Kommentar - Das Kabinett der neuen britische Premierministerin

Austreten mit Gefühl

Das Kabinett der neuen britischen Premierministerin Theresa May knüpft programmatisch an das ihres Vorgängers an.

Boris Johnson hat vermutlich einen der unangenehmsten Jobs, den Europa derzeit zu vergeben hat. Als frischgekürter Außenminister Großbritanniens ist der ehemalige Londoner Bürgermeister der auf dem Kontinent wohl am meisten verachtete Politiker. Sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault bezeichnete ihn als »Lügner, der mit dem Rücken zur Wand steht«. Viele Politiker aus anderen EU-Staaten dürften ähnlicher Meinung sein.
Dennoch ist Johnsons Ernennung ein geschickter Schachzug der neuen britischen Premierministerin Theresa May. Sie hat damit einen ihrer potentiellen Kritiker auf einen wenig einflussreichen Posten in ihrem neuen Kabinett gehievt. Die wichtigen Entscheidungen werden hingegen künftig von David Davis, dem Minister für den EU-Austritt, und Liam Fox, dem neuen Minister für internationalen Handel, getroffen. Beide sind altgediente EU-Gegner. Die symbolträchtigste Entscheidung betrifft jedoch die Finanzen. Mit Schatzkanzler George Osborne wurde eine zentrale Figur aus der früheren Regierung von David Cameron entlassen. Osborne steht wie kein anderer für die harte Sparpolitik der vergangenen Jahre.
May ist nun mit großen Herausforderungen konfrontiert. Sie muss den Austritt aus der EU einleiten und darf zugleich die Verbindung zum europäischen Binnenmarkt nicht verlieren. Sie muss verhindern, dass sich Schottland abspaltet und damit das Königreich zerbricht. Und sie muss die vielen Unzufriedenen für sich einnehmen, die bei der nächsten Wahl für Labour oder Ukip stimmen könnten.
Mit dem personellen Neuanfang hat sich May zwar von ihrem glücklosen Vorgänger abgesetzt. Inhaltlich knüpft sie aber an die Programmatik Camerons an. Dieser hatte zu Beginn seiner Amtszeit den Begriff des »mitfühlenden Konservatismus« genutzt, um wieder Mehrheiten für die Tories zu gewinnen. Von den sozialen Versprechen Camerons blieb jedoch nach der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht viel übrig. May greift den alten Begriff wieder auf und verbindet ihn mit den Versprechen der Befürworter des EU-Austritts. »Das ist ein neuer Konservatismus«, erklärte sie in ihrer Rede nach der Wahl zur Parteivorsitzenden. »Wir glauben nicht nur an Märkte, sondern auch an Gemeinschaft. Wir glauben nicht nur an Individuen, sondern auch an Gesellschaft.« Sie wolle alle Menschen vertreten, nicht nur die Privilegierten, sagte sie.
Der ausgelaugte britische Wohlfahrtsstaat kann aber ohne eine prosperierende Wirtschaft nicht funktionieren. Dafür sollen nun Freihandelsabkommen sorgen, die Großbritannien zuerst mit Europa und dann mit der restlichen Welt abschließen will. Manche Austrittsbefürworter träumen sogar davon, dass sich die Insel in ein zweites Singapur verwandeln könnte, in ein internationales Handels- und Finanzzentrum. Es spricht jedoch wenig dafür, dass das gelingen wird. Ein Modell könnte zwar das Freihandelsabkommen Ceta sein, welches die EU gerade mit Kanada verhandelt. Allerdings sind darin Finanzdienstleistungen, die für die britische Wirtschaft elementar wichtig sind, explizit ausgeschlossen. Zugleich steht Großbritannien unter Druck, trotz EU-Austritt weiterhin für ausländische Investoren attraktiv zu bleiben.
Wenn die »neue globale Identität« Großbritanniens, von der die Austrittsbefürworter so gerne fabulieren, nicht schnell Konturen annimmt, wird die neue Regierung wieder zu den alten Methoden greifen müssen, um Standortvorteile zu generieren – indem sie Löhne und Gehälter senkt. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Versprechen der Tories in sein Gegenteil verkehrt.