Der Film »Die Kommune«

Wohnst du noch im Kollektiv oder lebst du schon wieder als Paar?

Thomas Vinterbergs Film »Die Kommune« ist seine bislang persönlichste Kinoarbeit und eine kritische Hommage an die siebziger Jahre und die alternativen Lebensweisen.

Ein Bürgerpaar, recht erfolgreich, aber auch irgendwie am toten Punkt: Erik ist Architekturdozent, träumt aber von einer Karriere nach dem Gewinn eines Wettbewerbs. Seine Studenten und Studentinnen behandelt er mit gereizter Überheblichkeit; sympathisch ist dieser Kerl von Anbeginn an nicht. Seine Frau Anna ist eine bekannte Fernsehmoderatorin, vielleicht macht sie diesen Job schon ein bisschen zu lange. Ein warmes Herz hat sie wohl, auch für die 14jährige Tochter Freja, die sie möglicherweise bald nicht mehr brauchen wird. Ein wenig Angst vor dem Rest des Lebens ist da schon im Spiel.
Erik erbt eine geräumige Villa und möchte sie möglichst rasch wieder verkaufen. Der wahrscheinliche Verkaufspreis lässt seine Augen leuchten. Für Erik, Anna und Freja ist das Haus ja auch viel zu groß. Anna kommt aber eine andere Idee: Wie wäre es, wenn man mit einigen Freunden eine Wohngemeinschaft bildete? Eine Belebung, ein Abenteuer, eine Öffnung. Das Haus in Kopenhagen ist übrigens wunderschön und idyllisch gelegen, Natur und Stadt begegnen sich; das mit der »Erbschaft« hat einen doppelten Boden.
So treffen sich der »Altlinke« Ole, die »Ökos« Ditte und Steffen, deren kleiner Sohn Vilads an einer unheilbaren Herzkrankheit leidet (»Ich werde nur neun Jahre alt«, so lautet seine Begrüßung), Mona, die nicht geizig ist mit ihrem Körper, wie sie selber bekundet, und Allon, der sich als Migrant stets zurückgesetzt fühlt, nie die Miete zahlt und wenig von nordischer Ordnung hält. Alles bleibt in bürgerlichem Rahmen, man übertreibt es weder mit der Politik noch mit dem Sex. Und doch gerät dieses »Kollektivet« (so der Originaltitel) immer wieder in die kleinen und größeren Krisen, die ein engeres Zusammenleben eben so mit sich bringt. Trivial vielleicht, aber auch entscheidend für das Funktionieren eines Kollektivs von Bürgerinnen und Bürgern.
Die größte Krise aber betrifft Erik und Anna selbst: Erik verliebt sich in seine Studentin Emma; man versucht, sich zu arrangieren, auch Emma zieht ein. Die Fassade von Toleranz und Offenheit bröckelt jedoch rasch, was schließlich bei Anna zum Zusammenbruch führt. Das ist das Melodrama im lockeren Experiment.
Natürlich spielt das Stück auch mit dem autobiographischen Hintergrund; Thomas Vinterberg ist selbst in einer Kommune aufgewachsen und beschreibt seine Erinnerungen als »golden und warm«. Das ist die Voraussetzung des Films: dass der Regisseur dem Experiment, das eigentlich keines ist, wohlwollend gegenüber steht. Die bürgerlichen Beziehungen haben hier nicht aufgehört, selbst Mona lebt ihre Promiskuität außerhalb der Villa (und außerhalb des Films) aus; und auch Frejas erste Liebe hat nichts mit dem Kollektiv zu tun. Als sie ihren Freund präsentiert, geschieht dies auch nicht anders als in einer etwas größeren Familie. Golden und warm muss die Kindheit sein, damit man sie erfolgreich verlassen kann. Thomas Vinterberg wurde bekannt durch Filme, in denen der Schrecken, der in die Kindheit fällt, nicht wirklich aufgelöst wird. Traum und Trauma werden sich wohl immer umkreisen.
