Die Debatte um Hochrisikospiele in Bremen

Wer zahlt?

Bremen möchte, dass die Polizeikosten bei sogenannten Hochrisikospielen nicht mehr vom Land getragen werden. Das wirft eine Menge Fragen auf.

Das Nordderby von Werder Bremen gegen den HSV im April 2015 war, wenn man es so nennen will, ein übliches Nordderby – Schlägereien wurden erwartet und Schlägereien fanden statt. Bremer Ultras prügelten sich mit HSV-Hools, Bremer Hooligans und Ultras prügelten sich gegenseitig, es gab mehrere Verletzte, einen beschädigten Zug, Flaschenwürfe auf den HSV-Bus und verletzte Polizisten. Diese wiederkehrenden Begleiterscheinungen eines Derbys gehören für manche Fans zum Spektakel, für viele andere sind sie lästig und unverständlich.

Wer ist für Ausschreitungen verantwortlich? Das Land Bremen sicher nicht. Der Verein Werder und die DFL allerdings auch nicht.

Dann aber stellte das Land Bremen laut die Frage: Wer zahlt? Und gab diesem Spiel im Nachhinein eine besondere Bedeutung. Das Land Bremen will die zusätzlichen Kosten für Polizeieinsätze bei sogenannten Hochrisikospielen nicht länger übernehmen (und so die eigene, leere Kasse entlasten). Was folgt daraus? Entstanden ist ein Rechtsstreit zwischen dem Bundesland und der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Für Mehrkosten von Polizeieinsätzen bei konfliktträchtigen Partien ist außerhalb des Stadions bisher der Staat verantwortlich. Ginge es nach dem Land Bremen, soll künftig »der Fußball« zahlen. Das hochverschuldete Bremen schickte der DFL für die Mehrkosten im Nordderby eine medienwirksame Rechnung über rund 425 000 Euro. Mittlerweile sind noch Rechnungen für drei weitere sogenannte Hochrisikospiele dazugekommen, insgesamt geht es um mehr als eine Million Euro. Und auch gut zwei Jahre nach dem Derby von April 2015 ist unklar, wie die Sache ausgeht.

Zwar hat die DFL geklagt und bekam jüngst vor dem Verwaltungsgericht recht. Allerdings nur deswegen, weil die Rechnung über rund 425 000 Euro dem Gericht zufolge inhaltliche und juristische Lücken aufwies – gerügt wurde unter anderem, dass nur die DFL und nicht auch Werder Bremen bezahlen sollten. Dennoch, so der Bremer Innen­senator Ulrich Mäurer (SPD), sei vom Gericht im Kern bestätigt worden, dass die von der Bremischen Bürgerschaft im Oktober 2014 beschlossene Kostenreglung für kommerzielle Großveranstaltungen mit besonderem Gefahrenpotential verfassungskonform sei. Wer jedoch zahlen muss, wurde nicht geklärt. Und weil das Land Bremen durch alle Instanzen gehen will, werden weitere Gerichte sich mit diesen Fragen beschäftigen müssen: Wer sollte für erhöhte Polizeikosten bei Risikospielen grundsätzlich zahlen müssen? Der Staat aus Steuereinnahmen oder »der Fußball« selbst? Und wenn, wer im Fußball? Die Vereine oder die DFL? Wer ist eigentlich der Veranstalter eines Fußballspiels? Und in welchem Maße ist er verantwortlich für das, was vor und nach einer Partie passiert?

Bislang ist die Verantwortlichkeit in Deutschland so geregelt: Innerhalb des Stadions sind die Clubs verantwortlich, stellen die Ordner und zahlen auch bei Ausschreitungen, unter anderem für entstandene Schäden. Außerhalb des Stadions liegt die Verantwortung beim Staat. Allerdings hat das Land Bremen im Oktober 2014 ein Gesetz beschlossen, das die Kostenverteilung bei Großveranstaltungen mit über 5 000 Besuchern und »hohem Gefährdungspotential« sowie »überwiegend kommerziellem Interesse« neu regeln soll. In solchen Fällen soll der Veranstalter für die zusätzlichen Polizeikosten zahlen. Natürlich ist das vor allem ein Gesetz, das sich gegen den Profifußball richtet: Welche andere Veranstaltung mit über 5 000 Besuchern in Bremen hat ein relevant hohes Gefährdungspotential? Bei Konzerten der Wise Guys oder Udo Lindenbergs prügelt sich niemand, falls denn überhaupt 5 000 Leute kommen. Für eine durchschnittliche Kirmes oder ein Schützenfest muss die Polizei keine Hundertschaften schicken.

Von Gegnern der Argumentation werden gern der Karneval und das Oktoberfest als kommerzielle Veranstaltungen mit ähnlichem Polizeiaufwand herangezogen. Da zahle ja auch nicht der Veranstalter. Diese Großveranstaltungen aber taugen nicht wirklich als Vergleich: Nach Polizeiangaben werden bei einem durchschnittlichen Erstligaspiel Woche für Woche 200 bis 250 Beamte abgestellt, bei einem Spiel wie Werder gegen den HSV sind es annähernd 1 000 Polizisten. Zu den 17 Heim­spielen eines Bundesligisten werden also mindestens 3 400 Polizisten ­abgestellt. Karneval und das Oktoberfest dagegen gibt es einmal im Jahr und das nicht einmal überall (in Bremen beispielsweise nicht). Und Schlägereien sind beim Fußball einkalkulierter Teil eines Rituals und nicht wie beim Karneval ein Kollateralschaden bei drei Promille.

