nicht viel Reue zu vernehmen. Man habe normal ermittelt, und da seien solche Fragen an der Tagesordnung. Beschwerden der Familie habe man nicht erhalten. Die Beamten schilderten den Fall Kubaşık als normale »Todesfallermittlung«, davon habe man einige im Jahr, deswegen sei eine besondere Empathie nicht zu leisten.
In den kommenden Monaten wird es im Untersuchungsausschuss weiter um den NSU-Mord in Dortmund gehen. Auch die militante rechtsextreme Szene und Bestrebungen im Umfeld der Band »Oidoxie«, eine »Combat 18«-Zelle aufzubauen, werden thematisiert. Bei den Sicherheitsbehörden ist aber weiterhin nur mit lückenhaften Aussagen zu rechnen. Der Ausschuss hat noch ein gutes Jahr Zeit, seinen Beitrag zur Aufklärung zu leisten. Wahrscheinlich wird das Ergebnis ähnlich dürftig ausfallen wie beim Ausschuss in Baden-Württemberg, der kürzlich seine Ergebnisse vorgelegt hat. Bei den Ermittlungen hat es Pannen gegeben, das ist schlecht, aber echte Erkenntnisse über Verstrickungen von Sicherheitsbehörden in das Treiben des NSU und die Auswahl der Opfer gibt es nicht – so in etwa lauten die mageren Erkenntnisse des dortigen Ausschusses.