Warum Trumps protektionistische Pläne nicht aufgehen werden

»Ich finde die Demonstrationen deprimierend«

Paul Mattick, geboren 1944, ist Professor für Philosophie an der Adelphi University in New York und politischer Redakteur bei dem Magazin »The Brooklyn Rail«. Auf Deutsch ist von ihm »Business as Usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus« (Hamburg, 2012) erschienen. Zu seinen weiteren Veröffentlichungen zählen »Social Knowledge« (1986) und »Art in Its Time: Theories and Practices of Modern Aesthetics« (2003). Er arbeitet ­derzeit an seinem nächsten Buch: »Theory as Critique: Essays on Capital«, das 2017 erscheinen wird. Paul ­Mattick ist der Sohn des bekannten Rätekommunisten Paul Mattick (1904–1981). Mit der »Jungle World« sprach er über die protektionistischen Pläne von Donald Trump und warum sie vermutlich nicht aufgehen werden.
Interview Von

Donald Trumps Wahlsieg hat viele überrascht. Auch jetzt noch, nach seinem Amtsantritt, werden dafür Erklärungen gesucht. Welche waren für Sie die wichtigsten Faktoren, die dieses Wahlergebnis erklären?

Nur etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten geht in den USA tatsächlich wählen, diese Gruppe bestand in den vergangenen Jahrzehnten immer etwa zur Hälfte aus Demokraten und Republikanern. So reichen bereits kleine Dinge, um eine Wahl in die eine oder die andere Richtung zu entscheiden. Das ist übrigens auch der Grund, warum bei den Republikanern Themen wie die Ablehnung von Abtreibung und der Rechte von LGBT so im Vordergrund stehen – christliche Konserva­tive sind ein nicht allzu großes, aber sehr zuverlässiges Segment der republikanischen Wählerschaft. Keine Frage, viele Wähler und Wählerinnen Trumps sind Antifeministen und Rassisten – viele mochten Obama wegen seiner Hautfarbe nicht. Aber wir wissen, dass auch Afroamerikaner, Latinos und Frauen Trump gewählt haben. Der Hauptgrund dafür ist die sehr verbreitete Abneigung gegen Hillary Clinton auch unter Menschen, die traditionell demokratisch wählen. Ein weiterer Grund dafür ist die Verschlechterung der Wirtschaftslage in den Jahren der Regierung von Barack Obama. Wie auch immer der Wahlsieg Donald Trumps gedeutet wird: Beachten sollte man dabei immer, dass er ein Phänomen ­verkörpert, das in Europa mit dem Aufstieg von Anti-Establishment-Parteien bereits seit Jahren zu beobachten ist.

Die Demokraten haben nach der Wahl gezeigt, dass sie schlechte Verlierer sind, die beharrlich den Sieg ihres Gegners entwerten. Wie würden Sie das erklären und was möchten die Demokraten damit erreichen?

Wirklich neu ist das nicht. Denken Sie daran, was für schlechte Verlierer die Republikaner nach Obamas Sieg waren, wie sie jede wichtige politische Entscheidung seiner Regierung blockierten oder es zumindest versuchten und wie sie immer wieder Obamas Legitimität in Frage gestellt haben. Dennoch gibt es ein neues Element: In Washington herrscht Unbehagen im Hinblick auf den neuen Präsidenten, der sich nicht über die normalen Wege zur politischen Macht hochgearbeitet hat. Er hat mit Mühe eine Kampagne auf die Beine gestellt, die Republikanische Partei musste ihn schließlich unterstützen, nachdem er alle Profis in ihrem ­eigenen Spiel geschlagen hatte. Trump zeigt keinerlei Interesse daran, sich an den Regeln des politischen Benehmens zu halten – er will nicht einmal nach Washington ziehen. Er wird wahrscheinlich versuchen, einen Teil der Apparatschiks aus dem politischen Establishment rauszuwerfen und sie durch einige seiner Familienmitgliedern zu ersetzen oder durch Geschäftsleute, die ihm nahestehen. Es ist eine Regierung wie der Phantasie eines Vulgärmarxisten entsprungen: Der ehemalige Chef von Exxon Mobil wird Außenminister, ein Freund der Kohle- und Ölindustrie wird Leiter der Umweltschutzbehörde. Die Mitglieder des politischen Establishment mögen so etwas nicht und sie wissen nicht, wie weit das noch gehen wird. Das macht sie nervös.

Was halten Sie von den landesweiten Demonstrationen gegen Trump? Könnte der Protest zu einer Wiederbelebung der sozialen und politischen Opposition in den USA führen?