Wenn also diverse Bundesländer (Bayern, Nordrhein-Westfalen) in ­einer Umfrage von Radio Bremen äußern, bei einer Neuregelung der Kostenübernahme wisse man nicht, »wo man anfängt und wo man aufhört«, stimmt das im Fall Bremens nicht. Es lässt sich durchaus zwischen Dorfschützenfest und Nordderby differenzieren. Eine Kostenübernahme ist außerdem, wie man einer Stellungnahme des Saarlands entnehmen kann, keine ganz neue Idee, sondern offenbar in der Konferenz der Innenminister schon häu­figer diskutiert worden. Nur hat sich an den populären Fußball bislang niemand herangetraut.

Wer aber soll dafür bezahlen? Wer ist für Ausschreitungen verantwortlich? Das Land Bremen sicher nicht. Der Verein Werder und die DFL allerdings auch nicht. Denn dass sich Bremer Ultras mit HSV-Hools schlagen, hängt mit der, wenn man so will, Sozialgeschichte des Fußballs zusammen. In Kanada gibt es Massenschlägereien beim Eishockey, während in Deutschland vor allem Familien zu den Spielen gehen. In den USA überfuhr eine Anhängerin der New York Yankees einen Fan der Boston Red Sox, weil der die Yankees beleidigt hatte. In den meisten anderen Ländern dieser Erde käme niemandem ein Mord mit dem Motiv Baseball in den Sinn. Umgekehrt gibt es auch nicht überall Schlägereien beim Fußball; in Deutschland reicht da schon der Blick auf die Frauen-Bundesliga. Und dass Fans aus Dresden oder Cottbus problematischer sind als solche aus München, hat eben auch mit einer Reihe ökonomischer und politischer Faktoren zu tun und ist nur sehr bedingt die Schuld von Dynamo und Energie.

Der Fußball kann und muss viel gegen Gewalt tun. In den meisten Fällen aber tut er es schon. Die Mehrzahl der deutschen Clubs unternimmt schon im eigenen Interesse viel, sei es mit repressiven Maßnahmen wie Stadionverboten oder mit kooperativen Maßnahmen wie Fanprojekten. Werder Bremen hat das älteste Fanprojekt Deutschlands, es existiert bereits seit 1981. Ein Club mit vielfach anerkannter Basisarbeit wie Werder würde dafür bestraft werden, dass sich Menschen im Namen des Vereins – besonders gern beim Nordderby – Kilometer vom Stadion entfernt prügeln. Ist das gerecht? Und was sollte der Verein dagegen tun? Er kann nicht mehr unternehmen, als Schlägern den Zugang zum Stadion zu verwehren. An einer Schlägerei in der Kneipe oder auf der Wiese hindert sie das nicht.

Auch das Land Bremen scheut sich, den sowieso eher klammen Club zu belasten, und will deshalb – und um die guten Beziehungen zu Werder nicht zu stören – lieber Geld von der DFL haben. Die aber, nicht dumm, droht, mögliche Kosten auf die Vereine abzuwälzen. Sowieso ist juristisch gesehen sehr wahrscheinlich Werder der Veranstalter, nicht die DFL. Wer das auf andere Vereine überträgt, stößt bei einer möglichen Neuregelung bald auch an Grenzen des Prak­tikablen. Denn Polizeiaufgebote bei Risikospielen gibt es ja nicht nur in der Bundesliga, sondern bis hinein in den Amateurbereich. In Berlin etwa ist der Regionalligist BFC Dynamo seit Jahren dritte Kraft in Sachen Kategorie-C-Fans (nach den ungleich zuschauerstärkeren Vereinen Hertha BSC und 1. FC Union), bei Hochrisikospielen des BFC waren auch schon 400 Polizisten im Einsatz. Werder Bremen mag in der Lage sein, für die Polizeipräsenz aufzukommen – ein Viertligist ist es nicht. Die Sprecherin des saarländischen ­Innenministers gab in der Umfrage von Radio Bremen an, bisher sei die Idee auch aus »Praktikabilitätsgründen« gescheitert.

Mehrkosten bei Hochrisikospielen sollten nicht vom Steuerzahler getragen werden, argumentiert das Land Bremen – was auf den ersten Blick sinnig scheint, aber eben auch für eine Menge anderer Einsätze gilt. Wenn Pegida marschiert, wenn die AfD Parteitag hat, wenn sich Antifas mit Neonazis in die Haare bekommen oder ein x-beliebiger Mensch festgenommen wird, für alle erdenklichen Polizeieinsätze zahlt die All­gemeinheit und niemand fragt den Bürger nach seiner persönlichen Ansicht dazu oder ob er persönlich davon profitiert. Die Polizei ist für die öffentliche Sicherheit verantwortlich und der Bürger zahlt dafür, dass die Sicherheit oder das, was die Polizei dafür hält,  im besseren Fall gewährleistet wird.

Wie würde der Staat eine Ausnahme rechtfertigen? Mit den leeren Kassen eines Bundeslandes bestimmt nicht. Nebenbei verdient das Land Bremen auch ganz gut am Fußball, an Auswärtsfans, die mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren, an Gästen, die den Stadionbesuch mit einer Städtereise verbinden, an Hotelbuchungen und Kneipenbesuchen und dem Sixpack Bier, der noch schnell im Supermarkt gekauft wird. Vom Fußball profitieren viele. Es müssen auch viele dafür zahlen. Werder Bremen und die DFL tun das übrigens auch. Denn beide sind – so darf man zumindest hoffen – Steuerzahler.