Der ehemalige UÇK-Kommandant Ramush Haradinaj wurde festgenommen

Nicht zu fassen

Vergangene Woche wurde der kosovarische Politiker Ramush Hara­dinaj am Flughafen Basel-Mülhausen festgenommen. Serbien wirft ihm vor, als UÇK-Kommandant Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Seine Anhänger nannten ihn »Faust Gottes«, für seine Gegner ist er ein Kriegsverbrecher: Auf dem Flughafen Basel-Mülhausen in Frankreich wurde am Mittwoch vergangener Woche der ehemalige Kommandant der »Befreiungsarmee des Kosovo« (UÇK) und kurzzeitige Ministerpräsident des Kosovo, Ramush Haradinaj, festgenommen. Seine Inhaftierung erfolgte auf Grundlage eines internationalen Haftbefehls, der von Serbien erlassen worden war. Die serbische Regierung wirft Haradinaj vor, für Kriegsverbrechen während des Kosovo-Kriegs verantwortlich zu sein. Die französische Justiz prüft derzeit, ob sie den kosovarischen Oppositionspolitiker ausliefert. Zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Serbien und dem Kosovo sorgte die ­Inhaftierung für einen diplomatischen Eklat. Für die meisten Serben ist Haradinaj ein Kriegsverbrecher, für viele Kosovo-Albaner ein Freiheitskämpfer und Nationalheld.
Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić bestätigte das Vorhaben, Haradinajs Auslieferung zu be­antragen: »Serbien wirft ihm zahlreiche kriminelle Taten vor, niemand hat das Recht, eine unabhängige Strafverfolgung zu unterwandern.« Der kosovarische Präsident Hashim Thaçi zeigt sich empört: »Die Verhaftung ist in­akzeptabel und ungerechtfertigt. Die UÇK hat einen Krieg für die Freiheit und Unabhängigkeit des Kosovo und gegen den Völkermord des Slobodan Milošević geführt.« Der kosovarische Oppositionsführer Visar Ymeri warf Thaçi trotzdem vor, der Normalisierungsprozess mit Serbien stärke »den Feind« und müsse abgebrochen ­werden.
Vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wurde Haradinaj bereits zweimal aus Mangel an Beweisen freigesprochen, allerdings auch, weil wichtige Zeugen eingeschüchtert oder ermordet worden waren. Der erste Freispruch erfolgte 2008, der zweite im November 2012. Dem serbischen Sonderstaatsanwalt Vladimir Vukčević zufolge sollen 19 potentielle Zeugen, die gegen Haradinaj aussagen sollten, unter mysteriösen Umständen ums ­Leben gekommen sein.
Angeklagt war Haradinaj unter anderem wegen der Beteiligung an Folter, Mord, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und der Verschleppung von Zivilisten. Unter den Opfern waren nicht nur Serben, sondern auch zahlreiche Roma und Albaner, die sich der UÇK widersetzt hatten. Das Gericht sah die geschilderten Verbrechen zwar als erwiesen an, sah aber »keine direkten Beweise« für die Beteiligung des Angeklagten an einem »gemeinsamem kriminellen Unternehmen« und sprach Haradinaj daher frei. Es gelang dem ICTY nicht, die UÇK-Führer für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Der früheren Chefanklägerin des ICTY, der Schweizerin Carla Del Ponte. zufolge lag das auch am Desinteresse der Politik im Kosovo und im Westen. Sie wirft Politikern vor, sich in die Justiz eingemischt und eine Verurteilung von Verbrechen erschwert zu haben.
Nach seinem Wehrdienst zog Haradinaj nach Luzern, wo sein Onkel ein Bauunternehmen leitete. Er erhielt ­politisches Asyl und schlug sich von 1989 bis 1997 mit Gelegenheitsjobs als Türsteher, Sicherheitsmann und Kampfsporttrainer durch. In der Schweizer Diaspora begann er auch, den bewaffneten Kampf im Kosovo vorzubereiten. Nach einem militärischen Training in Albanien zog Haradinaj mit einer bewaffneten Gruppe, zu der auch seine Brüder Daut und Shkelzen gehörten, in den Kosovo. Dort machten sie sich mit Überfällen auf serbische Polizeistationen einen Namen, woraufhin Haradinaj in seinem Herkunftsgebiet Dukagjin zum Kommandanten der UÇK ernannt wurde. Seine Anhänger nannten ihn »die Faust Gottes«.
Es ist kein Zufall, dass mit Hashim Thaçi und Ramush Haradinaj zwei ehemalige UÇK-Kommandierende und mutmaßliche Kriegsverbrecher zu den wichtigsten Politikern im Land aufstiegen. Die westlichen Regierungen störten sich nach dem Kosovo-Krieg nicht an den kriminellen Aktivitäten Haradinajs, die, wie der BND berichtet, von Drogen- und Waffenschmuggel bis hin zum illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren reichten. Man arbeitete stattdessen mit Haradinaj zusammen am nation building im Kosovo. Er brachte es im Dezember 2004 sogar zum Ministerpräsidenten des Kosovo, trat aber nach 100 Tagen im Amt zurück, um sich den Vorwürfen des ICTY zu stellen.
Trotz seines zweifachen Freispruchs in Den Haag läuft weiterhin ein Haft­befehl gegen Haradinaj, der von Serbien erlassen wurde. Deswegen wurde er ­bereits im Juni 2015 in Slowenien festgenommen, allerdings nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Wahrscheinlich wird Frankreich ebenso verfahren, weil die Freisprüche juristisch eindeutig sind. Eine Auslieferung Haradinajs an Serbien wäre eine Sensation, die für viel Konfliktstoff zwischen Serbien und dem Kosovo sorgen würde. Derweil regieren im Kosovo viele Politiker, die den Staat als Selbstbedienungsladen betrachten. Daran krankt das Land weiterhin.