Die argentinische Regierung unter Druck

Der Markt als Maß

Die bekannt gewordenen Beteiligungen des argentinischen Präsidenten Mauricio Macri an Offshore-Unternehmen passen nicht zur Korruptions­bekämpfung, die seine Regierung proklamiert. Diese bleibt trotz vieler unpopulärer Maßnahmen relativ stabil.

Die Quote für Wetten auf den baldigen Rücktritt des argentinischen Präsidenten Mauricio Macri beträgt sechs zu eins. Das Online-Wettbüro »Paddy Power« hält ihn für nicht unwahrscheinlich, sonst würde es eine höhere Gewinnchance für diese Präsidentenrücktrittswette anbieten. Dabei hat die Enthüllung der »Panama Papers« in Argentinien zunächst vor allem wegen der Steuertricks von Fußballstar Lionel Messi Aufmerksamkeit erregt. Die Beteiligung des rechtskonservativen Macri an mindestens zwei Briefkastenfirmen namens Fleg Trading Ltd und Kagemusha SA fand erst breites Interesse, als die Staatsanwaltschaft auf Initiative eines oppositionellen Abgeordneten vergangene Woche diesbezügliche Untersuchungen einleitete. In seinen Steuerunterlagen hat Macri, der von 2007 bis 2015 Bürgermeister von Buenos Aires war, die Unternehmen nicht angegeben, obwohl die auf den Bahamas und in Panama ansässigen Firmen zumindest in den ersten Jahren seiner Amtszeit noch aktiv waren.
Den »Panama Papers« zufolge hatte Macri in beiden Unternehmen zusammen mit seinem Vater Franco und seinem Bruder Gianfranco Vorstandsposten inne. Familienpatriarch und Multimilliardär Franco Macri sprang seinem Sohn bei, indem er behauptete, die Papiere seien nicht korrekt und Mauricio habe nichts mit den Unternehmen zu tun gehabt. In einer Fernsehansprache gab Präsident Macri am Donnerstag vergangener Woche an, er sei zwar Direktor, aber nicht Anteilseigner der Firmen gewesen sei. Zugleich demons­trierten 500 Menschen vor dem Regierungspalast in Buenos Aires für einen Rücktritt des Präsidenten.
Die Enthüllungen kommen der Regierung wenig gelegen, hat sie doch den Kampf gegen die Korruption und für einen transparenten Staat zu einem ihrer Hauptziele erklärt. Daher hat Macri vor einigen Monaten eine eidesstattliche Erklärung über sein Vermögen abgegeben. Korruption sei für ihn kein verhandelbares Thema, bemerkte er damals. Die Chefin des Antikorruptionsbüros und Parteifreundin Macris, Laura Alonso, beeilte sich nun, über Twitter zu verkünden: »Eine Firma in einem Steuerparadies zu gründen, ist keine Straftat.« Ungeachtet der Frage der Legalität solcher Unternehmungen hat die Enthüllung einen faden Beigeschmack, dienen derartige Firmenkonstrukte doch zumeist der Verschleierung von illegalen Geschäftspraktiken wie Steuerhinterziehung oder Geldwäsche. Dazu kommt, dass immer mehr prominente Mitglieder der Regierungspartei PRO (Propuesta Republicana) in den elf Millionen geleakten Dokumenten der »Panama Papers« auftauchen; unter ihnen der Kulturminister von Buenos Aires und der neue Geheimdienstchef.
Die zumeist regierungsnahen Medien nehmen sich nur zögerlich des Themas an. Sie berichten stattdessen tagtäglich unter dem Titel »Die Route des Kirchner-Geldes« über die Inhaftierung des korrupten Bauunternehmers Lázaro Báez, eines Vertrauten der Vorgängerregierung unter Cristina Fernández de Kirchner. Zwar gibt es wenig Zweifel, dass dieser unrechtmäßig bevorteilt wurde, aber einmal mehr wird deutlich, dass Justiz und Medien mehr nach politischer Neigung als nach Gesetzeslage agieren. Ohne den Rückhalt der Medien wäre es für Macri wesentlich schwerer, sich an der Macht zu halten.
