Die Rolle der USA beim Konflikt zwischen der Türkei, den Kurden und dem IS

Rudern am Euphrat

Mit der türkischen Intervention in Nordsyrien mischt sich ein weiterer Akteur in den Konflikt ein. Die komplizierte Gemengelage spiegelt sich in der Bündnispolitik der USA wider, die nun kräftig taktieren müssen.

Schnell war zu hören, die USA ließen ihre kurdischen Verbündeten fallen. Immerhin schlachtete die türkische Regierung genüsslich aus, dass ihre Militäroperation in Nordsyrien, die sich erklärtermaßen auch gegen die YPG richtet, in Absprache mit den USA erfolge. Auch deren Aufforderung an die kurdischen Milizen, sich – wie von der Türkei gefordert – hinter den Euphrat zurückziehen, mag den Eindruck eines Verrats verstärkt haben. Doch so einfach ist das nicht, schon gar nicht in Syrien, wo fast alle beteiligten Akteure in diplomatische Dilemmata kommen. So erklärte das US-Zentralkommando nur kurze Zeit später, dass die türkische Offensive in dieser Form nicht abgesprochen und besorgniserregend sei. Außerdem ließ Verteidigungsminister Ashton Carter verlauten, die YPG hätten sich bereits zurückgezogen, Angriffe auf diese seien inakzeptabel.
Was immer es an Absprachen zwischen den USA und der Türkei gegeben hat, sie waren gewiss nicht das Resultat inniger Freundschaft, sondern misstrauischen Taktierens. Der störrische Nato-Partner, der sich Russland annähert und den syrischen Diktator Bashar al-Assad plötzlich okay findet, soll bei der Stange gehalten werden. Dass man dabei türkische Forderungen vermeintlich unterstützen konnte, ohne mit der bisherigen Bündnispolitik zu brechen, liegt im taktischen Spielraum begründet, den das zwar kurdisch ­geführte, aber multiethnische Militärbündnis Syrian Democratic Forces (SDF) bietet. Unlängst haben die USA klar gemacht, dass ein Rückzug der kurdischen Milizen nicht heiße, dass die türkisch unterstützten Truppen die von den SDF befreiten Gebiete westlich des Euphrat attackieren könnten. Damit liegen die USA auf der Linie der kurdischen Darstellung, jene Gebiete würden vorwiegend von arabischen und turkmenischen SDF-Einheiten gehalten.
Eben diese Differenzierung möchte die Türkei nicht zulassen. Für sie sind die SDF nur eine Tarnorganisation, die den kurdischen Territorialbestrebungen einen multiethnischen Anstrich verleihen soll. So erklärt sich auch, mit welchem Eifer Bilder von gefangenen SDF-Soldaten zur Schau gestellt werden, die beweisen sollen, dass es sich um kurdische Kräfte handle. Dass es der Türkei bei ihrem Einsatz vor allem um deren Bekämpfung geht – Bilder von gefangenen Kämpfern des »Islamischen Staats« (IS) sucht man vergeblich –, wird von offizieller Seite auch so kommuniziert: Die YPG würden den »Hammer« der türkischen Armee zu spüren bekommen, die syrische Kurdenpartei PYD solle beseitigt werden, sogar Kobanê, jenes Symbol des Widerstands gegen den IS, wolle man ihr entreißen.
Diese Bestrebungen zu unterstützen, kann nicht im Interesse der USA sein. Die Regierung Barack Obamas möchte bis zum Ende ihrer Amtszeit darauf verweisen können, den IS weitestgehend besiegt zu haben. Die Türkei aber, so betont die kurdische Seite richtig, verschaffe dem IS eine »Atempause«. Tatsächlich wirkt die Operation für den IS entlastend. In den bisher eingenommenen Städten leistete er keinen nennenswerten Widerstand, sondern zog sich geordnet zurück. Für eine Organisation, die sonst wie ein Heer von Zombies agiert, ist das untypisch. Da der IS auch nicht erwarten muss, in seinem Kerngebiet um Raqqa von der Türkei angegriffen zu werden, kann er nun seine Kräfte an der Südflanke der Kurden konzentrieren, deren Kräfte durch die türkische Bedrohung im Westen, aber auch im Norden an der türkischen Grenze gebunden werden. Dass die YPG nun ganz sicher keinen Vorstoß auf die IS-Hauptstadt wagen werden und ihre Kräfte zur Selbstbehauptung benötigen, haben sie den USA deutlich mitgeteilt.
Vor allem aber könnte der IS seine Verbindungslinie in die Türkei aufrechterhalten. Dafür, dass diese das Einsickern von Jihadisten nach Syrien eher toleriert als bekämpft, gibt es ebenso Indizien wie für Handel mit dem IS. Zumindest die PYD behauptet, im länger vom IS gehaltenen Grenzort Tel Abyad Dokumente sichergestellt zu haben, die einen Ölhandel im Umfang von 20 Millionen Euro monatlich belegen. In jedem Fall steht der Großteil der an der türkischen Offensive beteiligten Verbände, die unter dem Feigenblatt der Free Syrian Army (FSA) agieren und nun die Nachbarschaft zwischen der Türkei und dem »Kalifat« absichern, dem IS ideologisch relativ nahe. So sollen etwa Mitglieder der Miliz Harakat Nour al-Din al-Zenki, die vor kurzem mit der Enthauptung eines Zehnjährigen auf sich aufmerksam machten, ebenso beteiligt sein wie solche der jihadistischen Koalition Ahrar al-Sham.
Derlei Organisationen gelten zwar als innerislamistische Konkurrenz zum IS, die Auseinandersetzungen mit diesem haben in den vergangenen Monaten aber deutlich abgenommen. Vielmehr zeichnet sich eine Annäherung unter den Vorzeichen eines gemeinsamen Feindbilds ab. Ahrar al-Sham werden etwa Bestrebungen nachgesagt, mit der ehemaligen al-Nusra-Front zusammenzugehen. Und dieser al-Qaida-Sprössling hängt ebenso der Kalifatsidee an. Bei aller Konkurrenz, in einem von machtpolitischem Taktieren geprägten Krieg ist ein Bündnis mit dem IS nicht ganz auszuschließen. So oder so, durch die türkische Intervention gewinnt das jihadistische Lager weiter an Boden und der IS wird gestärkt. Das macht die kurdischen Kräfte aber umso unverzichtbarer für die USA.