Wahlkampf der Generationen in den USA

Richtungsweisende Generationen

In den USA polarisiert sich die Gesellschaft immer mehr. Der überwiegend links orientierten jungen Generation der »Millennials« stellen sich vor allem ältere »angry white men« entgegen.

Ein kauziger »Sozialist« auf der einen und ein großspuriger Millionär und Fremdenfeind auf der anderen Seite – der Vorwahlkampf in den USA kann unterhaltsam sein. Doch Bernie Sanders und Donald Trump sind nicht nur shooting stars im Vorwahlkampf der Demokraten beziehungsweise Republikaner, der traditionell mit schriller Rhetorik geführt wird, sie sind auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Trends, der zur politischen Polarisierung führte. Die USA rückten nach links und der backlash gegen die Politik Barack Obamas sei real, aber »mehr laut als stark«, so die These Peter Beinarts in einem vielbeachteten Artikel im Politmagazin The Atlantic. Egal ob Bernie Sanders oder Hillary Clinton nominiert wird, egal ob der nächste Präsident Demokrat oder Republikaner sein wird, er wird mit diesem gesellschaftlichen Wandel umgehen müssen, schreibt der Buchautor und Journalist. Während die Wahl Ronald Reagans 1981 den letzten großen Richtungsschwenk bedeutet habe, dem die Demokraten mit der pragmatischen Politik Bill Clintons gefolgt seien, habe die Wahl Obamas den nächsten Richtungsschwenk ausgelöst. Aus Enttäuschung über Obamas Präsidentschaft sei es zum Aufstieg prominenter linker Demokraten wie Elizabeth Warren und Bill de Blasio gekommen. Eine immer engagiertere Basis setze das Establishment der Partei unter Druck, weiter nach links zu rücken, und könne sich dabei auf eine gesellschaftliche Entwicklung berufen, die in die gleiche Richtung ginge, so Beinart.

Schrittmacher dieses Wandels sind die sogenannten millennials, die Generation der zwischen 1980 und 2000 geborenen Amerikanerinnen und Amerikaner. Sie sind aufgewachsen mit horrenden Studiengebühren, sinkenden Gehältern und der prägenden Erfahrung fundamentaler Unsicherheit im Zuge der Globalisierung und erlebten schließlich die Finanzkrise 2007 und ihre Folgen – eine radikalisierende Erfahrung in der politischen Biographie. Eine, die in steigendem Engagement mündete, zuerst 2008 bei der Kampagne für Obama, 2011 dann in der Occupy-Bewegung. Zwischen beiden besteht eine direkte Verbindung. Forscher der City University of New York fanden in einer Studie über Occupy-Aktivisten heraus, dass 40 Prozent derer, die sich während der Platzbesetzungen 2011 engagierten, drei Jahre zuvor an Obamas Kampagne mitgearbeitet hatten. Enttäuscht von Obamas Präsidentschaft entwickelten sie schließlich radikalere Ideen und widmeten sich mit Occupy dem Thema ökonomische ­Ungleichheit. Wenige Tage nachdem Bernie Sanders im April 2015 seine Kandidatur verkündet hatte, erklärte eine Gruppe prominenter Occupy-­Aktivisten, ihn unterstützen zu wollen. Mit Erfolg: Bei den Vorwahlen der Demokraten in Iowa und New Hampshire errang Sanders 70 Prozent der Stimmen der unter 40jährigen.

Diese wollen einer Umfrage des Wall Street Journal zufolge mehr Regierungsintervention in der Wirtschaft und sprechen sich mehrheitlich für einen Ausbau der von Obama eingeführten allgemeinen Krankenversicherung aus. Eine knappe Mehrheit von 49 Prozent der jungen Amerikaner befürwortet »Sozialismus«, also eine solche sozialdemokratische Politik. 46 Prozent hingegen bevorzugen »Kapitalismus«, eine Gesellschaft der Einzelkämpfer weitgehend ohne staatliche Absicherung. Bei den über 65jährigen bevorzugt die Mehrheit Letzteren. Und es liegt offenbar nicht einfach daran, dass sich jugendlicher Radikalismus im Alter vielleicht legt. Einer Studie der American Sociological Review zufolge war die eher konservative Generation der heute über 65jährigen in den Achtzigern bereits mehrheitlich konservativ, als sie Reagan an die Macht brachte. Die politische Einstellung hat sich in der Gesamtbetrachtung nicht geändert, das sei auch bei den millennials zu erwarten.

Diese heute 18- bis 40jährigen seien die »am wenigsten gläubige und nationalistische« und »ethnisch diverseste Generation« in der Geschichte der USA, so Beinart. Und er ist nur einer von mehreren Beobachtern, die die These von der »kommenden demokratischen Mehrheit« vertreten. In diesem Jahr werden die millennials zum ersten Mal eine ebenso große Gruppe der Wähler stellen wie ihre Eltern aus der Generation der baby boomer, die Mitte der vierziger bis Mitte der sechziger Jahre geboren wurden. Doch auch die gesamte Gesellschaft drifte in wichtigen Fragen nach links, so Beinart.

