Über Geld und Glück

Die Imaginationen des Bargelds

Mit dem Bargeld wird auch die Illustration seines Fetischcharakters verschwinden.

Macht Geld glücklich? Es ist dies eine sehr moderne Frage, deren Beantwortung nicht nur von der Funktion des Geldes und der Definition des Glücks abhängt, sondern, eingeklammert eben von der gesellschaftlichen Bedeutung von Glück und Geld, nachgerade konstitutiv bestimmt, was in der fortschreitenden Moderne überhaupt Individuum heißt, nämlich also davon geprägt ist, wie Geld und Glück den individuellen Gesellschaftscharakter formen. Vom verheerenden Fortschritt des Kapitalismus, der sich seinen Weg von der großen Industrie über den Imperialismus, vom Welthandel über die Aktienmärkte bahnt, ist die Beantwortung der Frage nicht zu trennen. Sie setzt naiv meistens die Inszenierung der Doppelfigur voraus, bei der ökonomischer Erfolg als Reichtum sichtbar – und auch gezeigt wird. Eigentlich eine barocke Figur, die ihre imaginative Kraft noch aus Feudalzeiten bezieht und weiterlebt; man spricht vom Geldadel, und die Ornamente des Reichtums, die das Leben der Stars und Möchtegerns, der Neureichen und Emporkömmlinge verzieren – von Elvis bis Paris Hilton, von Michael Jackson bis zu den Geißens –, sind allesamt vom Schein, vom Glanz, von der Umwandlung des Buchgeldes in Bares und schließlich von dessen Verschwendung im Luxus bestimmt.
Hier zählt Geld als Insignie des Glücks. Es ist ein paradoxes Glück, nämlich das Glück des entfremdeten Menschen, der erst mit dem Geld zu sich selbst findet. »Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, das heißt, was das Geld kaufen kann, das bin ich«, notiert Marx 1844 in seinen Pariser Manuskripten. Es ist das Geld und Glück, das bereits durch das von Geld und Glück geprägte soziale Verhältnis vermittelt ist. Den entsprechenden Einwand bringt die Psychoanalyse. »Glück«, so Sigmund Freud, »ist die nachträgliche Erfüllung eines prähistorischen Wunsches. Darum macht Reichtum so wenig glücklich. Geld ist kein Kinderwunsch gewesen«, heißt es in einem Brief an Wilhelm Fließ 1898. Doch die Geschichte scheint dem zu widersprechen. Kinder erfahren heutzutage früh, dass nicht nur Geld ein Wunsch ist, sondern dass das Wünschen vom Geld abhängt; so wird es noch nachträglich zum Kinderwunsch verklärt. Schließlich ist die gesellschaftliche Funktion des Geldes hier widersinnig: Gerade für die Massen, die zum Großteil vom monetären Reichtum ausgeschlossen bleiben, weil sie einfach über kein Geld verfügen, müssen die abstrakt über das Geld geregelten Tauschgeschäfte mit konkreten, korrekt: pseudo-konkreten Imaginationen des »abstrakten Dritten« (Marx) ausstaffiert werden, und die allgemein kulturindustriell reklamierte Lebenswelt muss mit reichlich Bargeld tapeziert werden. Selbst der Lotteriegewinn, der ja brav aufs Konto überwiesen wird, wird auch in bargeldlosen Zeiten als Münz- und Papiergeldregen versprochen, der pfingstmäßig über die lachenden Gewinnerinnen und Gewinner ausgeschüttet wird.
Was also mit dem ökonomischen Verzicht aufs Bargeld auch verschwindet, ist das Imaginäre des Geldes, die trügerisch materielle, scheinbar greifbare Illustration seines Fetischcharakters und damit auch seiner magischen Macht. Einer Macht indes, die ja gerade Kinder fasziniert, wenn sie Geld in ihrer naiven, aber eben auch schon naiv-sozial vermittelten Weise als Schatzbildner entdecken (zehn goldene Zehn-Cent-Stücke sind mehr als eine Zwei-Euro-Münze). Solche Imaginationen sind infantilisiert und mit weitaus höherem Unterhaltungs- als finanziellem Wert in die alltägliche Trivialökonomie der Erwachsenen eingelassen. Und wenn das Bargeld nun verschwindet, bedeutet das wohl eine Verunsicherung auf dieser imaginären Ebene, die sich tatsächlich auch als Legitimationsproblem im Krisenkapitalismus manifestieren könnte.
Und durchaus wäre es auch schade um das Verschwinden dieser illusionären Bargeld-Imaginationen – denn all das würde es nicht mehr geben: keine ausgeklügelten Kriminalfälle, wo irgendwann Bargeld in Bündeln von nicht durchnummerierten kleinen Scheinen in einem Koffer liegt, die es dann als Heist-Movies im Kino gibt, wie etwa »Ocean’s Eleven« (der mit dem Rat Pack von 1960 in der Regie von Lewis Milestone, weniger die Neuverfilmungen von Steven Soderbergh, weil hier am Ende so tragisch-unterhaltsam das ganze Geld bei einer Beerdigung verbrennt), keine echten Großen Coups wie die Dollar- und Scheckfälschungen des anarchistischen Maurers Lucio Urtubia Ende der Siebziger, auch keine Aktion wie im Film »Watch the K Foundation Burn a Million Quid« dokumentiert, in der The KLF eine Million Pfund in 50-Pfund-Noten in Flammen aufgehen ließen, nicht einmal mehr den sympathisch-nervigen Bettelpunk, der einen um Kleingeld anhaut, so wenig wie den superreichen Snob, der sich die Cohiba mit einem 100-Dollar-Schein anzündet. Es wird also alle schönen, illegalen Hyperfetischisierungen des Geldes nicht mehr geben, die sich auf Bares kaprizieren, um es zu vernichten, nämlich zu entwerten. Scheckkartenbetrügereien und Konten-Hacking mögen zwar finanziell folgenreicher sein, reichen aber kaum an die subversive Kraft eines anständigen Bankraubs.
Wie widrig das Glück des Geldes ist, zeigt sich überdies an der Ambivalenz der Imaginationen des Geldes. Bargeld ist immer auch dreckig, was in psychoanalytischer Deutung mit dem Analcharakter, Reinlichkeitserziehung, Kot und Kotzurückhaltungsdrang zu tun hat. Sinnbilder wie der Dukatenscheißer verweisen darauf. Und dass Geld zumindest im expliziten Sinne kein Kinderwunsch ist, mag etwa der alte Skandal um das Plattencover von Nirvanas »Nevermind« von 1991 bezeugen: Abgebildet war ein nackt im Wasser schwimmendes Baby, das einer am Angelhaken hängenden Banknote hinterhertaucht. Ein mittlerweile verblassendes Bild als vielleicht letzter Beleg dafür, dass früher Geld einmal kein Kinderwunsch war. Mit dem digitalen Plastikgeld wird das obsolet.