Wer braucht schon Mücken?

Wer braucht schon Mücken?

Sie sind nicht nur lästig, sondern verbreiten auch gefährliche Krankheiten. Manche Forscher fordern, sie auszurotten.

Es gibt einen Mythos um den Schöpfer von Erde, Mensch und Tieren, der in vielen Variationen erzählt wird, unter anderem von nordamerikanischen ­Indigenen, Persern der Antike und frühchristlichen Häretikern wie einen Mann namens Marcion. Der Mythos erzählt in jeder Variante vom Schöpfer, sei er nun eine Krähe, ein Gott oder der Wind, als einer zwiespältigen, wenn nicht gar bösen Figur. Als nur liebend könne man dieses Wesen auf keinen Fall begreifen, schließlich habe es auch die Mücken geschaffen und dies sehr wahrscheinlich, um die Menschen zu ärgern.
Als Einspruch gegen einen liebenden und allwissenden Schöpfer hat diese Erzählung immerhin für sich, anzuerkennen, dass das Leben ein paar Fallen bereithält, denen man besser mit offenen Augen und klarem Verstand begegnet als mit schlichtem Glauben. Nur kann mit dem klaren Verstand die Tendenz einhergehen, sich an die Stelle des Schöpfers zu setzen und ­etwas gegen dessen Bosheiten zu tun. Die britische Tageszeitung Guardian fragt denn auch in einem sehr schönen Übersichtsartikel angesichts des Zika-Virus: »Sollten wir die Mücken vom Angesicht der Erde tilgen?«
Schließlich sind Mücken die schlimmsten Killer der Menschheitsgeschichte. Sie verursachen selbst heute noch mehr Todesfälle als Kriege und Bürgerkriege. Also sollte man sie ausrotten, meinen selbst hochangesehene Forscher wie der Evolutionsbiologe und Ameisenspezialist Edward O. Wilson, der dies vor allem für die Anopheles gambiae fordert, die Malaria überträgt. Das war allerdings vor Zika, und Wilson hat in seiner schmissigen Zusammenfassung auch gleich seinen Denkfehler mitverarbeitet. Man solle, so schrieb er in seinem Artenvielfaltsrettungsepos »The Creation: An Appeal to Save Life on Earth«, die DNA der Mücken für zukünftige Forschungen aufbewahren und die Mücken selbst vernichten.
Für Wilson besteht übrigens der erste Schritt zur Rettung der Artenvielfalt in den tropischen Regenwäldern darin, mit einer Art DNA-Mähdrescher durch die Wälder zu furchen und alles, was man kriegen kann, in eine DNA-Schnetzelmaschine zu stopfen, um so die Artenzahl zu bestimmen und dann mit der gesammelten DNA die Arten zu retten. Wie das mit der DNA, die ohne Proteine, umgebendes Zellplasma und viele andere Stoffe tot ist wie ein Stein, funktionieren soll, bleibt Wilsons Geheimnis.
Aber was soll’s, der Mann ist schließlich nicht Gott. Er kann sich allerdings auf eine große Industrie berufen, die Unternehmen der Gen- und Molekulartechnologie, die auch beim Zika-Virus kein Problem haben, auf der Grundlage nicht nachgewiesener Zusammenhänge zu handeln. Journalisten popularisieren dann deren Thesen. Der Guardian zitiert einen Molekularbiologen, der die richtige Methode schon zu kennen glaubt. Man könne über neuere DNA-Schnitttechniken sterile männliche Mücken der Art Aedes aegypti, deren weibliche Exemplare den Zika-Virus übertragen, erzeugen und somit die Vermehrung stoppen, die Mücken also ausrotten. Das Problem sei nur, dass man für diesen Prozess unvorstellbar viele Mückenmännchen erzeugen müsste; das sei sehr problematisch. Womit der Forscher Recht hat, mal ganz abgesehen davon, dass auch manipulierte DNA bei jeder geschlechtlichen Paarung neu kombiniert wird und der Mechanismus dieser Kombination in lebenden Geschöpfen vor allem dem Zufall unterliegt.
Aber egal, die Ausrottung von Mücken wird sowieso nur um den Preis der Vernichtung vieler anderer Lebewesen zu haben sein. Zu zentral ist die Stellung der um die 3 000 Mückenarten, von denen längst noch nicht alle bestimmt sind und von denen etwa 200 blutsaugende Weibchen aufweisen, in den weltweiten Nahrungsnetzen. Entscheidend ist in diesem Fall nur, dass es Forscher gibt, die bereits auf der DNA-Ebene Lösungen suggerieren, ohne auch nur mit Sicherheit sagen zu können, ob der Zika-Virus nun tatsächlich die Missbildungen an den menschlichen Embryonen verursacht und, wenn dies der Fall ist, wie und in welchem Stadium der Entwicklung. Bislang bewegt sich die Zuschreibung des Virus als Verursacher der zu kleinen Köpfe der Neugeborenen noch im Bereich rein statistischer Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs ist aber sehr hoch und es ist vernünftig, mit ihr zu arbeiten.
