Der politische Machtkampf in Mazedonien wird nun vor allem vor Gericht ausgetragen

Im Visier der Sonderstaatsanwaltschaft

In Mazedonien geht der Machtkampf zwischen den Nationalkonservativen und der sozialdemokratisch geführten Koalition vor allem auf juristischer Ebene weiter.

Als Ende April das mazedonische Parlament überfallen wurde, wähnten manche den von Korruption und wachsenden ethnischen Spannungen gezeichneten Staat schon am Rande des Bürgerkriegs. Inzwischen ist die Regierungsbildung in vollem Gange, der ­politische Machtkampf geht indes weiter – vor allem auf der juristischen Ebene.

Der ehemalige mazedonische Ministerpräsident Nikola Gruevski von der nationalkonservativen Partei VMRO-DPMNE steht unter Verdacht, illegale Parteienfinanzierung organisiert zu haben. Die Sonderstaatsanwaltschaft (SJO) hat bereits beantragt, betroffene Bankkonten der Partei vorübergehend zu sperren, denn Hinweise haben sich verdichtet, dass Gruevski, der auch ­Vorsitzender der VMRO-DPMNE ist, sich durch Geldwäsche und unter Angabe falscher Daten persönlich bereichtert hat. Auf einer Pressekonferenz am Montag voriger Woche gab die SJO bekannt, zwischen 2009 und 2015 seien rund 4,9 Millionen Euro auf ein Parteikonto geflossen, deren Herkunft unklar ist. Mit dem Geld sollen unter anderem Bauvorhaben finanziert worden sein, die fertigen Gebäude aber gingen nicht in Parteibesitz über. Die Baufirma aus Skopje, die als Spender angegeben wurde, habe das Geld nicht überwiesen.

Die Sonderstaatsanwaltschaft stieß ­außerdem auf Einzahlungen auf das Konto der Partei, die von verschiedenen Mitgliedern stammen sollen, deren Formulare aber alle in derselben Handschrift ausgefüllt und unterschrieben wurden. Der Verdacht liegt nahe, dass die Auftragsvergabe für den Bau von Auto­bahnen durch vier leitende Regierungsbeamte in den Jahren 2012 und 2013, die nicht im Rahmen des gesetzlichen Ausschreibungsverfahrens erfolgte, mit dieser Spendenaffäre zu tun haben könnte. Die chinesische Firma, die mit dem Bau beauftragt wurde, soll nicht das günstigste Angebot vorgelegt haben, wodurch dem Staatshaushalt ein Schaden von rund 115 Millionen Euro entstanden sei. Im dritten Fall, den die SJO untersucht, werden Mitglieder der VMRO-DPMNE des Baus ungenehmigter Wochenendhäuser verdächtigt, die vom Baudezernat erst nachträglich bewilligt wurden.

Dass die Pressekonferenz, auf der Gruevski stark belastet wurde, mit der Regierungsbildung der Sozialdemo­kraten (SDSM) zeitlich zusammenfällt, nahm die SJO um die führende Staatsanwältin Katica Janeva zum Anlass, für die Verlängerung des auslaufenden Mandats der Sonderstaatsanwaltschaft zu argumentieren.
Kompliziert ist auch der Fall des Sturms auf das Parlament am 27. April. Gegen die ersten acht der Angreifer wurde vergangene Woche ein Urteil gesprochen. An jenem 27. April wählte die Regierungskoali­tion Talat Xhaferi, einen Abgeordneten der Partei der albanischen Minderheit DUI, zum Parlamentspräsidenten. Kurz nachdem ein albanischer Parlamentsabgeordneter begonnen hatte, die albanische Nationalhymne zu singen – eine Provokation der mazedonischen Nationalisten – drangen vor dem Gebäude protestierende Anhänger der VMRO-DPMNE erstaunlich schnell in das Parlamentsgebäude ein. Bei den folgenden Auseinandersetzungen wurden der designierte Ministerpräsident Zoran Zaev, Vertreter seiner Partei SDSM und Journalisten verletzt. Zaev wurde mit einem Stuhl verprügelt, er und mazedonische Juristen sprechen von einem Tötungsversuch.

Der erste Prozess gegen acht der Angreifer sorgt für Unmut im Land. Untersuchung, Beweisaufnahme und Verurteilung gingen sehr schnell von­statten. In der Frage, ob es sich um spontane Ausschreitungen einer aufgebrachten Menschenmenge handelte oder um einen gezielten Angriff auf eine staatliche Institution, folgte die Richterin der Argumentation, es habe sich um einen von nationalen Gefühlen geleiteten Mob gehandelt, der außer Kontrolle geraten sei. Sieben Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen von sechs Monaten, einer eineinhalb Jahre Haft. Das geringe Strafmaß für einen solch brutalen Angriff sorgt für Spekulationen, dass Gruevski und die VMRO-DPMNE noch immer Einfluss auf führende Richter im Land haben. Die Partei hatte eine zügige rechtsstaatliche Behandlung des Falls angemahnt, was durchaus auch als Drohung verstanden werden kann. Zudem hatte sie betont, dass keine Unschuldigen festgenommenen werden dürften.

Der Machtkampf ist in Mazedonien also noch in vollem Gange. In den ­Wochen vor dem gewalttätigen Überfall auf das Parlament konnte Gruevski noch einmal Hoffnung schöpfen. Die Angst vor einer »albanischen Unterwanderung und Übervölkerung« schien in der mazedonischen Bevölkerung so groß zu sein, dass der für seinen autoritären Führungsstil bekannte Konser­vative einer Umfrage eines US-amerikanischen Instituts für Entwicklungshilfe (IRI) zufolge wieder an Zustimmung gewann. Inzwischen jedoch ist die Regierungsbildung der neuen Koalition in vollem Gange, die Untersuchungen der SJO gegen die VMRO-DPMNE kommen voran.
In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob es der Staatsanwaltschaft gelingt, das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, und ob Zoran Zaev, dessen Ziele und Ambitionen bisher im Trubel des Kampfs um die Macht untergegangen sind, einen Wandel einleiten kann.

Auch Zaev ist den Gerichten Mazedoniens kein Unbekannter, konnte allerdings bisher immer seine Unschuld beweisen. Gerüchte über unversteuerte Gewinne aus einem Bauprojekt in seiner Herkunftsstadt Strumica, deren Bürgermeister er bis vor kurzem war, konnte er Jahre später entkräften. Seine Familie konnte in der Region Strumica viel Reichtum, Immobilien und Fabriken anhäufen, doch auch daraus ergaben sich bisher keine Hinweise auf juristisch verfolgbare Tatbestände. Politische Macht und Reichtum gehören in Mazedonien weiterhin zusammen. Eine Konstellation, die neben der Instrumentalisierung ethnischer Fragen auch in Zukunft für Spannungen sorgen könnte.