Flüchtlingshelfer auf Lesbos

Nicht nur versorgen

Auf der griechischen Insel Lesbos ankommende Geflüchtete müssen einen dubiosen und chaotischen Registrierungsprozess durchlaufen. Freiwillige versuchen, eine Alternative zur bürokratischen Elendsverwaltung zu schaffen.

Für Flüchtende wird das Durchkommen immer schwieriger. Die Grenzen auf der Balkan-Route werden schwerer zu überwinden (siehe Seite 4), Tausende befinden sich in nun in Flüchtlingslagern und müssen teilweise unter freiem Himmel übernachten. Die neuen Probleme treffen viele Flüchtende unvorbereitet, sie müssen ihre Route ändern oder lange Zeit ohne Aussicht auf ein Weiterkommen ausharren. In der Nähe der Grenzen befinden sich einige Solidaritätskonvois, die Unterstützung auf der Flucht bieten sowie Informationen verbreiten. Andere Aktivistinnen und Aktivisten versuchen an den Landesgrenzen, die Zäune zumindest kurzzeitig zu öffnen, damit mehr Menschen ihre Zielorte erreichen können.
Solche Informationen erreichen selbstverständlich auch die Menschen, die sich gerade entscheiden zu fliehen. Das Mittelmeer müssen nahezu alle überqueren, eine insbesondere in den Wintermonaten gefährliche Überfahrt – am Samstag wurden in der Türkei 39 Ertrunkene geborgen. Die Boote, die nicht kentern, kommen auf griechischen Inseln wie Lesbos an. Dort sind Mitarbeiter etlicher NGOs anwesend, aber seit einigen Wochen auch Aktivistinnen und Aktivisten, um die Flüchtenden zu unterstützen.

Dazu haben sie in der Nähe des Strands ein Gelände besetzt und ein selbst­organisiertes Camp gegründet. Dort soll eine offene, freundliche und solidarische Atmosphäre geschaffen werden. Seit einigen Wochen betreiben die Anwesenden eine Küche und versorgen die in den Booten ankommenden Menschen mit warmem Essen, trockener Kleidung und Informationen über die rechtliche und politische Lage in den Ländern, die sie auf ihrer weiteren Fluchtroute durchqueren müssen. Direkt am Strand in der Nähe des Fährhafens von Mytilini liegt eine der sichersten Landestellen, sie ist frei von Felsen und Klippen. Folglich kommen auch täglich Boote am besetzten Gelände an. Inzwischen ist aus der anfänglichen Kücheneinrichtung ein »No Border Camp« geworden. Die Anzahl der Menschen, die sich dort aufhalten, schwankt, so waren zwei Tage lang 300 Menschen im Camp, an anderen sind es nur 30. Einige verweilen vor ihrer Überfahrt nach Athen nur für eine Nacht im Camp, andere bleiben länger, weil sie noch nicht wissen, wie sie weiterkommen können. Vor allem Menschen aus Nordafrika werden von den Behörden bedrängt, ihnen drohen Inhaftierung und Abschiebung.
Die täglichen Aufgaben und die Unterstützung unterscheiden sich je nach Ort deutlich. »In Lesbos werden andere Dinge gebraucht als beispielsweise in Opatovac, einem vom Militär geführten Registrierungscamp in Kroatien. Uns geht es um die Gespräche mit den Menschen, während wir praktische Hilfe leisten. Dabei versuchen wir, Fragen über die bevorstehende Reise zu beantworten. Außerdem vernetzen wir uns mit anderen Menschen vor Ort und versuchen, Informationen über die Routen und zum Camp transparent zu machen. Dafür veranstalten wir täglich Infomeetings in möglichst vielen Sprachen«, berichtet Anne*.

