Ein Gespräch mit Raphael Hillebrand, einer der Gründer der Partei Die Urbane

Von der Straße ins Parlament

Der Politik fehlt es eindeutig an HipHop – meinen zumindest die Mitglieder der Partei Die Urbane, die HipHop als globale emanzipatorische Bewegung begreifen. Raphael Hillebrand ist einer der Gründer.
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Eine HipHop-Partei, das klingt einigermaßen absurd. Warum ­haben Sie die Partei gegründet?
Die Idee kam Niels Robitzky, der besser bekannt ist unter seinem Künstlernamen Storm. Wir beide sind mit HipHop aufgewachsen, seine Grundwerte haben uns geprägt. Unsere Lebenswege wären ohne HipHop anders verlaufen. In den vergangenen Jahrzehnten ist uns bewusst geworden, dass wir uns mit keiner der existierenden Parteien identifizieren konnten. Die HipHop-Kultur ist hierzulande groß, man ist gut vernetzt. Außerdem hat HipHop eine sehr große politische Dimension, gerade wenn man an die Gründungszeiten zurückdenkt, den Gründungsmythos. Wir haben uns gefragt: Was könnte es bewegen, wenn alle Leute, die von HipHop im Herzen berührt wurden, sich gemeinsam für diese Grundwerte einsetzten?

Braucht man dafür eine HipHop-Partei? Was unterscheidet Die ­Urbane von den etablierten Parteien?
Klar, wir haben selbstverständlich auch Forderungen, die sich mit denen anderer Parteien decken. Da gibt es schon Gemeinsamkeiten. Aber wir bringen ganz andere Perspektiven mit, die bisher nicht von der Politik gesehen wurden. Das macht einen ganz entscheidenden Unterschied aus.

»Armen gab die HipHop-Kultur die Möglichkeit zur Selbst­ermächtigung. Und dafür, was teilweise aus Rap gemacht wurde – nun, die CDU muss sich auch nicht für die Kreuzzüge rechtfertigen.«

Was sind das für Perspektiven?
Die meisten Menschen können sich doch gar nicht mehr mit Politikern identifizieren. Wie auch? Irgendwelche Politiker debattieren und entscheiden über den Mindestlohn oder Hartz IV, obwohl sie zu niemandem Kontakt haben, der von diesen Themen tatsächlich betroffen ist. Denen fehlen die richtigen Perspektiven. Die Urbane ist viel näher an der Straße und fester in der Bevölkerung verankert.

Das behaupten allerdings sehr viele Parteien.
Das mag sein, am System wird trotzdem nichts geändert. Man stellt fest, dass das System Makel und Fehler hat, aber es wird nichts dagegen unternommen. Stattdessen versucht man, so weiterzumachen wie bisher – obwohl eigentlich allen klar ist, dass das nicht funktioniert. Das Besondere an der HipHop-Kultur ist, dass sie aus der Bewältigung von Problemen entstanden ist. Man muss sich nur mal die Gründungszeit an­sehen: Da wurde über verschiedene Kulturen hinweg ein Miteinander ­geschaffen, eine neue gemeinsame Identität aufgebaut. Viele Menschen identifizieren sich auch gar nicht mehr über Nationen, sondern fühlen sich international verbunden. Gerade diese Menschen sprechen wir an und wollen dem derzeit erstarkenden Nationalismus in Europa mit unserer Arbeit entgegenwirken.

Welche gesellschaftlichen Ursachen haben zum Erstarken des Nationalismus geführt?
Es fängt schon bei der Frage an, was es bedeutet, deutsch zu sein. Wen ­bezeichnet man in Deutschland als Ausländer? Wenn man den Leuten da draußen zuhört, stellt man fest, es geht eigentlich nie wirklich um die Staatsangehörigkeit oder die Befürwortung bestimmter Werte. Es geht um äußere Merkmale, ein Blick auf das Aussehen genügt, um Identitäten zu konstruieren. Solange Deutsche als Ausländer bezeichnet werden, werden sie auch nicht Teil dieser Gesellschaft und sich auch nicht so verhalten.

Diesen Punkt hätte man sicher problemlos in eine der etablierten Parteien tragen können.
Das hätte man versuchen können, ja. Aber es ist doch etwas anderes, ob man innerhalb einer bestehenden Partei Leute davon überzeugen muss, dass man etwas Neues machen will, oder ob man alle Leute offen zur Mitwirkung einlädt. Hätte ich mich zum Beispiel in der Partei Die Linke engagiert und gesagt: »Hey Leute, tretet doch mal bei der Linkspartei ein und lasst uns etwas ver­ändern«, das hätte eine ganz andere Färbung gehabt. Wir wollen einen Neuanfang.

Sie sprechen wie selbstverständlich von den Grundwerten und der Entstehungsgeschichte der HipHop-Kultur. Die meisten dürften HipHop gleichsetzen mit Rap. Den besten Ruf hat diese Musik nicht, vorwiegend wird über ihre negativen Seiten gesprochen: Homophobie, Frauenfeindlichkeit, manchmal ist auch von ­Antisemitismus die Rede. Wie will Ihre Partei szenefremde ­Menschen erreichen?
Es ist sicherlich ein Problem, dass man mit diesen Vorurteilen erst einmal zu kämpfen hat. Aber deshalb wollen wir der Allgemeinheit den Gründungsmythos nahebringen: Wie die Gewalt der Straßengangs im New York City der siebziger Jahre sich verwandelt hat in die Kreativität der HipHop-Crews, die weltweit wirksam wurde und über kulturelle Grenzen hinweg viele Kunstformen integriert und grundlegend verändert hat. Armen gab diese Kultur die Möglichkeit zur Selbstermächtigung, plötzlich konnten sie aus der gesellschaftlichen Marginalisierung heraustreten. HipHop steht für Teil­habe, gewaltfreie Konfliktbewältigung und eine machtkritische Perspektive. Und dafür, was teilweise aus Rap gemacht wurde – nun, die CDU muss sich auch nicht für die Kreuzzüge rechtfertigen. Wir wollen auch nicht das gesamte Spektrum des HipHop abbilden, sondern die repräsentieren, die sich mit den Grundwerten identifizieren können.

Die Urbane wird politisch links einzuordnen sein. In welchem Verhältnis stehen Sie beispielsweise zur Partei Die Linke?
Begriffe wie links und rechts haben an Bedeutung verloren. Die Leute verstehen darunter auch völlig unterschiedliche Sachen. Aber wenn wir diese Begriffe benutzen, dann würde ich sagen, dass wir mit unserem Programm – also unter anderem bedingungsloses Grundeinkommen, Beendigung aller kriegerischen Handlungen, Stopp aller Waffen­exporte, Kiezrettung gegen Gentrifizierung, gerechtere Verteilung von Reichtum, Schulen wieder zu Orten der Persönlichkeitsentwicklung machen – sogar noch links von der Linkspartei.

Wollen Sie eigentlich ernsthaft in den Bundestag einziehen?
Ja, aber sicher. Dieses Jahr wird es schwer, aber wir wollen zumindest bei diesen Wahlen 0,5 Prozent der Stimmen erreichen und dann in den kommenden vier Jahren so viele Leute wie möglich von unseren Ideen überzeugen, um dann in den Bundestag einzuziehen.