Die Personen haben alle ihre Schwierigkeiten, die sie mit einbringen; die Kommune ist einerseits die Phantasie eines Paares, das viel erreicht, aber irgendwie auch genauso viel verpasst zu haben scheint, es ist ein Anknüpfungspunkt für den »Altlinken«, es ist die ideale Lebensform für die ungebundene Mona, das korrekt gemütliche Heim für die Klein­familie der Engagierten und Alternativen, eine Art des Integrationsversprechens für Allon. Jede und jeder verspricht sich vom Zusammenleben etwas anderes, nimmt daher auch die anderen auf eine besondere Weise wahr. Die Kommune ist weniger eine alternative Lebensweise geworden als vielmehr eine Art Minigesellschaft. Eine, die drauf und dran ist, von einer Regel- und Diskursgemeinschaft mit dem Geborgenheitsversprechen zu einer geschlossenen Gesellschaft zu werden, in der, wie man von Jean-Paul Sartre weiß, die anderen nichts anderes als die Hölle sind. Aber es bleibt alles in der Balance, die Kommune überlebt am Ende das persönliche Drama. Oder ist es gar schlimmer? Nämlich so, dass das System sich stabilisiert durch die Katastrophe seines Elements? Hat man die Geschichte eines Opfers erlebt?
»Die Kommune« ist weder ein heftiges Statement wie Jean-Luc Godards »La Chinoise« noch Wohlfühlkino wie »Und wenn wir alle zusammenziehn« oder dessen deutsches Pendant »Wir sind die Neuen«. Der Film ist Vinterbergsches Krisenkino, bei dem es aber zivilisierter zugeht als in seinen Missbrauchsdramen, zu denen gleichwohl auch etliche Spuren führen, nicht zuletzt durch die Wahl der Schauspieler. Ulrich Thomsen und Trine Dyrholm waren schon in »Das Fest« zusammen zu sehen, damals waren sie Geschwister. Sie sind das Paar, an dem man Zweiheit in Gemeinschaft durchspielt. Es ist auch keine Fallstudie, wie es vielleicht Lukas Moodyssons »Zusammen« war, der in das Machtgefüge einer Landkommune führte. »Die Kommune« ist ein leichter Film, und er wird noch leichter im nachsichtig neugierigen Blick von Tochter Freja, die dann auch noch zur großen Befreierin der Mutter wird, die beinahe an der Unfähigkeit, die geschlossene Gesellschaft der Villa zu verlassen, zugrunde geht.
Das Verstörende dieses Films ist die große Normalität: Er erzählt eigentlich nur eine lineare Liebes- und Trennungsgeschichte mit Zeugen, die manchmal tröstend und manchmal auch nervend und eben hemmend wirken. Wollte man Vinterbergs Film als Statement über »alternative Formen des Zusammenlebens« ansehen, viel Bedeutendes käme da nicht heraus. Aber vielleicht ist eben dies das Statement eines Films, der auch in seinen Mitteln fast ganz und gar konventionell wirkt, auch wenn er sich hier und da ein paar arge Nahaufnahmen leistet. Golden und warm sind wirklich einige Szenen, das gemeinsame Baden in der kalten See, die Treffen am Esstisch und die gemeinsame Sorge um die Kinder. Aber umso heftiger greifen die Konflikte zu; diese Kommune wird weder zu einem Projekt der Selbstzerstörung noch zum psychosozialen Labor von Macht und Abhängigkeit. Es ist eben ein Lebensstil, den man wählt, so wie man andere wählen kann.
Es ist ein echtes Melodram, weil alle inneren Empfindungen und Charaktere gnadenlos ihren äußeren Ausdruck finden. Jeden einzelnen Menschen erkennt man hier nahezu vollständig an seiner Kleidung. Und wie das klassische Filmmelodram fokussiert der Film, zwischen von Trierschem spirituellen Sadismus und Empathieversuchen changierend, sich auf das Leiden der Frau. Anna ist ein Mensch (vielleicht auch Freja), alle anderen sind eher Typen, Zustände, Projektionen, Abspaltungen. Die Figuren sind nicht unbedingt zu Ende erzählt, aber das, was man so ein Geheimnis nennt, haben sie scheint’s auch nicht. Erik ist der in Karriere und Männeriden­tität Erstarrte, weniger erlöst als bestätigt durch Emmas Liebe und Verständnis. Anna auf dem Weg zum Zusammenbruch, der von der Kommune nicht aufgehalten werden kann, aber auch nicht zu vermeiden gewesen wäre, wenn sie bei Erik und in einer bürgerlichen Kleinfamilie geblieben wäre. Das nämlich wird sehr schnell klar: So wenig wie als politische Utopie taugt eine solche Wohngemeinschaft als Therapie­instrument.
