30.06.2016

»Von Polizisten umzingelt«

Über Jahre konnten LGBTI in Istanbul weitgehend ungestört die jährliche Istanbul Pride feiern – trotz Homophobie und Sexismus im Alltag. Doch im vergangenen Jahr griff die Polizei die Parade an und löste sie gewaltsam auf. Dieses Jahr wurde die Pride verboten. Die grüne EU-Abgeordnete Terry Reintke sowie Gönül Eğlence und Felix Banaszak von den Grünen in Nordrhein-Westfalen waren am Wochenende in Istanbul. Sie wollten eine Presseerklärung der Istanbul Pride verlesen und wurden von der Polizei eingeschüchtert, Banaszak wurde festgenommen. Sie haben mit der Jungle World gesprochen.

Sie wurden von der türkischen Polizei bedrängt und festgenommen. Was ist genau passiert?
Banaszak: Gemeinsam mit türkischen Freundinnen und Freunden gingen wir auf den Tünel-Platz und wurden in kürzester Zeit von Polizisten umzingelt und getrennt. Dabei ist Max, ein deutscher Aktivist, zu Boden geworfen und dann auch abgeführt worden. Wir haben versucht, gemeinsam hinterherzukommen, um seine Ingewahrsamnahme zu verhindern. Dabei wurde ich ebenfalls von Polizisten mitgenommen. Die ganze Situation war äußerst angespannt, die Polizisten reagierten aggressiv. Man sagte, wir kämen nach kurzer Identitätsfeststellung wieder frei. Stattdessen gingen die Türen zu und der Bus setzte sich in Bewegung. Auf der Istiklal-Straße sahen wir die Szenen und spürten auch das Tränengas durch ein geöffnetes Fenster. Mit der Zeit zeichnete sich ab, dass wir zunächst zur medizinischen Kontrolle in ein Krankenhaus gebracht würden und danach zur Polizeiwache. Der ganze Prozess zog sich über Stunden. Eine direkte Ausweisung aus dem Land stand im Raum. Wir kontaktierten das Konsulat und eine Anwältin. Am Ende ist alles gut ausgegangen, aber der Schock der Ingewahrsamnahme ist erst Stunden nach der Freilassung gewichen.
Wie ist angesichts der vielen schlechten politischen Veränderungen die Stimmung in Istanbul, insbesondere bei LGBTI?
Reintke: Zumindest in Teilen scheint die Strategie der Regierung aufzugehen: Viele Menschen haben Angst und sind eingeschüchtert.
Eğlence: Das Land ist spürbar immer mehr auf dem Weg in ein Kontrollregime. Auf der einen Seite stehen die staatliche Repression sowie die gewohnte Ungeduld und Härte, auf der anderen Seite stehen gewaltbereite Gruppierungen, die sich offensichtlich vom Staat ermutigt oder zumindest geduldet fühlen. Das macht den Raum für LGBTI immer kleiner.
Im vorigen Jahr löste die Polizei die Istanbul Pride gewaltsam auf und es kam zu Auseinandersetzungen. Dieses Jahr wurde die Pride verboten. Wie haben die LGBTI darauf reagiert?
Reintke: Die Organisatorinnen der Pride haben vorher immer wieder versucht, das Gespräch mit den Behörden zu suchen. Als dennoch das Verbot bekanntgegeben wurde, haben sie zu dezentralen Aktionen aufgerufen. Sie wollten klarmachen: Ihr könnt die Pride verbieten, aber diese Pride und unsere Existenz werden wir nicht verstecken. Die Reaktion der Regierung bestand in vermehrten Festnahmen und Gewalt auch gegen kleine Solidaritätsaktionen.
Eğlence: Die Organisatorinnen haben international dazu aufgerufen, sich aktiv an ihre Seite zu stellen. Für sie bedeutet die internationale Unterstützung vor allem, dass sie sichtbar bleiben, um weiterhin für ihre Sache kämpfen zu können. Um sie bei ihrem wichtigen Kampf zu unterstützen, waren wir auch im vergangenen Jahr hier, deshalb waren wir jetzt hier und deshalb kommen wir auch im nächsten Jahr wieder.
Unter der autoritären AKP-Regierung scheinen die Freiräume für türkische und kurdische Aktivisten immer kleiner zu werden. Wie reagieren diese Menschen darauf?
Reintke: In erster Linie nach wie vor mit Widerstand. Die Stärke und Durchhaltekraft der Aktivisten ist unglaublich. Allerdings werden die Bedingungen, unter denen der Kampf für Menschenrechte, Demokratie und Gerechtigkeit stattfindet, immer härter.
Eğlence: Das Alltagsleben der Menschen in der Türkei ist stark von der Staatsmacht in Form von Polizeiaufgeboten beeinflusst. Neben der autoritären Staatsmacht existiert aber auch eine nicht sehr kleine Gruppe von Demokraten, die sich sowohl als Menschenrechtsaktivisten einsetzen als auch für ein solidarisches Miteinander stehen. Um diese Menschen sollte es der internationalen Staatengemeinschaft gehen, sie dürfen nicht alleingelassen werden.