Trotz des Aufstiegs der AfD droht keine faschistische Machtübernahme

Kein neues ’33 mit der AfD

In den vergangenen Wochen wurde der Aufstieg der »Alternative für Deutschland« wiederholt mit dem Erfolg der Nazis in den dreißiger Jahren verglichen. Eine faschistische Machtübernahme steht in Deutschland jedoch nicht bevor.

Nach den Kommunalwahlen in Hessen und den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt war der Katzenjammer groß. Facebook und Twitter sind voll mit Vergleichen zwischen der AfD und der NSDAP. Die Reichstagswahlen 1930, bei denen die Nazis 18,3 Prozent der Stimmen holten, werden herangezogen. Der Spruch »AfD wählen ist so 1933« ist allgegenwärtig.
Doch ist die AfD eine neue Nazipartei? Nein. Es gibt in der AfD einen völkisch-nationalistischen Flügel. Björn Höcke aus Thüringen und André Poggenburg, der mit 24,3 Prozent bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt einen grandiosen Erfolg erzielt hat, sind die bekanntesten Repräsentanten dieser Strömung in der rechtspopulistischen Partei. Figuren wie Höcke grenzen sich nicht von Rechtsextremen ab. An den Demonstrationen der AfD in Erfurt und Magdeburg beteiligten sich rechte Hooligans und Neonazis völlig offen. Distanzierungen der AfD blieben aus. Mit Reden, in denen die tausendjährige deutsche Geschichte beschworen, sprach Björn Höcke vielmehr genau so ein Publikum an. Außerdem ist Höcke eng verbunden mit dem neurechten »Institut für Staatspolitik« und dessen Vordenker Götz Kubitschek. Auch Jürgen Elsässer und sein Compact Magazin sind mit dem völkischen Flügel der AfD verbandelt. Elsässer sendete sogar live von der Wahlparty der AfD am Sonntag in Magdeburg. Die völkischen Nationalisten in der Partei scheuen sich nicht vor der Unterstützung von Neonazis auf der Straße. Rechte Aufmärsche wie in Clausnitz oder Heidenau werden unterstützt oder als berechtigter Zorn des Volkes heruntergespielt. Gerade Kubitschek und Elsässer propagieren »zivilen Ungehorsam« von rechts. Neonazistische Aufmärsche sind für diesen Teil der AfD kein Problem, sondern die praktische Unterstützung ihrer Politik.
Anders sieht es beim pragmatischen Flügel aus. Die Bundesvorsitzende Frauke Petry und Jörg Meuthen, der Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, wollen die AfD als demokratische Partei rechts von der CDU etablieren. Die »Flüchtlingskrise« ist für sie eher ein Mittel, um bei Wahlen gut abzuschneiden, als ein Kernthema. Dort stehen noch immer die Abwendung von der EU, der Abbau des Sozialstaats und ein tradiertes Familienbild im Fokus. Doch mit diesen Themen, das hat auch der nüchterne Jörg Meuthen erkannt, lassen sich keine Wahlen gewinnen. Zwischen diesen Flügeln changiert eine Reihe von AfD-Mitgliedern, die entweder nur ein Thema haben, das sie vorrangig propagieren wollen, oder die aus einer diffusen Unzufriedenheit in der rechtspopulistischen Partei aktiv sind.
Doch warum ist die AfD so erfolgreich? Zwei Faktoren dürften dabei ausschlaggebend sein. Zum einen der tief in der bürgerlichen Mitte verankerte Rassismus, und auf der anderen Seite Wut gegen »die da oben«. Wissenschaftliche Arbeiten wie die früher von Wilhelm Heitmeyer und derzeit von Andreas Zick und Anna Klein herausgegebenen »Mitte«-Studien weisen seit Jahren auf weit verbreitete rechtsextreme Einstellungen hin. In der aktuellen Ausgabe von 2014, »Fragile Mitte – Feindselige Zustände« stimmen 17,4 Prozent ganz oder überwiegend der These »Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen«. 30,6 Prozent stimmen der These teilweise zu. 35,9 Prozent der im Rahmen der Studie Befragten wünschen sich den Mut zu einem stärkeren Nationalgefühl. Der These, Asylsuchende würden in ihren Heimatländern gar nicht verfolgt, stimmen sogar über 40 Prozent der Befragten zu. Es kann angenommen werden, dass diese Einstellungen im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise noch an Verbreitung zugenommen haben.