Ob es auch ein Zeitporträt ist, das über eine Identifikation mit Kleidungsstilen und »Stimmung« hinausgeht? Natürlich hat das Experiment auch viel mit einer politisch-ökonomischen Situation der Siebziger zu tun, in der es noch ein gewisses materielles Urvertrauen gab und das »Prekäre« von Beschäftigungen noch kein Stigma war. Die Villa liegt nicht umsonst in einem Nobelviertel von Kopenhagen; das Experiment wird in einer Gesellschaft gewagt, die noch wenig weiß von ihren kommenden Krisen. Noch kann man es sich leisten, einen, der nichts zur Ökonomie beiträgt, durchzuschleppen wenn auch mit mildem Tadel. Das emotionale Experiment ist nur auf der Basis einer ökonomischen Sta­bilität zu denken, die es heute nicht mehr gibt. Die WG der Gegenwart ist in aller Regel nur eine soziale und finanzielle Notgemeinschaft, die auch emotional und moralisch funktionieren muss. Und dann: Wird ­unter der absehbaren »Führung« von Freja die Utopie wirklich erfüllt? Oder einfach nur langweilig? Denn so viel ist klar: Mit Anna geht auch der revolutionäre Elan.
Die Konflikte sind entweder zu klein, wie der Streit um das ordentliche Einzahlen in die Bierkasse, oder zu groß, wie eben der Versuch eines anderen Lebens. Dass aus Erik kein besserer Mensch wird, schon gar kein sozialerer und einfühlender, ist ebenso klar, wie dass das Happy End ein Notausgang ist. Bleibt Annas Idee zurück, aus der sie selbst verschwinden musste? Und ist das jetzt gut oder schlecht? Ist Anna auch so etwas wie eine Göttin, die von ihrer eigenen Schöpfung vertrieben wurde? Der Abschied von ihrer Tochter jedenfalls verlässt die Konvention des psychologischen Realismus. Sie ist es, die von ihrer Mutter das als Befreiung verkleidete Opfer verlangt (oder ist es umgekehrt?); und ihr allein ist zuzutrauen, Annas »Werk« zu vollenden: die Utopie der Liebe und der Solidarität, mit sozialer Vernunft und Toleranz gepaart. Eine spirituell-mythische Lesart (der Schatten Lars von Triers in Vinterbergs Arbeiten), eine politisch-gesellschaftliche (die Suche nach neuen Lebensformen, die nicht einfach radikal antibürgerlich sein können, sondern nur moderat reformerisch – sollte man sagen: »sozialdemokratisch«?), das Melodram (der ewige Verrat des Mannes): Beim Häuten dieses Zwiebelfilms gelangt man an eine Ursprungslegende vom Geschlechterkampf. Das ist wahlweise nihilistisch oder transzendental, in jedem Fall ist es sehr post-Dogma-dänisch.
Wie Lars von Trier arbeitet Thomas Vinterberg weniger mit Storys als mit Versuchsanordnungen, und wie dort, so scheitert auch hier die Verwandlung oder die Erlösung des Menschen, wie man es nimmt. Es ist eine Verdammung, die man erlebt. Am Ende siegt, nun, was »die Natur« (bei Lars von Trier) ist oder die Kultur (die Gesellschaft und die Norm bei Vinterberg). Die anarchischen Ausbrüche führen schließlich zu nichts als zur Akzeleration der emotionalen und geistigen Zusammenbrüche. Denn natürlich ist auch dies als Metapher zu verstehen, dass Anna ihren Job, die Darstellung einer Maske vor der Kamera, nicht mehr ausüben kann, Erik aber als Architekt mit dem Errichten von mehr oder weniger fixen Gebäuden endlich reüssiert. Das ist so, als wäre das alles auch ein existentieller Kampf der Geschlechter wie in »Antichrist«, nur eben leicht verborgen unter einer sanfter gewellten Oberfläche. Der Mann mag schon glauben, die Frau aus dem von ihr geschaffenen Paradies vertrieben zu haben. Aber auch dieser Erik ist zu dumm, das kommende Verhängnis zu sehen.