Auch wenn ein baldiger Rücktritt momentan ausgeschlossen scheint, bekommt Macris Image immer mehr Kratzer. Denn er sucht den offenen Konflikt mit großen Teilen der Gesellschaft. Die Entfernung Zehntausender aus dem Staatsapparat rechtfertigte der 57jährige damit, dass durch einen verschlankten Staat mehr Arbeitsplätze geschaffen würden – eine eigenwillige Logik. Auch sagte er kürzlich: »Die Armen müssen sich nun eingestehen, dass sie jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt haben.« Der Druck auf die ökonomisch Schwachen erhöht sich dieser Tage durch die Verdoppelung der Preise für Bus- und Zugfahrten und die Erhöhung von Strom-, Wasser- und Gaskosten teils ums Sechsfache. Das alles bei einer Inflationsrate von etwa 40 Prozent und einer drohenden Rezession. Die Kaufkraft des ärmeren Teils der Bevölkerung hat seit Dezember um ein Viertel abgenommen. Unter dem Strich ist die Gesellschaft nach vier Monaten rechter Regierung gespaltener denn je.
Dieser Tage kommt es zum letzten Schuldenschnitt, bei dem die ausstehenden sieben Prozent der argentinischen Auslandsschulden beglichen werden sollen. Argentinien hatte nach dem Wirtschaftscrash von 2001 den Schuldendienst eingestellt, 93 Prozent der ausstehenden Zahlungen wurden mittlerweile umgeschuldet. Vor zwei Wochen hat der argentinische Senat der Zahlung der letzten Tranche in Höhe von etwa 12,5 Milliarden US-Dollar an die Gläubiger zugestimmt, einige besonders aggressive Hedgefonds erhalten davon 4,65 Milliarden US-Dollar, was einer Gewinnsteigerung von bis zu 950 Prozent entspricht. Nach 14 Stunden Sitzung hatten überraschenderweise auch weite Teile der kirchneristischen Senatsmehrheit dem Unterfangen zugestimmt. Finanzminister Alfonso Prat-Gay kommentierte im Anschluss triumphierend: »Eine Regierung ohne Mehrheiten in den Kongresskammern hat die Unterstützung von fast drei Vierteln der Abgeordneten erhalten.« In der Tat: Die linksperonistische Strömung rund um die ehemalige Regierungspartei Frente para la Victoria ist in Auflösung begriffen. Die Regierungen von Cristina und Néstor Kirchner hatten sich stets vehement geweigert, Hedgefonds wie NML Capital den vollen Nennwert der Staatsanleihen zu zahlen, die diese einst zu Ramschpreisen gekauft hatten.
Ziel der neuen Regierung ist eine Rückkehr an die Märkte. Sie will die Abwertung durch Rating-Agenturen beenden und wirtschaftlichen Aufschwung dank ausländischer Investitionen und Kredite herbeiführen. Weil argentinische Banken derzeit nur etwa 8,5 Milliarden US-Dollar bereitstellen können, musste sich Finanzminister Prat-Gay zuletzt außerhalb Argentiniens auf die Suche nach Geldgebern machen. Vergangene Woche wurde mit den Hedgefonds vereinbart, dass diese mit Vorrang am 18. April ausgezahlt werden. Wann die übrigen Schulden bedient werden müssen, ist derzeit noch unklar.
Während einer USA-Reise traf Prat-Gay Vertreter der Interamerikanischen Entwicklungsbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Ein Kredit einer der beiden Institutionen scheint wahrscheinlich. Erst kürzlich hatte US-Präsident Barack Obama bei seinem Antrittsbesuch in Argentinien erklärt, man werde in Zukunft wirtschaftlich enger zusammenarbeiten. Und die Ökonomin Monica de Bolle vom IWF-nahen Peterson Institute for International Economics in Washington sagte jüngst, die rechte Regierung Argentiniens sei »ungefähr die einzige gute Nachricht in Südamerika zurzeit«.