Von Martin Schulz ist sozial- und wirtschaftspolitisch wenig zu erwarten

Hoffnungsträger der Sozis 13.0

Eine Korrektur des sozial- und wirtschaftspolitischen Kurs der SPD ist auch von Martin Schulz nicht zu erwarten.

Fast scheint es, als wolle die vierte Gewalt im Staat unbedingt die älteste Partei Deutschlands vor dem freien Fall retten. Ihr Nothaken ist der neue designierte Kanzlerkandidat Martin Schulz. Gleich zwei aufeinanderfolgende Spiegel-Titel durfte »Sankt Martin« zieren und als nichts Geringeres als der »Hoffnungsträger für die liberale Demokratie« und auch noch gleich die »Gerechtigkeit« herhalten. Vom »Erlöser« und »Messias« war in diversen Medien die Rede, für die FAZ ist Schulz gar sozialdemokratisches »Ecstasy auf Rezept«. Der Erfolg in der potentiellen Wählergunst ließ da nicht lange auf sich warten. Den Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute zufolge legte die SPD binnen zweier Monate von unter 20 auf über 30 Prozent zu, so dass die Ambition Kanzler zu werden bei Schulz, weniger absurd erscheint als bei seinen Vorgängern Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier. Dabei stört es überhaupt nicht, dass die für den Fall in der Wählergunst hauptverantwortliche sozial- und wirtschaftspolitische Ausrichtung Sigmar Gabriels sich von der Martin Schulz’ kaum unterscheidet. Beide gehören dem die parlamentarische Parteirechte repräsentierenden »Seeheimer Kreis« an.
Deutlich wird dies vor allem an Schulz Haltung zu den Reformen der Agenda 2010. »Die Agenda war in vielen Punkten ein Erfolg, in manchen nicht. Wir müssen Lösungen mit heutigen Antworten finden und nicht mit einer rückwärtsgewandten Debatte,« sagte Schulz im Anschluss an eine Arbeitnehmerkonferenz von SPD und Gewerkschaften der Neuen Westfälischen. Welche negativen Aspekte er meinte, hatte Schulz auf der Konferenz, auf der sich die wichtigsten Funktionsträger der organisierten Maklerei für den für die Unternehmer akzeptablen Preis der Arbeitskraft eingefunden hatten, Tags zuvor mitgeteilt. Zwei Aspekte liegen Schulz demnach am Herzen. Zunächst soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes eins (ALG I) für langjährig Beschäftigte über 50 Jahre angehoben werden. Derzeit beziehen diese maximal 15 Monate lang ALG I. Die Bezugsdauer erhöht sich mit 55 auf 18 Monate und erst mit 58 erhöht sich nach aktueller Rechtslage der Bezug auf zwei Jahre. Für die unter 50jährigen gilt die Jahresfrist, die Schulz bisher nicht kritisiert hat. Zweitens soll das Schrödersche »Fördern und Fordern« weiter ausgebaut werden. Für den ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments heißt dies »Ausbau der Qualifizierungsangebote für Arbeitssuchende«. Das war aber schon immer Bestandteil der Hartz-Gesetze. »Diese Angebote werden wir schaffen und den Menschen damit Sicherheit und Perspektive geben«, so Schulz. Dass diese Maßnahmen außer bei den daran gut verdienende Weiterbildungsfirmen auf viel Gegenliebe stoßen werden, daran glaubt allerdings nicht einmal er selbst. Dem DGB-Chef Reiner Hoffmann, der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, und Manuela Schwesig, SPD-Vizevorsitzende und Familienministerin, immerhin gefielen diese Ankündigungengenau wie den rund Tausend Anwesenden, die die Rede mit tosendem Beifall bedachten. Auf Schulz’ eigener Homepage war von »Aufbruchstimmung« die Rede.
Ansonsten aber ist der neue sozialdemokratische Superstar erstaunlich wortkarg, wenn es um Reformen geht.In der Vergangenheit hat er sich stets als treuer Gefolgsmann der Agenda-SPD erwiesen. Immerhin der Frankfurter Rundschau war dies Ende Januar schon aufgefallen: »Wenn mehr zur Wahl stehen soll als die prinzipielle Fortsetzung des Merkelismus mit neuem, beliebtem Gesicht; wenn die Absage vieler Menschen ans großkoalitionäre ›Weiter so‹ tatsächlich in der SPD ihren Ausdruck finden soll – dann müssen schon auch ein paar Inhalte her. Und es ist schon erstaunlich, wie wenig davon Martin Schulz während seines politischen Aufstiegs preisgegeben hat.« Die Gründe für die Zurückhaltung sind offensichtlich: Es sind eben die Kernprinzipien der »150 Prozent Sozialdemokratie« (Sigmar Gabriel), für die der 13. Kanzlerkandidat der SPD seit 1949 wie auch seine Unterstützer stehen. Und zu denen gehört auch die Freude über die Erfolge der Agenda 2010 für die deutsche Wirtschaft, der sich die SPD seit vielen Jahrzehnten verschrieben hat.
So überrascht auch die Euphorie im Funktionärskörper der Partei kaum, hofft man hier doch neben der Kontinuität vor allem auf die Posten, die sich aus einem besseren Wahlergebnis des »lustigen Mannes aus Würselen« (Frankfurter Rundschau) gegenüber dem zu erwartenden des notorisch unbeliebten Sigmar Gabriel ergeben könnten. So hat Schulz auch die vermeintliche Linke innerhalb der Partei hinter sich versammeln können. Der Sprecher der »Parlamentarischen Linken« der SPD, Matthias Miersch, sagte etwa: »Wir werden wie eine Eins, egal ob Seeheim oder Parlamentarische Linke, hinter Martin Schulz stehen und mit ihm, denke ich, einen tollen Wahlkampf machen.« Und auch die Gabriel kritisch gegenüberstehende Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann, deren Facebook-Seite eine einzige Jubelarie für Schulz ist, sagte auf SWR Info, dass »Martin Schulz … der richtige Kandidat in der jetzigen Zeit« sei.
Dass dieser Kandidat die Hartz-Reformen wiederholt als »notwendig« bezeichnet hat, neben den genannten Aspekten keinerlei Reformbedarf sieht, sich nicht einmal propagandistisch auf eine Erhöhung des Mindestlohns festlegen will und Erhöhungen des Spitzensteuersatzes und der Abgeltungssteuer weiterhin ausschließt und dass er mit seinen ständig wiederholten Parolen: »Im Mittelpunkt: der Mensch« und »Respekt für harte Arbeit« statt Klassenkampf die Versöhnung von Arbeit und Kapital betreibt, wird seinen Erfolg im sozialdemokratischen »Sumpf« (Kurt Tucholsky) nicht mindern. Eines kann man dem neuesten Hoffnungsträger und seiner Partei allerdings nicht vorwerfen: Die Parole vom Verrat der SPD zündet schon lange nicht mehr – weiß doch jedes Kind mittlerweile, dass von ihr nicht mehr als die Verwaltung der Geschäftsbedingungen der nationalen Kapitalakkumulation zu erwarten ist. Ob Schulz dies besser bewerkstelligen kann als seine Kontrahentin, wird die Frage des Wahlkampfes sein, nicht die Hoffnung auf einen neuen Reformismus.