Parlamentswahl in Russland wird die Regierungspartei gewinnen, doch es gibt soziale Proteste

Einiges im Argen

In Russland wird das Parlament neu gewählt, die Regierungspartei Einiges Russland wird voraussichtlich ihre Macht sichern. Verschiedene soziale Prostestbewegungen versuchen derweil, sich Gehör zu verschaffen.

Wie man Parlamentswahlen auch ohne Wahlversprechen gewinnen kann, demonstriert derzeit die Partei Einiges Russland. Gewählt wird am 18. September, aber der Sieger steht bereits fest. Nicht wer die meisten Stimmen erhält, erregt Aufmerksamkeit, sondern auf welche Weise dies vonstatten geht. Wobei sich das Interesse am an Skandalen armen Wahlkampf der insgesamt 14 zugelassenen Parteien in Russland generell in Grenzen hält. Als vor knapp fünf Jahren die jetzige Duma gewählt wurde, kochten die Gemüter. Oppositionelle Parteien mussten sich über zahlreiche Hindernisse hinweg den Zugang zu legalen Wahlkampfmethoden regelrecht erstreiten und der Aufruf des nationalistischen Antikorruptionspolitikers Aleksej Nawalnyj zur Stimmabgabe egal für welche Partei, Hauptsache nicht für das »diebische und betrügerische« Einige Russland, sorgte damals für Spannung. Um ihre Überlegenheit unter den gegebenen Bedingungen zur Schau stellen zu können, nutzte die Regierungspartei unsaubere Methoden, die allerdings eine ganze Armee an Wahlbeobachtern aufdeckte. Daraufhin zwangen lange nicht mehr dagewesene Massenproteste die Regierung zum Handeln.
Konsequenzen hat die russische Führung in der Tat aus diesem Debakel gezogen – aber anders als von den Protestierenden gefordert. Wie am Fließband folgte eine Gesetzesverschärfung der anderen, wurden missliebige Organisationen als »ausländische Agenten« abgestempelt, das Demonstrationsrecht ad absurdum geführt und Kontrollmechanismen derart ausgeweitet, dass nur deren punktuelle und zielgerichtete, da allumfassend unmögliche Anwendung noch einen Rest rechtlich garantierter bürgerlicher Freiheiten verspricht.
Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Dumawahl in diesem Jahr moderat aus. Zum einen versucht die Wahlaufsichtsbehörde unter ihrer neuen Leitung Exzesse von vornherein zu unterbinden. Zum anderen eröffnet die Wiedereinführung von Direktmandaten einigen oppositionellen Kandidaten die Chance auf einen Sitz in der Duma. In 18 Wahlkreisen stellt Einiges Russland nicht einmal einen eigenen Kandidaten auf. Für einen ausgefeilten und publikumswirksamen Wahlkampf fehlt es der politischen Konkurrenz meist an Ressourcen, an Fernsehdebatten darf sie indes sehr wohl teilnehmen. Das gereicht ihr jedoch nicht unbedingt zum Vorteil, da der Ablauf solcher Auftritte im russischen Staatsfernsehen besonderen Regeln folgt. Selbst ein kleiner Fauxpas Oppositioneller wird aufgebläht, sachliche Kritik am Einigen Russland jedoch dezent ausgeblendet. Engagiert ein Spitzenkandidat einer oppositionellen Partei als Wahlhelfer einen landesweit bekannten Neonazi, so geschehen bei der Partei der Volksfreiheit (Parnas), bietet er sich den von der Regierung kontrollierten Medien ohnehin selbst als Zielscheibe an.
Dass der Wahlkampf des Einigen Russland nicht fair verläuft, liegt auch an der Initiative lokaler Stadtverwaltungen, die oft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für einzelne Parteikandidaten werben, trotz anderslautender Vorschriften. Als schlagkräftigstes Argument für die Regierungspartei dient deren staatlicher Rückhalt. Wurde in der Vergangenheit beispielsweise ein oppositioneller Bürgermeister gewählt, so sind ihm im Regelfall die Hände gebunden, da Investitionen aus regierungsnahen Quellen dann ausbleiben. Damit punkten Dumakandidaten des Einigen Russland auch jetzt beim Wahlkampf, was beispielsweise bei Wahlwerbung in unterfinanzierten Kindergärten oder Polikliniken durchaus Eindruck hinterlässt.
