20.04.2017
Die Bundeswehr rekrutiert minderjährige Soldaten

Jugend an die Waffen

Die Zahl der minderjährigen Bundeswehrsoldaten steigt. Die Bundesrepublik ignoriert nicht nur die Aufforderungen der Uno, keine Menschen unter 18 Jahren anzuwerben. Die jungen Rekruten werden zudem rechtlich schlechtergestellt als andere junge Arbeitnehmer.

Egal ob im Kino, in Teenager-Magazinen wie der Bravo, auf Youtube oder in den Klassenzimmern – wo immer möglich, versucht die Bundeswehr junge Menschen zu erreichen und mit gezielter Werbung für den Dienst an der Waffe zu gewinnen. Das lässt sie sich auch einiges kosten. Alleine 2015 verschlang die Werbung 35,26 Millionen Euro. 2010 lagen die Personalwerbekosten der Bundeswehr noch bei zwölf Millionen Euro. Insbesondere in Schulen zeigt die Armee Präsenz. Die mehr als 80 Jugendoffiziere der Bundeswehr halten jährlich über 3 000 Vorträge und fast 700 Seminare in Schulen und Universitäten mit mehr als 100 000 jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Nach eigenen Angaben erreicht die Bundeswehr in Bildungseinrichtungen, auf Messen, bei Projekttagen oder Truppenbesuchen fast eine halbe Millionen Jugendliche pro Jahr. Zuletzt machte vor allem die Rekrutenwerbung auf Youtube Schlagzeilen. Neben hippen Clips versuchte es die Bundeswehr auch mit einer acht Millionen Euro teuren Webserie auf dem Videoportal, die drei junge Rekruten durch ihre ersten Monate bei der Truppe begleitete.

Immer mehr Kinderschutz­organisationen kritisieren das Vorgehen der Bundeswehr und der Widerstand gegen die Anwerbung Minderjähriger wächst.

Angesichts der Ausrichtung der Werbung auf Jugendliche ist es wenig erstaunlich, dass die Zahl minderjähriger Soldaten bei der Bundeswehr kontinuierlich steigt. Von 2011 bis 2015 hat sie sich mehr als verdoppelt – waren es vor 2011 nicht einmal 700, die sich verpflichteten, stieg die Zahl 2012 auf 1 200 und 2015 auf mehr als 1 500. Problematisch ist jedoch nicht nur der Zuwachs, sondern dass Minderjährige überhaupt für den Dienst an der Waffe rekrutiert werden. Eigentlich hat sich der Bundestag zum Ziel »Straight 18« der Vereinten Nationen (UN) bekannt, bei dem es darum geht, den Einsatz von Kindersoldaten weltweit zu ächten. Als Kindersoldaten gelten dem UN-Kinderhilfswerk Unicef zufolge »alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt werden«. Bereits mehrmals hat die Uno Deutschland daher ermahnt, die Anwerbung Minderjähriger einzustellen. Zuletzt im Januar 2014 forderte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Bundesregierung dazu auf, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben und die an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung zu unterbinden – ohne Erfolg.

Inzwischen kritisieren immer mehr Kinderschutzorganisationen das Vorgehen der Bundeswehr und der Widerstand gegen die Anwerbung Minderjähriger wächst. So verstärkte unter anderem das »Deutsche Bündnis Kindersoldaten«, das seit 1999 für die weltweite Ächtung des Einsatzes von Kindersoldaten eintritt und Lobbyarbeit für betroffene Kinder und Jugendliche betreibt, seine Aktivitäten gegen die deutsche Rekrutierungspraxis. Dem Bündnis gehören neben der deutschen Unicef-Sektion zehn weitere Nichtregierungsorganisation wie Amnesty International, das Rote Kreuz und die Kinderhilfswerke der katholischen und der evangelischen Kirche an. Bemühte sich das Bündnis zunächst vor allem um Anliegen wie die Gewährung von politischem Asyl für Betroffene, die finanzielle Förderung von internationalen Präventions- und Reintegrationsprogrammen für Kindersoldaten und ein Ende von Waffenlieferungen an Staaten, die Kindersoldaten einsetzen, widmet es sich mit seiner Kampagne »Unter 18 nie« der deutschen Rekrutierungspraxis und fordert das Ende der Anwerbung Minderjähriger und der auf Jugendliche ausgerichteten Werbung der Bundeswehr. Deutschland könne nicht einerseits den Einsatz von Minderjährigen in bewaffneten Konflikten ächten und andererseits selbst Minderjährige rekrutieren, so Danuta Sacher, die Vorstandsvorsitzende der Kinderschutzorganisation »Terre des Hommes«, die auch dem »Deutschen Bündnis Kindersoldaten« angehört.