Um aber wirklich praktikable Lösungen zu finden, die das schlimmste Leid verhindern oder zumindest mildern können, ist es immer noch sinnvoller, im Alltag nach den Ursachen zu suchen. Die meisten Wissenschaftlerinnen tun das auch. So rät die Virologin Susanne Modrow, Professorin am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg, in einem Interview mit der FAZ jungen Müttern, auf die Hygiene zu achten. Da letztlich alle fieberhaften Infektionskrankheiten das Ungeborene schädigen könnten, gelte es, unnötige Kontakte, die zur Übertragung von Infektionen führen können, zu vermeiden.
Ein mit Sicherheit hilfreicher Ratschlag, der in einem der brasilianischen Slums, in denen die meisten der bisher dokumentierten Missbildungen durch den Zika-Virus zu verorten sind, ohne Kanalisation und fließendes Wasser aber schwer zu befolgen ist. Die Zika-Mücke ist nämlich im Unterschied zur Malaria-Mücke, die in und um tropische Gewässer lebt, ausgesprochen anthropogen. Der Lebenszyklus der Mücke spielt sich auschließlich in der Nähe menschlicher Siedlungen ab. Die Mücken legen ihre Eier in Pfützen auf den Straßen, in Tonnen, Kühlwasserbehältern alter Autowracks oder in alten Plastikflaschen. Ihre optimalen Ausbreitungsbedingungen finden die Mücken bisher unter anderem in den Slums der großen Städte Brasiliens. Daher ist es nicht zynisch festzustellen, dass sich niemand weiter um die Sache geschert hätte, wenn die Mücken nicht die Eigenschaft hätten, beim Stechen die Klassenverhältnisse zu ignorieren.
Die Geschichte der Ausbreitung der Seuchen im 19. Jahrhundert in Europa lehrt, dass die Arbeiterslums erst dann forciert an Kanalisation und Wasserversorgung angeschlossen wurden, als Krankheiten wie die Cholera die Klassenschranken durchbrachen und sich auch in gutbürgerlichen Vierteln ausbreiteten. Der gleiche Effekt lässt sich derzeit vor allem in Europa und den USA beobachten. Für die Forcierung der Forschung nach einem Impfstoff ist das gut und es ist wahrscheinlich, dass er auch schneller verfügbar sein wird, als es bei einer nur auf Afrika beschränkten Viruserkrankung der Fall wäre.
Die Basis einer wirklichen Vorsorge bestünde aber darin, die Slums nicht nur Brasiliens an die Kanalisation und die Wasserversorgung anzuschließen. Der erste Schritt eines direkten Eingriffs wäre ein Verbot von Plastikverpackungen. Man kann nämlich die Geschichte des rapiden Anstiegs der Population von Aedes aegypti in Korrelation zur Ausbreitung von Plastikflaschen und -verpackungen setzen, in deren feuchten Minipfützen die Mücken ihre optimalen Brutstätten finden.
Da aber beides, die hygienische Kanalisierung der Slums wie auch das Verbot der Plastikflaschen, vermutlich in nächster Zeit nicht erfolgen wird, bleibt betroffenen Frauen nur die Möglichkeit, die Embyonalentwicklung ihrer Kinder so gut wie möglich untersuchen zu lassen und sich gegebenenfalls für eine Abtreibung zu entscheiden. Doch auch beim Schwangerschaftsabbruch sind die Klassenverhältnisse entscheidend, für arme Frauen gibt es häufig keine akzeptable Lösung. In Chile etwa hat der damalige Diktator Augusto Pinochet jede Form der Abtreibung, auch die nach medizinischer Indikation, verboten. Das Gesetz gilt noch immer, und auch wenn in Brasilien oder Kolumbien immerhin die Abtreibung nach medizinischer Indikation erlaubt ist, ist sie deshalb noch lange nicht leicht erreichbar.
Wenn man also alle Argumente im Fall des Zika-Virus abwägt, scheint die Ausrottungsphantasie Edward O. Wilsons am Ende doch die realistischste Vorgehensweise zu sein, ob mit oder ohne genmanipulierte Männchen. Vielleicht gelingt die Ausrottung sogar mit einem spezifischen Kontaktgift, das die Schäden an anderen Lebewesen in Grenzen hält. Verhindern wird es aber auf keinen Fall das Auftreten des nächsten Virus, weil die Viren genauso nach neuen Verbreitungswegen suchen wie alle anderen Lebewesen. Der Häretiker Marcion entschied sich deshalb für einen anderen Weg: Für ihn war die stete Erneuerung des menschlichen Lebens durch Fortpflanzung das Übel schlechthin. Seine Mahnung, sich fortpflanzungsfördernder Aktivitäten zu enthalten, hatte jedoch keinen durchschlagenden Effekt, so dass die Menschen vorläufig weiter über die Mückenplage fluchen müssen.