Überhaupt ist der Fokus bei den Wahlen auf lokale Fragen gerichtet. Die Staatskassen sind leer, die Suche nach Mitteln zur Anhebung der Renten verläuft erfolglos, allgemeine Wahlversprechen, wie sonst üblich, ließen sich nicht einhalten, insofern wirkt es glaubwürdiger, sich den Problemen vor Ort zu widmen. Die Direktive aus der Präsidialverwaltung lautet, unter aktiver Einbindung der lokalen Bevölkerung Verbesserungen vor Ort zu erwirken. Vertrauen statt Manipulation, so in etwa formulierte es deren stellvertretender Leiter Wjatscheslaw Wolodin. Das klingt jedoch eher nach einer Wahl­finte und käme fast einer Revolution gleich, würde das Konzept realisiert. Dann nämlich würde den Machthabern in Moskau die Unterstützung des lokalen Staatsapparats abhanden kommen, der seine Loyalität durch zügellose Bereicherung unter Beweis stellt.
Einen Monat vor der Dumawahl machten sich Landwirte aus dem Krasnodarer Gebiet in Richtung der russischen Hauptstadt auf, um dem Kreml aus erster Hand Bericht über die Zustände in der an fruchtbaren Böden reichen Region zu erstatten. Sie sehen sich mit illegalen Landenteignungen zugunsten mächtiger Agroholdings konfrontiert, die sich mit staatlicher Unterstützung immer weiter ausbreiten. Korrupte Gerichte und Verflechtungen innerhalb staatlicher und juristischer Instanzen machen es Einzelnen praktisch unmöglich, rechtliche Ansprüche geltend zu machen. Zum Marktführer aufgestiegen ist der Unternehmenskomplex des vormaligen Gouverneurs des Krasnodarer Gebiets, Alexander Tkatschow, der seit dem vergangenen Jahr das Amt des russischen Landwirtschaftsministers innehat.
Die 17 Traktoren und einige Dutzend PKW kamen jedoch nicht weit. Nach zahlreichen Straßenkontrollen wurden die Protestierenden in Rostow von Polizeipatrouillen und Angehörigen des Zentrums für Extremismusbekämpfung sowie des Inlandsgeheimdienstes FSB endgültig gestoppt, mit Geldstrafen belegt und durch tagelange Haft vorübergehend aus dem Verkehr gezogen. In einer der Siedlungen, aus denen die Landwirte stammen, erfolgten strenge Kontrollen durch 17 verschiedene Behörden. Medienberichte finden sich darüber jedoch nur in überregionalen Zeitungen oder im Netz, denn für die Lokalpresse ist das Thema aus Sicherheitsgründen tabu.
Betroffen von den repressiven Maßnahmen waren auch LKW-Fahrer, die sich im Frühjahr als Interessenverband organisiert hatten und den Landwirten solidarisch beistanden. Der Kampf gegen eine Schwerlastabgabe und für bessere Arbeitsbedingungen für Fernfahrer gilt den Landwirten, die bislang nur über ein loses überregionales Netzwerk verfügen, als Vorbild. In ihrem Namen tritt bislang nur ein Sprecher auf, Wassilij Melnitschenko, dem es im Frühjahr gelungen war, sich bei einer Livesendung im Fernsehen einzuklinken, in der Präsident Wladimir Putin Gast war. Der aus dem Ural stammende Melnitschenko, bekannt für seine lockeren Sprüche, kandidiert für die Duma. Seine Position deckt sich mit der vieler Menschen in Russland, wonach es der Präsident schon richten werde, nur sei er eben nicht über alle Missstände im Land informiert.
Dieser Ansatz entbehrt nicht einer gewissen Logik. Zumindest scheint er mehr zu versprechen als der Dialog mit lokalen Staatsvertretern, der, falls er überhaupt zustande kommt, auf eine schnelle Beilegung von Protesten ausgerichtet ist, nicht aber auf die Beseitigung der Ursachen für den Unmut. Aber wirklich erfolgreich war damit noch keine Protestbewegung.