Für das Camp ist daher eine beachtliche Infrastruktur erforderlich. Neben den Nachtschichten, in denen die Aktivistinnen und Aktivisten das Meer beobachten, Informationen über ankommenden Boote weitergeben oder erhalten und zur Erstversorgung beitragen, werden Zelte mit warmer, frischer Kleidung sowie Decken und andere Dinge des akuten Bedarfs bereitgestellt. Mittlerweile konnten auch Rückzugsräume für Frauen und Kinder eingerichtet werden. Weiterhin wird die Küche betrieben, täglich wird dreimal vegan gekocht. Im Schnitt werden pro Mahlzeit 500 Portionen zubereitet. Die täglichen Plena ermöglichen es außerdem im Camp allen Anwesenden, an der Organisation teilzuhaben, Informationen auszutauschen und Gespräche zu führen.
Die NGOs und das UNHCR hingegen arbeiten mit europäischen sowie den nationalen und lokalen griechischen Behörden zusammen und weisen die Ankommenden den Registrierungslagern zu. Die Zustände dort, auf Lesbos und anderen griechischen Inseln, wurden immer wieder kritisiert: mangelnde Hygiene, heruntergekommene Räumlichkeiten und schlechte Nahrungsversorgung. Überdies werden Geflüchtete offenbar nach Nationalität oder Sprache getrennt. »Sobald die Geflüchteten aus den UNHCR-Bussen aussteigen, bekommen sie eine Nummer in Form eines kleinen Papierzettels zugewiesen. Teilweise gab es auch rote Armbänder mit Nummern«, berichten Delegationsmitglieder des Internationalistischen Zentrums Dresden. »Die zentralen Registrierungsstellen arbeiten offiziell nach der Unterscheidung nach Sprache – ›Arabisch‹ und ›Nicht-Arabisch‹. Das würde, so einige der Freiwillige vor Ort, die Registrierung aus sprachlichen Gründen erleichtern.« Geflüchtete berichteten jedoch von Willkür und dem Ausschluss bestimmter Nationalitäten. Ohne eine Registrierung in Griechenland ist eine Weiterreise in andere europäische Staaten nicht möglich.
Der Prozess ist undurchsichtig, manches mag auf die miserable Organisation der Registrierung oder die Willkür einzelner Polizisten zurückzuführen sein. Doch vermutlich soll durch die Trennung der Geflüchteten die Abschiebung erleichtert und ein Weiterkommen angeblich nicht Asylberechtigter verhindert werden. Die niederländische Regierung propagiert deren Abschiebung in die Türkei, dies wird nach Angaben der Nachrichtenagentur AP auch in der griechischen Regierung diskutiert, die unter starkem Druck der EU steht. Dies wäre ein Verstoß gegen die UN-Flüchtlingskonvention, die aber von vielen europäischen Politikern durch die Debatte über Obergrenzen bereits implizit in Frage gestellt wird; der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen forderte im Dezember ausdrücklich deren Revision.

Zwangsläufig arbeiten NGOs einer solchen Politik zu. In ihrer alltäglichen Arbeit tritt eine institutionelle Hierarchie den Geflüchteten gegenüber, diese werden als Masse hilfsbedürftiger Menschen behandelt. Sie werden versorgt, doch dabei wird weder die jeweilige Situation betrachtet noch der zwischenmenschliche Umgang reflektiert. Die Zusammenarbeit mit den etablierten NGOs lehnt das No Border Camp daher ab, da sich die Organisationsformen sowie die Ansprüche und Ziele grundlegend unterscheiden.
Im Camp soll es keine Diskriminierung geben. Außerdem wird die Unterstützungsarbeit auch im gesellschaftlichen Kontext gesehen, wie Laura* sagt: »Die Grenzen zwischen Hilfe und politisch nachdrücklicher Solidarität verlaufen hier fließend. Ziel eines Einsatzes darf nicht der Selbstzweck und die Befriedung der Zustände sein, sondern langfristig Druck auf bestehende Verhältnisse auszuüben und stets zum Ausdruck zu bringen, dass wir keine Grenzen und Nationen wollen.«
Das No Border Camp auf Lesbos ist auch auf finanzielle Hilfe angewiesen ist, da die Arbeit sich sonst nicht aufrechterhalten lässt. Auch weitere Unterstützerinnen und Unterstützer sind dort gern gesehen, zumal deutlich wurde, dass politisches Engagement über das Camp hinaus wegen der prekären Situation nur selten möglich ist, auch wenn es Versuche gibt, sich mit den auf Lesbos lebenden Menschen zu vernetzen.

* Namen von der Redaktion geändert.

Kontakt zum No Border Camp: noborderkitchen@riseup.net