Zwei Bücher des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness

Über die Erbsünde in Filzpantoffeln

Zwei kürzlich ins Deutsche übertragene Bücher von Halldór Laxness beweisen neben seinem Humor auch das Verständnis des Autors für all jene, die lieber auf der faulen Haut liegenbleiben.

Halldór Laxness (1902–1998) ist der einzige Literaturnobelpreisträger, den das an Autoren reiche Island bisher hervorgebracht hat. Zugleich ist er der einzige Autor überhaupt, der sowohl mit dem Nobelpreis (1955) als auch mit dem sowjetischen Stalinpreis (1953) ausgezeichnet wurde. Das mit dem Stalinpreis verschweigt die Verlagsinformation übrigens aus unerfindlichen Gründen. In Deutschland hatte Laxness seine große Zeit um 1980, damals verfilmte die ARD seinen Roman »Das wiedergefundene Paradies« mit Dietmar Schönherr in der Rolle des dänischen Königs. Seither ist der Autor hierzulande ein wenig in Vergessenheit geraten, doch der Steidl-Verlag veröffentlicht kontinuierlich weitere Bücher von ihm.
Die jüngsten Veröffentlichungen sind der Erzählband »Ein Angelausflug ins Gebirge« und der Roman »Die Litanei von den Gottesgaben«. Der erstmals übersetzte »Angelausflug ins Gebirge« erschien auf Isländisch 1964, dort unter dem Titel »Sjöstakafakverið«, was übersetzt bedeutet: »Das Büchlein der sieben Zeichen«. Da es bei Steidl schon »Sieben Zauberer« gibt, wollte der Verlag das Publikum nicht durch zu viele Siebenen überfordern und entschied sich für einen anderen Titel. Die namensgebende Erzählung ist lang, witzig und typisch für Laxness’ Art. Der Ich-Erzähler erwartet den Besuch seines Freundes Krilon (eine Anspielung auf die Krilon-Trilogie des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Eyvind Johnson? Solche Anspielungen liebt Laxness schließlich), die beiden Herren wollen am nächsten Tag zum Angelausflug ins Gebirge aufbrechen. Zur Vorbereitung trinken sie so viel von dem als Reiseproviant besorgten Whisky, wie sie nur runterbringen können, und als der Gastgeber irgendwann am nächsten Tag mit einem furchtbaren Kater und zwischen den für den Angelausflug gesammelten, inzwischen aber ausgebüxten Regenwürmern erwacht, ist Krilon mit dem restlichen Whisky über alle Berge, um »mit Ministern und Botschaftern Lachs zu fischen«. Der arme Ich-Erzähler muss nun die Regenwürmer und die Angelhaken loswerden, die sich überall in seinem Wohnzimmer befinden, das schafft er aber nicht allein, und so bittet er die Damen der Nachbarschaft um Hilfe. Die Rettung bringt schließlich »die Erbsünde in Filzpantoffeln«.
Das ist nun etwas ganz anderes als der Weltgeist zu Pferde – und wie sich dem Nachwort des Übersetzers und Herausgebers Hubert Seelow entnehmen lässt, schrieb Laxness diese Erzählungen, als er am Sozialismus irregeworden war. Der Autor, der selbst in seinen sozialistischsten Augenblicken beim Schreiben immer wieder gern mit den Forderungen des Realismus brach und sur­reale Elemente in seine Bücher einführte, lässt hier nun endgültig seinem Hang zu wilder Phantasie, unerhörten Zwischenfällen und kurioser Symbolik freien Lauf. Es ist verlockend, hinter allem eine Botschaft zu suchen – aber noch schöner ist es, sich einfach aus Freude an der hemmungslosen Fabulierkunst auf diese Bücher einzulassen.
Und doch – der Ernst scheint immer durch, zum Beispiel in der Erzählung »Jón aus Brothaus«. Hier treffen sich zwei ehemalige Jünger des Propheten Jón aus Brothaus, der ein böses Ende genommen hat, ­Andris und Filpus, die Fortsetzung der Apostelgeschichte auf Isländisch sozusagen. Alle Jünger haben ihren Meister verraten, weshalb sie sich gegenseitig aus dem Weg gehen. Andris und Filpus müssen nun aber anstandshalber einige Worte wechseln, und sehr bald stellt sich heraus, dass ihre Erinnerungen so widersprüchlich sind, dass kaum zehn Jahre nach dem Tod des Propheten kein klares Bild von dessen Lehren mehr gezeichnet werden kann.