Die Mehrheit der US-Bürger unterstützt die konkreten Vorschläge von Sanders. Jeweils mindestens 70 Prozent stimmen Forderungen zu, wie der nach einem kostenfreien Studium an öffentlichen Universitäten, einem ­Infrastrukturprogramm, um Arbeitsplätze zu schaffen, dem Ausbau der ­Sozialversicherung, der staatlichen Regulierung von Medikamentenpreisen und der Beseitigung von Steuerschlupf­löchern für Unternehmen, die Jobs ins Ausland verlagern. Das belegt eine Umfrage des Progressive Change Institute. 63 Prozent der US-Bürger befürworten zudem die Anhebung des Mindestlohns von derzeit 7,25 US-Dollar auf 15 Dollar, etwas, das vor zehn Jahren noch als unrealistisch galt. Seit zwei Jahren aber gibt es mehrere Kampagnen, die dieses Ziel verfolgen.

Auch in weiteren wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen haben sich die USA im Laufe des vergangenen Jahrzehnts nach links und in Richtung größerer Toleranz bewegt: Die gleich­geschlechtliche Ehe, die Legalisierung von Marihuana und die Integration statt der Abschiebung von Migranten werden mittlerweile von einer Mehrheit der US-Bürger unterstützt. Im Unterschied zu den sechziger und siebziger Jahren, in denen es unter Weißen mehrheitlich einen Rechtsruck als Reaktion auf die Bürgerrechtsbewegung gegeben hatte, herrscht heute Verständnis für die schwarze Bevölkerung. Im Sommer 2014 meinten 49 Prozent der befragten US-Bürger, es müsse mehr für die Gleichbehandlung von Schwarzen und Weißen getan werden. Ein Jahr später, nach den Krawallen in Ferguson und Baltimore, waren es 59 Prozent, auch, weil vor ­allem junge und gebildete Weiße ihre Meinung geändert haben.

Auf der anderen Seite stehen Donald Trump und seine Wähler. Wachsende ethnische Diversität und Geschlechtergleichheit, sinkende Löhne und wirtschaftliche Stagnation oder Abstieg – das sind Zumutungen für die größte Wählergruppe Trumps, die meist geringgebildet und älter ist. Der Soziologe Michael Kimmel bezeichnet sie als ­angry white men. Sie sind in Zeiten des Wohlstands und in der Erwartung sozialer Privilegien aufgewachsen, haben ihrer Ansicht nach hart gearbeitet und wurden dafür nicht angemessen belohnt. Nun leiden sie an »verletztem Anspruchsdenken« und treiben die Republikaner immer weiter nach rechts.

Trump verkörpert diese »weiße Wut« perfekt. Seine Wähler lieben ihn, weil er genau das ist, was sie gern sein würden: reich und privilegiert. Dass Trump damit protzt, kommt an bei denen, die alte Privilegien gerade verlieren. Jeder wütende Kommentar Trumps über Mexikaner als Vergewaltiger, die Monatsblutung von TV-Moderatorinnen oder den Klimawandel als Erfindung der Chinesen hat ihn populärer gemacht bei denen, die dem Amerika der »guten alten Tage« nachtrauern. 65 Prozent der republikanischen Wähler erklärten in Umfragen, sie unterstützten Trumps Vorschlag, ein zunächst zeitlich unbegrenztes Einreiseverbot für alle Ausländer muslimischen Glaubens zu verhängen, 30 Prozent sagten, wegen dieser Forderung würden sie eher für Trump stimmen. Er traue sich auszusprechen, was an­dere denken, behaupten Trump-Wähler, die gegen »schwache« Kandidaten und political correctness wettern. Diese Wähler motiviert die Wut auf Obama und big government, wie sie die in ­ihren Augen zu aufgeblähte, korrupte oder interventionistische Regierung und die staatliche Behörden nennen.

Doch das wird vermutlich nicht ausreichen, um die Wahlen zu gewinnen. »Wir dürfen nicht so aussehen, als wären wir ein Haufen wütender alter Männer«, klagte Robert Bennett, Vorsitzender der Republikaner in Ohio, 2012 nach der erneuten Niederlage gegen Obamas »Regenbogen«-Koalition aus liberalen Weißen und Minderheiten. Republikanische Strategen forderten damals, die Republikaner müssten etwa für Latino-Wähler attraktiver werden. Es gibt nicht mehr genug konservative weiße Wähler, um wie früher allein mit ihnen Wahlen zu gewinnen. Weiße ohne College-Abschluss waren einst die stärkste Wählergruppe der Republikaner, doch ihre Zahl schwindet. Das afroamerikanische Online-Magazin The Root hofft daher, dass Donald Trump und seine Anhänger »das letzte Aufgebot des wütenden weißen Mannes« sind.