Hochsicherer Karneval in Köln

Die große Karnevalsverschwörung

Rechte Karnevalslaune will sich ohne »subjektives Sicherheitsgefühl« nicht einstellen. Deshalb veranstaltete die Stadt Köln in diesem Jahr den wohl sichersten Karneval aller Zeiten: mit Überwachungskameras und einem Großaufgebot an ­Polizisten.

Reisende, die mit dem Zug nach Köln fahren, ­sehen an gewöhnlichen Tagen beim Verlassen des Hauptbahnhofs als erstes den Dom. Er überragt den Bahnhofsvorplatz. In der »fünften Jahreszeit«, am diesjährigen Rosenmontag, ­sehen Besucher der Stadt neben dem Dom aber vor allem eines: Polizei. Viel Polizei. Vor dem Bahnhof liefern sich die Bundespolizei und die nordrhein-westfälische Landespolizei einen Wettbewerb, wer größere und modernere Überwachungsfahrzeuge in größter Zahl besitzt. Auch fünf gut sichtbare Kameras sind auf den Bahnhofsvorplatz gerichtet. Am Dom selbst werden die Kameras noch durch mobile Lichtmasten ergänzt, die im Abstand von einigen ­Metern den Platz ausleuchten.
Die Behörden tun in Köln in diesen Tagen eine Menge, um das vielzitierte »subjektive Sicherheitsgefühl« der Bürger zu stärken. Bei der Präsentation des polizeilichen Konzepts für die Karnevalstage sagte der neue Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies: »Nach den Vorfällen von Silvester und mit Blick auf die europaweit angespannte Sicherheitslage hat die Polizei das Einsatzkonzept für Karneval angepasst.« Und so wurden in diesem Jahr über 2 000 Polizeibeamte eingesetzt. In den vergangenen Jahren hatte die Hälfte ausgereicht. Auch präventive Maßnahmen hatte die Polizei ergriffen. Gegen 32 Personen, »die an Karneval 2015 aufgefallen sind, sowie gegen Rocker, Gewalttäter Sport und nordafrikanische Taschendiebe« wurden Aufenthaltsverbote für die Innenstadt ausgesprochen.

Einen anderen Faktor, der in jedem Jahr eine Rolle spielt, konnte aber auch die Kölner Polizei nicht beeinflussen: das Wetter. Eine Sturmwarnung für Nordrhein-Westfalen war das beherrschende Thema am Wochenende. In Düsseldorf wurde der Karnevalszug am Morgen des Rosenmontag abgesagt, in etlichen anderen Städten ebenfalls.
Die Kölner Karnevalisten hingegen passen ihr Konzept einfach der Wetterlage an. Sie verzichten für den Umzug auf große Wagen und Pferde, das erleichtert das Fortkommen. Am Rosenmontag gibt es in Köln aber gar keinen Sturm, sondern Sonnenschein und nur eine leichte Brise.
Für Neonazis, Pegida-Anhänger und andere Fans von Verschwörungstheorien ist das ein guter Grund, ein Karnevalskomplott zu wittern. Und das funktioniert so: Den Sturm gebe es in Wahrheit gar nicht, er diene allein als Vorwand, die Karnevalsfeiern abzusagen. So wollten die Sicherheitsbehörden verhindern, dass es wieder zu massenhaften sexuellen Angriffen durch Flüchtlinge kommt, lässt sich beispielsweise in Kommentaren auf der Facebook-Seite von Pegida nachlesen. Eine andere Theorie nennt die Gefahren einesjihadistischen Anschlags als Grund für die Absagen. Das stramm rechte Milieu hat selbstverständlich auch eine Erklärung dafür, warum der Rosenmontagszug in Köln trotzdem stattfinden konnte: Durch die Absagen in den anderen Städten seien Polizeikräfte frei geworden, die nach Köln beordert wurden und dort Übergriffe und Anschläge verhindern konnten.

