Venezuelas Regierung übt sich in der Krisenverwaltung und dem Kampf gegen ihre Kritiker

Maduros autoritärer Kurs

Die politische und ökonomische Krise in Venezuela hält an. Statt deren Ursachen bekämpft die sozialistische Regierung kritische Stimmen und baut ihre Macht aus.

»Steckt eure Nase nicht in Venezuelas Angelegenheiten, CNN! Bleibt schön weit weg! CNN raus aus Venezuela!« polterte Nicolás Maduro, der Präsident Venezuelas, am Sonntag vorvergangener Woche in seiner allwöchentlichen Fernsehsendung. Anlass seiner Aufregung war ein Bericht, den CNN über Verstrickungen des im Januar neu ernannten Vizepräsidenten Tareck El Aissami in einen dubiosen Handel mit Passdokumenten gesendet hatte. Im großen Stil sollen venezolanische Botschaftsbeamte im Irak sowie das Innenministerium in Caracas selbst Pässe an Bürger aus arabischen Staaten verkauft haben. Unter den Kunden, die Tausende US-Dollar für einen Pass zu zahlen bereit waren, sollen auch Drogenhändler und Personen mit Verbindungen zu Terrororganisationen gewesen sein. El Aissami, von 2008 bis 2012 Innen- und Justizminister, wird in dem Bericht als einer der Hintermänner dieses Passhandels genannt. Solche Vorwürfe sind keineswegs neu. Bereits 2009 gab es Berichte, er habe Mit­gliedern der Hamas und der Hizbollah Pässe besorgt.
Für Maduro sind das alles Lügen im Dienste der Verschwörung gegen seine Regierung. Wegen »Kriegspropaganda« und »Aggressionen gegen die friedliche und demokratische Stabilität« schaltete die Telekommunikationsbehörde Conatel vergangene Woche den spanischsprachigen CNN-Kanal ab. Fast gleichzeitig ließ sich in den USA Lilian Tintori, die Ehefrau des inhaftierten rechten Oppositionsführers Leopoldo López, mit Präsident Donald Trump im Weißen Haus ablichten und forderte per Twitter die Freilassung ihres Mannes, der seit drei Jahren im Gefängnis sitzt. Dieser symbolische Akt war aber nur Bnebenschauplatz einer anderen Nachricht, die kurz zuvor aus den USA kam: Die US-Regierung hat El Aissami wegen angeblicher Verstrickungen in den Drogenhandel auf ihre Sanktionsliste gesetzt. Sein Vermögen wird eingefroren, niemand aus den USA darf mehr mit ihm Handel treiben. El Aissami soll an Lieferungen von über einer Tonne Kokain von Venezuela nach Mexiko beteiligt gewesen sein und enge Verbindungen zu lateinamerikanischen Drogenkartellen haben.
Ob sich diese Vorwürfe bestätigen, bleibt abzuwarten. Dennoch lohnt ein kritischer Blick auf Maduros Stellvertreter. El Aissami kommt aus einer syrisch-libanesischen Familie und gilt als wichtiger Verbindungsmann Venezuelas zu arabischen Ländern und dortigen Despoten. Ihm werden enge Kontakte zum Iran, zur Hizbollah und zu Syriens Diktator Bashar al-Assad nachgesagt. Die Zusammenarbeit der sozialistischen Regierung Venezuelas mit islamistischen Gruppen und Staaten, vereint im Kampf gegen das vermeintliche Imperium USA-Israel, besteht seit längerem. Die Ernennung El Aissamis zum Vizepräsidenten stellt aber eine neue Stufe dieser antiimperialistischen Verbrüderung dar und wird den in chavistischen Kreisen virulenten Antisemitismus stärken. Während des Gaza-Kriegs 2014 twitterte El Aissami mit dem hashtag #israHELL und schrieb vom »Holocaust« in Palästina. Das Simon Wiesenthal Center äußerte im Januar in einer Erklärung große Sorge, durch seine Ernennung könne »der Antisemitismus zur Staatsdoktrin« werden und der Nahost-Konflikt nach Südamerika geholt werden.

Die US-Regierung hat Vizepräsident El Aissami wegen angeblicher Verstrickungen in den Drogenhandel auf ihre Sanktionsliste gesetzt. 