Also wäre dies die mit Leichtigkeit begonnene, dann schwermütiger werdende Beschreibung einer Ernüchterung. Auch ist die junge Geliebte für Erik offensichtlich zugleich eine Wiederholung der ersten Frau und eine neue Karriereallianz. Genauso wenig wie Erik seinen Egoismus überwindet, erfüllt Anna die Anforderung von Großzügigkeit und Toleranz, die sie an sich selbst stellt. Dann läuft es eben doch nicht auf ein »Lindenstraßen«-Potpourri von Schicksalen, wie das Leben so spielt, hinaus, genauso wenig wie auf eine Untersuchung über das Funktionieren oder Nichtfunktionieren von Wohngemeinschaften jenseits des Studentenalters. Man könnte das auch wiederum als eine ironische Distanzierung ansehen. Das Bürgertum überlebt alle Revolutionen, auch die am eigenen Körper.
Der Wunsch nach einem anderen Leben führt in die Katastrophe, oder aber: Die Katastrophe der Gefühle ist nicht abwendbar, auch nicht durch eine alternative Lebensform. Anders herum: Die Frau, die das Lebensexperiment begonnen hat, Anna, ist die einzige, die schließlich daraus vertrieben wird. (Die Revolution verstieß ihre Mutter.) Die Lebensgemeinschaft funktioniert weder, noch funktioniert sie nicht. Die einzelnen Lebensentwürfe werden moderiert, aber das System ist nicht unendlich belastbar. Es kann einige Probleme lösen und es schafft andere Probleme. »Die Kommune« ist in Wahrheit die Geschichte von Erik und, vor allem, Anna. Aber die anderen sind immerhin präsent genug, dass man sich für jeden Teil, jedes Paar, jede Person einen eigenen Film vorstellen kann. Vermutlich wäre »Die Kommune« idealer Stoff für eine Fernsehserie, weniger der »Lindenstraßen«-Art, mehr dem neuen Format zugehörig, das es nie ohne Weltenuntergang tut. Dann würde man vielleicht auch erfahren, was es mit dem Wahn von Ole auf sich hat, die Dinge, die die anderen allzu achtlos herum liegen lassen, zu verbrennen, oder warum Allon so leicht in Tränen ausbricht, wenn er auch nur argwöhnen kann, zurückgewiesen zu werden, oder ob es mit dem Lebensspaß von Mona wirklich so weit her ist. Woran das Experiment »gescheitert« ist, bleibt ebenso offen: Erik, dieser Egoist, der andere Menschen nur erkennt, sofern sie ihm nutzen und er sich durch sie bestätigt sieht, oder Anna, die sich eine Maske der Toleranz anzieht, wo sie doch von Verzweiflung und Verlustangst getrieben ist. Ihre kurzfristige Hoffnung auf eine Liebe zu dritt scheitert nicht nur an den beiden anderen Enden des erotischen Dreiecks, sondern auch an der familiären und bürgerlichen Struktur der Kommune selbst. Der Innenraum und der Außenraum der Revolution offenbaren auch in diesem Film ihre Dialektik nicht.
Es ist vielleicht die Schwäche und die Stärke dieses Films, dass er auf so verschiedene Weisen interpretierbar ist. Und auch das gehört dazu, dass es sich im Prinzip um ein Theaterstück handelt (uraufgeführt am Wiener Burgtheater). Immer hat man das Gefühl, dass die Kamera zwar kompetent und flüssig dokumentiert, aber eigentlich überflüssig ist. Die filmische Auflösung der Szenen lenkt eher vom Stoff ab, als ihm eine neue Dimension zu geben. Und irgendwie, man kennt das, wächst der Argwohn, hinter einem formalen Problem stecke möglicherweise auch ein gedankliches. Es hat, vermutlich, mit Raum und Bewegung zu tun.
Die Kommune (Dänemark/Niederlande/ Schweden 2016), Regie: Thomas Vinterberg, Darsteller: Ulrich Thomsen, Trine Dyrholm, Helene Reingaard Neumann. Filmstart: 21. April