Die Neuverfilmung von »Ghost in the Shell«

Cyborgs sind auch nur Menschen

Der philosophische Science-Fiction-Anime »Ghost in the Shell« von 1995 hat das Medium populär gemacht. Der Realverfilmung mit Scarlett Johansson kommt das Visionäre abhanden.
Von

Major Motoko Kusanagi (Scarlett Johansson) arbeitet als Ermittlerin in der geheimen Cybercrime-Abteilung »Sektion 9« einer nicht näher genannten fernöstlichen Regierung, die in einer Megastadt wie Tokio oder Hong Kong ihren Sitz hat. Die Frau ist ein Cyborg, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine, und das ziemlich radikal: Lediglich ihr Gehirn ist noch biologischen Ursprungs, ihr restlicher Körper hingegen vollständig synthetisch. Ihr femininer, aber asexueller Techno-Körper verleiht ihr übermenschliche Fähigkeiten. Während sie ihr Fahrzeug mit der Kraft ihrer Gedanken steuert, kommuniziert sie gleichzeitig mit der Zentrale. Wenn sie nicht gerade einen mysteriösen Hacker jagt, hadert sie mit ihrem Cyborg-Dasein und fragt sich, ob sie eigentlich noch ein Mensch ist. Scarlett Johansson agiert in ihrer Rolle etwas blutleer, was aber nicht verkehrt sein muss, wenn es darum geht, einen fast vollständig synthe­tischen Cyborg darzustellen.

Der gesuchte Hacker heißt Kuze (Michael Pitt) und verfügt ebenfalls über besondere Fähigkeiten: Er ist in der Lage, die Erinnerungen und Gedanken von Menschen so zu manipulieren, dass sie für ihn Terrorakte verüben – und damit internationale Verwicklungen auslösen. Motoko kann ihn stellen und erfährt, dass auch er ein Cyborg ist wie sie. Nicht nur das: Ihre Erinnerungen sind ebenfalls manipuliert, in ihrem Fall von der Regierung. Bisher glaubte Motoko, ihr menschlicher Körper sei bei einem Terroranschlag zerstört worden. Durch die Konfrontation mit dem Hacker wird ihr klar, dass auch sie in ihrem früheren Leben in Wahrheit eine Dissidentin war, die von den Schergen des autoritären Regimes festgenommen und für Cyborg-Experimente missbraucht wurde. Wütend stellt sie ihren ganz persönlichen Frankenstein in Gestalt der Ingenieurin Dr. Ouelet (Juliette Binoche) zur Rede.
Wer den Anime von Mamoru Oshii aus dem Jahr 1995 oder die Mangas von 1989 kennt, wird von dem Film irritiert sein. Tatsächlich erzählt das Remake eine völlig andere Geschichte als die Vorlage, setzt Motive und Versatzstücke der ursprünglichen Handlung neu zusammen und erfindet einen Frankenstein-Plot hinzu – inklusive des Monsters, das sich gegen seine Erschaffer auflehnt. Wobei das Monster der Zukunft eben aus allerlei technischen Komponenten statt aus Leichenteilen besteht. Die Neuinterpretation ist durchaus zeitgemäß: Sie spiegelt die Angst vor autoritären Regimen und – Stichwort fake news – manipulierten Erinnerungen. Trotzdem ist der Film im Vergleich mit dem Comic oder dem Zeichentrickfilm kaum ­visionär, oft sogar ausgesprochen konservativ.