Ein Karnevalsumzug, der abgesagt wurde, sorgte dennoch für Schlagzeilen. Die Wagen des Düsseldorfer Rosenmontagszugs wurden trotz der Absage vor dem Rathaus präsentiert. Auf einem wurden zwei Figuren gezeigt: Eine stellt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in einer grünen Militäruniform dar, die andere einen vermummten Kämpfer des »Islamischen Staates«. Beide prosten sich mit Gläsern zu, die Blut enthalten. Auf den Gläsern steht »Kurden«. Dass die Türkei und der »Islamische Staat« als Verbündete dargestellt werden, ärgerte die türkische Generalkonsulin Sule Gürel. Wenn der Umzug nachgeholt werde, solle dieser Wagen nicht gezeigt werden, forderte sie. Denn viele Türken würden durch diese Figuren beleidigt. Jacques Tilly, der in Düsseldorf für den Bau der Wagen verantwortlich ist, sieht das anders. Meinungsfreiheit und politische Provokation seien ein hohes Gut in Deutschland. Wenn dies in der Türkei nicht so sei, sei es noch wichtiger, einen solchen Wagen zu zeigen, sagte er.
Im Vergleich zu diesem Eklat blieb der Rosenmontagszug in Köln politisch sehr zahm. Ein bisschen Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine Krake, auf deren Armen Hogesa, AfD und Neonazis geschrieben steht und die versucht, die Demokratie zu erdrücken – über dieses Niveau ging es nicht hinaus. Vielleicht sind für viele Kölner auch eher die zahlreichen Wagen interessant, deren Motive einen lokalen Bezug haben.
Für die größte politische Kontroverse sorgte in diesem Jahr aber weder der Karneval in Köln noch der in Düsseldorf, sondern der Fasching in Reichertshausen, einer am oberbayerischen Flüsschen Ilm gelegenen Ortschaft. Dort war ein Themenwagen mit einer ordentlichen Menge Pappe zu einem Wehrmachtspanzer umgebaut worden. Auf diesem stand »Illmtaler Asylabwehr«. Die Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Die Veranstalter des Umzugs haben sich mittlerweile für den Wagen entschuldigt und diese »Unachtsamkeit« bedauert.
In Köln wird der Karneval gefeiert wie in jedem Jahr. Die anwesenden Karnevalisten lassen sich die Angst vor Sturm, Terror und sexualisierter Gewalt nicht anmerken – soweit sie überhaupt welche haben. Auf einer sieben Kilometer langen Strecke bewegt sich der Rosenmontagszug durch Köln. Karnevalspersonal wirft tonnenweise »Kamelle« und Konfetti durch die Stadt. Doch eines fällt auf: Es ist ungewöhnlich leer. Selbst in direkter Umgebung des Zugs können sich die Menschen recht frei bewegen. Das übliche große Gedränge bleibt aus. Und nur einige Hundert Meter vom Zug entfernt herrscht gähnende Leere an den Bier- und Würstchenbuden. Der Straßen­karneval wirkt in diesem Jahr, als wolle man ihn schnell hinter sich bringen. Ausgelassener als auf der Straße geht es in den Kölner Kneipen zu. Hier ist die Stimmung so wie immer. Es wird ­getrunken, geschunkelt und gesungen.

Und am Aschermittwoch ist wie immer alles zu Ende. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen dürften froh darüber sein. Die Polizeipräsenz in Köln kann wieder auf ein gewöhnliches Maß ­reduziert werden. Auch die Kölner Stadtverwaltung dürfte erleichtert sein, die »tollen Tage« hinter sich gebracht zu haben. Der Karneval ist nicht zum zweiten Silvester geworden. Und es ist nichts passiert, das nicht auch in vergangenen Jahren bereits geschehen ist: Schlägereien, Diebstähle und auch Sexualdelikte. Die Täter kamen der Polizei zufolge aus allen Schichten.