Sahra Wagenknecht gibt erneut die Populistin

Wagenknechts Grenzöffnung

Die Spitzenkandidatin der Linkspartei für den Bundestagswahlkampf nutzt Rhetorik aus der AfD-Mottenkiste.

Schon wieder sorgt Sahra Wagenknecht für heftige Auseinandersetzungen in der Linkspartei. Die Fraktionsvorsitzende gab Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitverantwortung für den islamistischen Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Dem Stern sagte sie in einem Interview Anfang Januar, ­diese Mitverantwortung sei vielschichtig und bestünde etwa in der »unkontrollierten Grenzöffnung«, der »kaputtgesparten Polizei« und Merkels Unterstützung der »Ölkriege der USA«.
Während letzteres eine altbekannte antiimperialistische Unterstellung ist, gehört es mittlerweile zum Standard­repertoire des rechtskonservativen Lagers, Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik die Verantwortung für ­Terroranschläge zu geben. Der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell etwa kommentierte das Attentat auf den Weihnachtsmarkt mit den Worten: »Es sind Merkels Tote.« Sprachlich bleibt Wagenknecht, die mittlerweile zur Spitzenkandidatin für den Bundestagswahlkampf gekürt wurde, zwar dahinter zurück, in der Sache zeigt sie allerdings Einigkeit mit dem Rechtspopulisten. Ohne Merkels Politik der »unkon­trollierten Grenzöffnung« wäre das alles nicht passiert.
Umgehend konnte Wagenknecht das Lob einiger AfD-Spitzenfunktionäre für sich verbuchen. Pretzell nannte Wagenknecht »eine kluge Frau« und die Parteivorsitzende Frauke Petry fragte: »Linke stramm auf AfD-Kurs?« Wagenknechts eigener Parteivorsitzender Bernd Riexinger hingegen ließ wissen, es sei »in höchstem Maße falsch und gefährlich«, einen Zusammenhang zwischen Terrorismus und Flüchtlings­politik herzustellen. Man werde »innerparteilich ganz klar kommunizieren, dass sich auch die Spitzenkandidaten an die Programmatik zu halten haben«. Für seine Partei machte Riexinger klar: »Wir kritisieren Frau Merkel nicht dafür, dass sie die Grenzen nicht geschlossen hat. Das muss unmissverständlich sein.« Zahlreiche Linkspartei-Funktionäre aus Bund und Ländern äußerten sich in ähnlicher Weise kritisch über ihre Genossin.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht mit derlei Parolen auffällt. ­Immer wieder formuliert sie Sätze, die aus einem Rhetorik-Seminar der AfD stammen könnten. Als es in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch Gruppen junger Männer vornehmlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum kam, sagte Wagenknecht in einer Pressekonferenz: »Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt.« Schon nach dem Bombenanschlag in Ansbach im Juli vergangenen Jahres verlautbarte sie, dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen mit erheblichen Problemen verbunden sei »und sehr viel schwieriger ist, als Frau Merkel uns das im letzten Herbst mit ihrem ›Wir schaffen das‹ einreden wollte«.

Sahra Wagenknecht macht keinen Hehl daraus, dass sie AfD-Wähler für die Linke gewinnen will. Dafür kommt sie diesen auch entgegen. Das Gros der anderen Funktionäre der Linkspartei lehnt das ab.


Im Kern handelt es sich um eine strategische Auseinandersetzung in der Partei »Die Linke«. Wagenknecht macht keinen Hehl daraus, dass sie AfD-Wähler für die Linke gewinnen will. Dafür kommt sie diesen auch entgegen. Flügelübergreifend lehnt das Gros der anderen Funktionäre der Linkspartei das ab. Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion formulierte in Hinblick auf Wagenknecht vergangenen Sommer: »Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzende einer linken Fraktion sein.« Zur strate­gischen Frage verwies Bundesschatzmeister Thomas Nord nach Wagenknechts jüngstem rhetorischen Rechtsschwenk in der Frankfurter Rundschau auf eine bereits beschlossene Wahlkampfstrategie: »Darin steht, dass wir uns an die Stammwähler, die Wechselwähler und die linken Nichtwähler wenden.« Es bringe nichts, um Wähler der AfD zu buhlen, so Nord weiter. In der Partei scheint es wenig Hoffnung zu ­geben, dass sich die Spitzenkandidatin an diese beschlossene Strategie hält. Katina Schubert, die Vorsitzende des Berliner Landesverbandes, prophezeit: »Und täglich grüßt das Murmeltier. Sie wird sich nicht ändern. Sie wird immer wieder die gleiche Scheiße erzählen.«
Doch obschon es jedes Mal, wenn Wagenknecht mit rechtspopulistischen Parolen aus dem Parteikonsens ausschert, viel Widerspruch aus den eigenen Reihen gibt, bleibt es bei dieser Rhetorik. Obwohl man um Wagenknechts gezielte Provokationen wusste, hat man sie zur Spitzenkandidatin ­gemacht. Solange Wagenknecht Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende bleibt, muss sich die Linkspartei insgesamt die Frage gefallen lassen, warum man weiterhin eine Politikerin trägt, die immer wieder Stimmung gegen Schutzsuchende macht, die CDU-Kanzlerin von rechts kritisiert und damit die Parteilinie verlässt. Sahra Wagenknecht ist nicht Oberbürgermeisterin von Tübingen, keine schrille Hinterbänklerin, sondern die wichtigste Re­präsentantin ihrer Partei. Jede von Wagenknechts Aussagen wird mit der Linkspartei verknüpft. Wenn man ihr trotzdem alles durchgehen lässt, ohne dass das Konsequenzen hat, muss man sich nicht wundern, wenn sich linke Stammwähler von der Partei abwenden. Doch anscheinend muss die Linke an Wagenknecht festhalten. Sie ist, nicht trotz, sondern wegen ihrer abweichenden Haltung die populärste Persönlichkeit ihrer Partei, seit Gregor Gysi sich zurückgezogen hat. Ihre Reichweite in den sozialen Medien und ihre häufigen Talkshow-Auftritte bescheren der Linkspartei viel Aufmerksamkeit. Um ihre Zugkraft wissen auch die anderen Parteistrategen. Es mag die Hoffnung sein, Wagenknechts Popularität für sich zu nutzen und sie gleichzeitig politisch kontrollieren zu können, die ihre Parteifreunde dazu bewegt, an ihr festzu­halten. Nur demonstriert Wagenknecht immer wieder, dass sie sich nicht kontrollieren lässt.