Ehrlich gesagt finde ich die Demons­trationen deprimierend. Wie ich jemandem sagte, der mich fragte, ob ich teilnehmen würde: Warum gegen Trump demonstrieren, der noch nichts getan hat? Stattdessen hätte gegen Obama demonstriert werden sollen, der 2,5 Millionen Menschen abgeschoben hat; der den Versuch, Folter für illegal zu erklären, blockiert hat; der den Saudis Flugzeuge besorgt hat, damit sie im Jemen Schulen und Krankenhäuser bombardieren; der eine neue Pipeline bauen ließ, die Zahl der syrischen Flüchtlinge auf 10 000 beschränkte …  Die Liste ist noch viel länger. Der Fokus auf Trump zeigt, dass die Menschen, die auf die Straße gehen, in einem elektoralistischen, also am Wahlergebnis orientierten Denkmuster stecken geblieben sind: Sie bekämpfen einen schlechten Präsidenten anstatt das soziale System, das ihn hervorgebracht hat.

In Ihrem Editorial nach Trumps Wahlsieg schrieben Sie: »Es ist fraglich, ob Straßen- und Raketenbau förderliche Maßnahmen gegen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse sein werden.« Falls Trump sein protektionistisches Programm durchsetzt, könnte dies Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse haben? 

Ich glaube nicht, weil die Wirtschaft nicht mehr anders als global gedacht werden kann. Das iPhone wird in Kalifornien entworfen, aber das Design besitzt ein Tochterunternehmen in Irland – aus steuerlichen Gründen natürlich. Daher verzeichnet man in Kalifornien die Profite aus dem Verkauf des Geräts als Kosten. Wie würde sich Protektionismus in diesem Fall auswirken? Wird etwa eine Zollgebühr für den ­Import von iPhones aus China eingeführt? In jedem Fall – den Wettbewerb einzuschränken, würde nicht die ­Rentabilität der US-amerikanischen Firmen verbessern, außer durch ­höhere Preise, die eine weitere Senkung der Reallöhne bedeuten würden.

Könnte Trumps protektionistischer Kurs mehr als eine leere Drohung sein und wäre es denkbar, dass wir uns in Richtung neuer ökonomischen Strukturen bewegen, weg von dem, was als Globalisierung bekannt ist?

Ich vermute, dass es sich bei Trumps Ankündigungen wirklich um leere Drohungen handelt. Viele »deutsche« und »japanische« Autos werden in den USA gebaut, die Teile hierfür werden aus vielen Ländern zugeliefert. Das US-amerikanische Agrobusiness wird auch nicht auf alle Immigranten verzichten, die es benötigt, um zu funktionieren. Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass US-Firmen die Handelsverträge, von denen sie maßgeblich profitieren, aufgeben werden. Der US-amerikanische Kongress ist zweifellos nicht schlauer, als er in den dreißiger Jahren war, aber ein neuer Smoot–Hawley Tariff Act (die im Jahr 1930 beschlossene bedeutendste Zoll­erhöhung in der Geschichte der USA, Anm. d. Red.) wird es nicht geben, dafür fehlen die strukturellen Voraussetzungen.

Es sind jetzt bald zehn Jahre seit Beginn der Krise vergangen. Wie würden Sie diese Zeit beschreiben?

In dieser Zeit ist das eingetreten, was zu erwarten war. Das Rettungsprogramm Tarp (Troubled Asset Relief Program, die bedeutendste Maßnahme der US-Regierung gegen die Krise, wurde von George W. Bush am 3. Oktober 2008 unterzeichnet und lief im Dezember 2014 aus, Anm. d. Red.), gefolgt von quantitative easing, ermöglichte es, sowohl in den USA als auch in Europa die Krise einzudämmen, wenn auch mit einem Verlust von Billionen von Dollar an Vermögenswerten, inklusive Immobilien. Dies wurde kombiniert mit einer beschleunigten Wertschöpfung aus der Arbeiterklasse. In diesen zehn Jahren ist klar geworden: Der Wohlstand kehrt nicht zurück. Während Ökonomen darüber diskutieren, ob die Welt sich in einer Phase der »­säkularen Stagnation« befindet, reagieren Wähler, indem sie nationalis­tischen Demagogen folgen, die die Schuld für die globalen Probleme in den »Fremden« sehen. Sie werden mir ­verzeihen, wenn ich an dieser Stelle die suggestive Sprache von »Occupy« benutze: Das »eine Prozent« sieht sich damit konfrontiert, dass die einzige Lösung seiner Probleme eine voll entfal­tete, tiefe Depression ist, durch die das Sozialgefüge auseinanderbrechen würde. Die »99 Prozent« müssen sich damit abfinden, dass die einzige Alternative darin liegt, die Kontrolle über das soziale Leben in die eigenen Hände zu bekommen und die Besitzer des ­gesellschaftlichen Reichtums sowie die politische Klasse, die sie repräsentiert, beiseitezuschieben.