Ebenfalls an dem Bündnis beteiligt ist die Kindernothilfe. Sie fordert insbesondere ein Verbot der Nachwuchswerbung an Schulen. Vor allem seit der Abschaffung des Wehrdienstes sei die junge Zielgruppe stärker in den Fokus gerückt, so Antje Weber, Kinderrechtsexpertin der Nothilfe. Mit »Abenteuer-Camps« und »realitätsferner« Werbung etwa in Teenager-Magazinen führe das Verteidigungsministerium Minderjährige in die Irre, sagt sie.

Auch die Opposition im Bundestag hat sich des Themas angenommen. Norbert Müller, der kinder- und jugendpolitische Fraktionssprecher der Linkspartei und ein Mitglied der Kinderkommission des Bundestags, organisierte im Parlament bereits mehrere Expertenanhörungen zu den »Folgen der Militarisierung Minderjähriger«. Das Verteidigungsministerium sieht hingegen kein Problem: Jugendliche, die sich für eine Ausbildung bei der Bundeswehr entschieden, sollten nicht warten müssen, bis sie 18 sind, und genauso wie Gleichaltrige direkt nach der Schule in den Beruf starten. Für Auslandseinsätze werden zwar nur Soldaten eingesetzt, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben, die Ausbildung an der Waffe gehört für die Minderjährigen jedoch bereits zum Dienstalltag. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagt: »Wir wollen die besten jungen Frauen und Männer der jeweiligen Jahrgänge gewinnen. Wie in allen anderen Ausbildungsberufen auch können junge Menschen ab 17 bei uns anfangen.«

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei zum Thema »Minderjährige in der Bundeswehr« zeigt allerdings, dass die Armee kein Arbeitgeber wie jeder andere ist. Das betrifft nicht nur das Betätigungsfeld, das Töten und Getötetwerden einschließt, sondern auch die rechtliche Stellung der jugendlichen Arbeitnehmer. So gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz für die jugendlichen Rekruten nicht. Während andere unter 18jährige maximal 40 Stunden pro Woche arbeiten dürfen, gilt für die Rekruten eine regelmäßige Arbeitszeit von 41 Stunden. Im Gegensatz zu anderen Betrieben und Dienststellen gibt es für minderjährige Soldaten zudem keine Jugendauszubildendenvertretung und daher keine eigene Interessenvertretung in der Bundeswehr.

Auch bei anderen Geboten des Jugendschutzes wie beispielsweise der getrennten Unterbringung von voll- und minderjährigen Rekruten räumt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme Defizite ein. Für empörend hält Müller die Abbrecherquote unter den jungen Rekruten. So brachen 800 minderjährige Soldaten im Jahr 2015 ihren Dienst vorzeitig ab. Davon verließen 281 die Armee innerhalb der sechsmonatigen Probezeit, weitere 519 erst nach Ablauf der Frist. Ein Vorgang, der für die Betroffenen – anders als in anderen Berufen – strafrechtliche Konsequenzen haben kann. »Eigenmächtige Abwesenheit« vom Dienst steht nach dem Wehrstrafgesetz unter Strafe, ein reguläres Ausscheiden ist nur bei Entgegenkommen der Bundeswehr möglich. Gegen wie viele der ausgeschiedenen Minderjährigen ein Verfahren eingeleitet wurde, kann die Bundesregierung nicht beantworten, weil hierzu keine Daten erhoben werden.

»Die steigende Anzahl an Kindersoldaten in der Bundeswehr ist ein Skandal. Junge Menschen werden mit falschen Erwartungen geködert und verlassen sie scharenweise«, so das Fazit des Linksparteipolitikers Müller. Er fordert nicht nur einen sofortigen Rekrutierungsstopp von Minderjährigen, sondern auch ein Integrationsprogramm für die Dienstabbrecher bei der Bundeswehr, damit diese leichter in eine zivile Ausbildung finden.