Die Ernennung El Aissamis ist angesichts der angespannten Lage aber auch innenpolitisch von großer Bedeutung. Zwar wurde das von der Opposi­tion geforderte und bereits in die Wege geleitete Referendum zur Abwahl ­Maduros im vergangenen Jahr für illegal erklärt. Sollte es dennoch zu einem vorzeitigen Ende seiner Präsidentschaft kommen, würde aber automatisch sein Stellvertreter nachrücken und bis zur nächsten regulären Wahl Ende 2018 regieren. Dann müsste sich die Opposition mit El Aissami herumschlagen. Maduro übertrug ihm bereits im Januar weitreichende Befugnisse, unter anderem die Leitung eines neu gegründeten »Anti-Putsch-Kommandos«, einer militärisch-polizeilichen Sondereinheit zum »Schutz des Friedens und der Souveränität«. Amnesty International kritisierte kurz ­darauf, es gebe eine auf »absurden Verschwörungstheorien« basierende »­Hexenjagd« in dem Land. Selbst Heinz Dieterich, Namensgeber des »Sozialismus des 21.Jahrhunderts« und enger Vertrauter des verstorbenen Hugo Chávez, kritisierte auf dem chavistischen Internetportal aporrea.org die jüngsten Entwicklungen scharf: Die Einrichtung des Anti-Putsch-Kommandos und die Ernennung Tareck El Aissamis platziere Venezuela im Vorzimmer einer offenen Militärdiktatur.
Auch auf anderen Ebenen versucht die Regierung, die Opposition zu schwächen. So verlangt ein neues Gesetz die Neuregistrierung fast aller Parteien. Die dafür gesetzte Frist ist nach Meinung der Opposition aber nicht einhaltbar, so dass die Neu­regelung einem Parteienverbot gleichkomme. Nun ist die eher rechtsge­richtete Opposition schon immer schnell darin gewesen, die »Diktatur« in Venezuela anzuprangern, auch wenn es nur um die Angst vor dem Verlust der Privilegien der Oberschicht ging. Das Gesetz betrifft aber auch kleine linke regierungskritische Parteien, die darin ebenso den Versuch sehen, ein Einparteiensystem einzuführen, denn die Regierungspartei PSUV ist die einzige Organisation, die nicht vom neuen Gesetz betroffen ist.
Die Krisenverwaltung der Regierung wird immer autoritärer, während sich die soziale Lage zusehends verschärft. Die Krise des »Petrosozialismus« hält an, noch immer herrscht großer Mangel an Lebensmitteln und Medizin, stundenlanges Schlangestehen für Güter des Grundbedarfs gehört zum Alltag. Die Regierung versucht indes, mit wenig effektiven Maßnahmen ihr sozialistisches Image zu bewahren. So kündigte sie im Januar eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 50 Prozent an; seit November 2015 hat er sich damit vervierfacht. Jedoch liegt er nach dem offiziellen Wechselkurs weiterhin nur bei umgerechnet 60 US-Dollar. Die Inflationsrate ist mittlerweile so hoch, dass die Mindestlohnerhöhung wenig Verbesserung für die Bevölkerung bringt. Für 2017 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Inflationsrate von 1 660 Prozent.
Maduro und der PSUV beharren darauf, dass die Ursache dieser Probleme ausschließlich der »Wirtschaftskrieg« sei, den die Opposition sowie ihre imperialistischen Unterstützer gegen die Regierung und das Land führten. Sie hätten den Wert der Währung manipuliert und durch Spekulation und Warenhortung bewusst die Preise nach oben getrieben, behauptete der Präsident in seiner Jahresansprache erneut. Kritik an dieser Verdrängung realer und oftmals hausgemachter Probleme, etwa der Abhängigkeit des Sozialstaats von den Öleinnahmen, kommt schon längst nicht mehr nur von der rechten und prokapitalistischen Opposition. »Die Bevölkerung ist dieses plumpe und abgenutzte Argument (des Wirtschaftskriegs, Anm. d. Red.) längst leid. Das ist eine alte Geschichte, die sich die Regierung selbst nicht mehr glaubt«, so eine Stellungnahme der Plataforma del Pueblo en Lucha y del Chavismo Crítico, ein Zusammenschluss aus linken Gruppen und dissidenten chavistas, darunter viele ehemalige Weggefährten von Hugo Chávez. Auch bekannte internationale Unterstützer des »bolivarischen Prozesses« üben immer deutlicher Kritik an Maduros Krisenpolitik.
Noch aber wird der Widerstand gegen die desaströse und autoritäre Re­gierungspolitik vorrangig von Oppositionellen der Oberschicht angeführt, die mit ihrem »Kampf gegen die Diktatur« auch an die Unzufriedenheit der Bevölkerung anknüpfen konnten. Jedoch verlieren deren Proteste an Stärke. Seit der im vergangenen Jahr zaghaft begonnene »Dialog« zwischen Opposition und Regierung auf Eis liegt, wird immer offensichtlicher, dass hier ein Machtkampf zwischen den alten Oligarchen und der neuen »Boli-Bourgeoisie« ausgefochten wird, in dem die Bevölkerung nur als Spielball vorkommt. Wirklich sinnvoll wäre eine starke linke Opposition, die Maduro unter Druck setzt, ohne ihn durch die Diktatur des freien Marktes ersetzen zu wollen. Danach sieht es zur Zeit aber noch nicht aus.