Der Roman »Die Litanei von den Gottesgaben« erschien im Original 1972, in deutscher Übersetzung 1979 in der DDR und 1981 in der BRD. Der Held des Romans, wie so oft ein dem jungen Laxness ähnlicher Ich-Erzähler, übernimmt die Redaktion einer sozialistischen Zeitung in Djupvik, einem abgelegenen, fiktiven isländischen Ort. Erst in Djupvik erkennt er, was er sich für eine schwere Aufgabe aufgeladen hat. Eigentlich interessiert es niemanden, was in der Zeitung Nordexpress steht, was wiederum eigentlich nur gut ist, denn sie lässt sich sehr schwer lesen: »So schlecht gedruckt, dass man oft ganze und halbe Zeilen erraten musste (…) der Druck war verkleckst und verschmiert, vielleicht hatte man mit Schuhwichse gedruckt.« Dazu kommt, dass es nicht genug Lettern für einen längeren Text gab, vor allem das isländische Þ fehlte – das, wie der Autor behauptet, die Isländer im 11. Jahrhundert billig aus dem Angelsächsischen erworben hätten. Der Letternmangel führt zu kuriosen Abkürzungen, »Diwan« zum Beispiel wird immer nur als »D« bezeichnet. Wieso in einer sozialistischen Zeitschrift so häufig vom Diwan die Rede ist, könnte man sich ja fragen, aber so geht es eben zu in Djupvik: Die Hosenträgerfabrik liefert dermaßen schlechte Ware, und wenn es nicht in anderen Ländern bessere Qualität gäbe, würde die Menschheit »mit den Hosen um die Knöchel wie mit einer Fessel herumlaufen und demzufolge nicht riskieren, vom D. aufzustehen«. Als die Djupviker Arbeiter doch vom D. aufstehen und Revolution machen, haben sie zwar Erfolg, aber die Revolution dauert nur drei Stunden, dann haben die Revolutionäre keine Lust mehr. Denn wieso sollen sie den Karren aus dem Dreck ziehen, in den die Industriellen und Banken durch ihre planlosen Versuche, immer mehr und immer schneller Geld zu scheffeln, ihn erst hineingefahren haben?
Der prototypische Industrielle, Bersi Hjalmarsson, genannt Islands-Bersi, versucht einfach alles, Heringsindustrie, Nerzzucht, Hosenträgerproduktion, Glasherstellung – mit jedem weiteren Unternehmen erleidet er Schiffbruch, reißt die, die auf seinen Rat vertraut haben, mit hinein, die Banken, die ihn unterstützt haben, stehen vor dem Konkurs – aber die Banken werden immer gerettet, und sofort wird Islands-Bersi neues Geld zur Verfügung gestellt, damit er abermals ein katastrophales Unternehmen gründen und unendlich viel Geld in den Sand setzen kann.
Dieses Buch, wohlgemerkt, schrieb Laxness 1972 und nicht 2008 zu Beginn der Finanzkrise, und seine Schilderung zeigt, dass sich in Island nicht viel geändert hat, und im Rest der Welt eigentlich auch nicht. Sein Verständnis für alle, die sich nicht vom D. erheben und schon gar keine Revolution machen mögen, wenn doch nichts dabei herauskommt, ist groß und überzeugend. Zumal, auch das scheint für den Verbleib auf dem D. zu sprechen, gerade dort bisweilen die für Laxness typische geheimnisvolle Frau des Weges kommt, was sofort die Handlung in eine ganz andere Richtung führt. Was dann aber passiert? Der Tipp: Laxness lesen.

Halldór Laxness: Die Litanei von den ­Gottesgaben. Aus dem Isländischen von Bruno Kress. Göttingen 2015, Steidl-Verlag, 174 Seiten, 18 Euro
Halldór Laxness: Ein Angelausflug ins Gebirge. Aus dem Isländischen von Hubert Seelow. Göttingen 2015, Steidl-Verlag, 167 Seiten, 16 Euro