Rassistische Einstellungen, wie sie die AfD offen vertritt, wurden von den etabliereten Parteienin Deutschland bisher nicht vertreten. Der NPD haftet das Manko der Neonazipartei an und dies ist für den deutschen Durchschnittsrassisten noch immer ein No-Go. Andere rechte Parteien, die in der Vergangenheit Erfolgsaussichten hatten, scheiterten in der Regel an ihrer eigenen Unfähigkeit. Die AfD hat es trotz der Spaltung im vergangenen Sommer geschafft, als geschlossene Partei anzutreten und sich als »Underdog« gegen die »Altparteien« in Stellung zu bringen.
Das Moment der Bewegung gegen die »Altparteien« oder »die da oben« dürfte für die Wähler der AfD eine gewichtige Rolle spielen. Hier lohnt sich ein Blick zurück in die Jahre 2003 und 2004. Gerhard Schröder, damals Kanzler einer rot-grünen Koalition, stellte seine »Agenda 2010« vor. Dazu gehörte eine Reform der Arbeitslosenversicherung, die für viele Arbeitslose eine erhebliche Kürzung der Leistungen sowie eine verkürzte Bezugsdauer bedeutete. Im Zuge dieser Reform wurde auch das Arbeitslosengeld II, auch »Hartz IV« genannt, eingeführt. Die Sozialreform brachte damals, analog zu Pegida heute, jeden Montag Tausende Menschen auf die Straße. Ausgehend von Magdeburg, der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt, zogen damals unter der Parole »Wir sind das Volk« über Monate Menschen durch die Straßen der deutschen Städte. Genau wie bei Pegida fühlte man sich damals in der Tradition der Montagsdemonstration, die zum Ende der DDR beitrugen. Es gibt eine weitere Parallele zu Pegida: Auch bei den Demonstrationen gegen die »Agenda 2010« konnten die Massen nur auf die Straßen ostdeutscher Städte gebracht werden. In Westdeutschland wurden die Proteste von traditionslinken Splitterparteien wie der MLPD getragen und zogen höchstens einige Hundert Menschen an. Im Nachgang der Proteste fusionierte die damalige »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« (WASG) mit der PDS zur heutigen Partei »Die Linke« und konnte so bundesweit Wahlerfolge feiern. Vorher war die Partei nur in Ostdeutschland stark, nun reichte es auch in westdeutschen Bundesländern, um die Fünfprozenthürde zu überwinden. Auch im Verhältnis zwischen Pegida und der AfD ist eine engere Verzahnung denkbar, vor einigen Wochen deutete Lutz Bachmann an, man könne sich vorstellen, Wahlbündnisse mit der AfD einzugehen.
Die Unzufriedenen, die sich von den etablierten Parteien nicht repräsentiert fühlen, dazu eine große Zahl an Menschen mit rassistischen Grundeinstellungen: Das Potential, dauerhaft in Parlamenten vertreten zu sein, ist für die AfD vorhanden. Doch stellt sich die Frage, ob die Rechtspopulisten dies auf Dauer zu nutzen wissen. Die Flüchtlinge werden als Thema nicht ewig funktionieren. Als nächstes Thema hat Beatrix von Storch »den Islam« vorgeschlagen, Forderungen nach einem Kopftuchverbot und schrille Äußerungen über Parallelgesellschaften sind zu erwarten. Mit ihren Themen und Köpfen hat die AfD die Möglichkeit, in die Riege der etablierten rechtspopulistischen Parteien in Westeuropa aufzusteigen. Parteien wie die niederländische PVV, der Front National oder die FPÖ sind hier die Vorbilder. Die AfD könnte dauerhaft in deutsche Parlamente einziehen und, ähnlich wie es diese Parteien machen, die Stimmung von rechtsaußen beeinflussen. Das sind fraglos keine schönen Aussichten. Eine faschistische Machtübernahme bedeutet es allerdings auch nicht. Viel eher eine Annäherung des deutschen Parteiensystems an die Parlamente in vielen westeuropäischen Nachbarstaaten.