Während im ursprünglichen »Ghost in the Shell«-Universum die Gesellschaft ganz selbstverständlich von Cyborgs bevölkert wird, haben technische Erweiterungen des Körpers in der Neuverfilmung den Charakter einer Ausnahme und eines Ersatzes. So besitzt Motokos Ermittlungspartner Batou (Pilou Asbæk) seine künstlichen Augen mit Nacht- und Infrarotsicht in der ursprüng­lichen Geschichte einfach so, während er im Remake bei einem Kampf sein Augenlicht verliert und deshalb künstliche Augen erhält. Oder Motoko: Sie ist in der alten Fassung seit früher Kindheit ein Cyborg und wird nicht erst im futuristischen Frankenstein-Labor gegen ihren Willen dazu gemacht. »Ghost in the Shell« von 2017 traut seiner eigenen Prämisse – der Frage, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der Cyborgs völlig normal und alltäglich sind – nicht über den Weg und erklärt die Cyborgisierung damit zur Perversion.
Die wichtigste Änderung im Plot betrifft aber die Figur des Puppet Master. Im Original entpuppt dieser sich als eine künstliche Intelligenz, die ganz von allein im Internet entstanden ist. Sie kämpft darum, als Lebensform anerkannt zu werden, und verbündet sich schließlich mit Motoko. Sie bilden eine neue geistige Entität in Gestalt eines Cyborg-Kindes, dem physische Welt und Cyberspace weit offen stehen, nachdem – schön metaphorisch – ein steinernes Relief in einem Feuergefecht als Kollateralschaden zerschossen wird, das die evolutionäre Entwicklung von der Urzelle bis zum Menschen darstellt. Der transhumanistische Mystizismus, der die Geschichte so faszinierend macht, fehlt dem Remake vollständig. 

Der transhumanistische Mystizismus, der die Geschichte so faszinierend macht, fehlt dem Remake vollständig.

In Rupert Sanders Universum ist die Figur des Puppet Master zeitgemäß als Hacker unterwegs. Er gibt sich als ein etwas versnobter, männlicher Cyborg, der sich zwar auch gerne mit Motoko per Brainfuck paaren möchte, dabei aber schön in einer klassischen heterosexuellen Konstellation verbleibt, die auch das Blockbuster-Publikum nicht überfordert. Die posthumanistische Auflösung menschlicher Kategorien wie Geschlecht und sexuelle Orientierung – ein wichtiger Aspekt etwa im philosophisch-feministischen Cyborg-Begriff Donna Haraways – findet in der Neufassung schlicht nicht statt. Stattdessen wird der Paarungsversuch des Filmbösewichtes vereitelt, der Puppet Master bezahlt wie in schlechten Teenie-Slasher-Filmen für Sex mit dem Leben. Und Motoko, die eigentlich nicht abgeneigt gewesen wäre – schwach wie Frauen gemäß dieser antiquierten Weltanschauung nunmal sind –, darf menschlich bleiben und arbeitet sogar – Gipfel der Unlogik – am Ende wieder als Ermittlerin für die autoritäre Regierung, die sie so entsetzlich missbraucht hat. Ein Ausbruch ist nicht vorgesehen, die Aufrechterhaltung überkommener Kategorien wird dem Zuschauer als Happy End verkauft. »Ghost in the Shell« 2017 ist nicht nur konservativ, sondern reaktionär.

Auch ästhetisch unterscheiden sich die beiden Versionen stark. Zwar stellt das Remake etliche Szenen und Bilder der alten Fassung eins zu eins nach, die Optik bleibt aber glatt poliert und künstlich im Gegensatz zur wesentlich schmutzigeren Großstadthölle des Anime. Dessen Markenzeichen sind lange, wundervoll gezeichnete, geradezu meditative ­Sequenzen, in denen kaum etwas passiert. Sie sind kein Selbstzweck, sondern stellen künstlerisch vollendet dar, wie Menschen, Stadtraum und technologische Umwelt einander ­bedingen und beeinflussen. 
In »Ghost in the Shell« von 1995 sind alle Menschen Cyborgs, auch die, die keine Implantate tragen. Regisseur Rupert Sanders inszeniert seinen Techno-Frankenstein von 2017 routiniert mit berauschenden Bildern und jeder Menge Cyberpunk, um dem Publikum die nötigen Schauwerte zu liefern, ohne die gleiche Tiefe zu erreichen. Immerhin: Spannung und Action stimmen, die Dialoge sind oft besser gelungen als im Vorgänger, der diesbezüglich ­etwas hölzern daherkam. Das Remake hat also alle Chancen auf ein Mil­lionenpublikum. Dumm nur, dass in Zukunft zwei Leute, die sich auf einer Party über »Ghost in the Shell« unterhalten, Gefahr laufen, über zwei gänzlich unterschiedliche Filme aneinander vorbei zu reden.

Ghost in the Shell (USA 2017). Regie: Rupert Sanders, Darsteller: Scarlett Johansson, ­Pilou Asbæk. Filmstart: 30. März