»Eine Nacht geht immer noch«
Wir blicken heute auf 20 Jahre »Jungle World« zurück. Was hast du 1997 eigentlich gemacht? Damals gab es Egotronic ja noch gar nicht.
Da habe ich auch schon Musik gemacht, mit der Vorgängerband König Ego. Auch ansonsten habe ich fast dasselbe gemacht wie später: hab’ Drogen genommen, bin Feiern gegangen und war politisch linksextrem.
Egotronic steht für knallharte politische Aussagen, aber vor allem auch für Lustprinzip, für Rave und Rausch und Party ohne Ende. Fällt es mit zunehmendem Alter schwerer, immer die Rampensau zu machen? Im Vorgespräch haben wir uns fast eine Stunde über unsere Wehwehchen und über Arztbesuche unterhalten …
Es hat sich schon einiges verändert, auch musikalisch. Für mich war es damals wichtig, das Recht auf Party in der Linken hochzuhalten, weil das gerade dort oft viel zu kurz kam. Ich kann mich noch an Zeiten im Autonomen Zentrum erinnern, als man für einen stark hedonistischen Lebenswandel heftig angegangen wurde. Jetzt bin ich älter geworden und irgendwann nach der tausendsten Afterhour wurde es auch schon mal langweilig. Mein Interesse daran ist bei weitem nicht mehr so groß. Ich habe immer noch ein ausgeprägtes Rauschbedürfnis, dem gebe ich mich auch gerne öfters noch hin, aber »drei Tage wach« ist wirklich eine Seltenheit geworden.
»Hier in Deutschland auf eine Party zu gehen, ist nun wirklich kein widerständiger Akt.«
Wie funktionierten früher »drei Tage wach« und wie heute?
Wenn mir das heute passiert, dann eher aus Versehen, wenn die Drogen zu stark sind. Aber früher war das ja geplant. Vor allem im Sommer 2007 haben wir das ganz extrem zelebriert. Da gehörte Speed zu den Grundnahrungsmitteln. Das war nicht mal der Rede wert. Wenn Leute gefragt haben: »Habt ihr Drogen genommen?«, dann hat man Speed nicht einmal dazugezählt. Deswegen war man dann ja auch drei Tage wach. Hier in Berlin war das kein Problem. Von der einen Party bist du raus und die nächste ging grad los. Vor allem im Sommer, wenn man draußen feiern konnte, war das für uns wie im Paradies. In der Regel sind wir Freitagabends los in den ersten Club, um die erste Nacht rumzukriegen, und ab Samstag früh ging’s nur noch von einem Open Air aufs nächste. Und Sonntag ging’s zur Bar 25, da ist man bis Montag geblieben.
Aber heute sehen deine Sommernächte anders aus.
Das kann man in Berlin wahrscheinlich immer noch so machen, aber ich habe heute zum Teil einfach andere Interessen. Und wenn ich jetzt in einen Club gehe, dann sind die meisten Leute dort halb so alt wie ich, die sind so alt wie meine Tochter. Man fühlt sich dann einfach nicht mehr so dazugehörig wie vor zehn oder 20 Jahren.
Eure Fans sind zu einem großen Teil wesentlich jünger als ihr. Ein Phänomen, dass die »Jungle World« so ähnlich mit ihren Lesern auch kennt. Bekommt man da irgendwann ein Problem mit der Glaubwürdigkeit?
Klar, ich bin nicht mehr der 20- oder 30jährige junge Hüpfer, das ist offensichtlich. Drum singe ich heute auch eher andere Sachen. Die Liedtexte der neuen Songs sind wieder viel politischer. Das liegt einerseits daran, dass ich nicht mehr so viel feiern gehe, andererseits aber auch an der Verschärfung der politischen Lage.
Wie sieht der Rausch des Alters aus? Drei Tage wach schaffen wir nicht mehr, aber Party machen wollen wir ja schon noch.
Eine Nacht geht immer noch. Wenn ich ausgehe, nehme ich schlicht und ergreifend einfach weniger von allem. Früher hat man das, was da war, auch genommen, und jetzt nehme ich auf einer Technoparty vielleicht ein, zwei Nasen, feiere schön – und dann ist die Nacht auch vorbei und ich gehe nach Hause. Ich weiß nur zu gut, dass es mir, wenn ich drei Tage wach bleibe, danach drei oder vier Tage so richtig beschissen geht.
Inwieweit sind Party und Rausch politisch? Oder habt ihr das einfach nur miteinander kombiniert?
Vor allem wollte ich es miteinander kombinieren, klar. Aber politisch war es für mich tatsächlich in dem Punkt, dass ich mich durch dieses massive Feiern der Verwertbarkeit entzogen habe. In der Ausbildung war ich ganz viel feiern und danach immer schön krank geschrieben. Für mich hieß das: Ich lass es mir gut gehen und verweigere mich der Verwertung. Aber ich war nie der Meinung, dass eine Technoparty ein politisches Event ist.
Also, raven gegen Deutschland kann man gar nicht?
Genau, das geht nicht. Damit wollte ich nur sagen, dass man auch als Raver, als Partygänger, gegen Deutschland sein kann. In stark religiösen, besonders in islamistisch regierten Ländern ist das etwas anderes: Da geht es um das Recht auf Freizügigkeit, da riskierst du vielleicht sogar dein Leben, wenn du einen Rave veranstaltest. Dort ist das ein massiver Akt des Widerstandes. Aber hier in Deutschland auf eine Party zu gehen, ist nun wirklich kein widerständiger Akt. Mit unserer Kampagne »Plus 1 – Refugees welcome« versuchen wir immerhin, Partygänger zu einer Spende für die Flüchtlingsarbeit zu bewegen – und das sehr erfolgreich zum Glück.
Du als Dr. Rave, was empfiehlst du den jüngeren »Jungle World«-Lesern für die nächste Partynacht?
Nicht vergessen, zwischendurch viel Wasser zu trinken, das ist echt wichtig, und ab und zu ein Obst essen. Ansonsten: alles was Spaß macht.
Und den älteren Lesern – und Redakteuren?
Dasselbe. Die eigenen Bedürfnisse ernst nehmen, dann kann man auch in unserem Alter noch ganz gut feiern.
Wir haben im Vorgespräch über diverse Medikamente gesprochen, die wir so nehmen, lassen die sich in eine Partynacht integrieren?
Absolut! Natürlich ist das eine andere Schublade, weil es meistens eher um beruhigende Mittelchen geht. Aber damit kann man ja auch eine Menge Spaß haben, das lässt sich durchaus einbauen. Auch Kiffen. Das mache ich zwar selten, aber ich mag es trotzdem gerne. Das ist eine durchaus partytaugliche Droge, die inzwischen ja auch als Medikament anerkannt ist. So tut man was für die Gesundheit und hat Spaß.
Und, von Partydrogen abgesehen, worauf sollte man noch achten beim Feiern?
Ich finde es sehr wichtig, immer mit einer Crew unterwegs zu sein und immer aufeinander zu achten. Immer auch nach dem schwächsten Glied der Kette gucken. Wenn einer abkackt, dann muss man für ihn da sein, unbedingt.
Also Hedonismus bedarf auch einer sozialen Verantwortung?
Auf jeden Fall. Es ist wie bei der Politik. Das macht man auch mit Leuten, denen man vertraut, so habe ich das beim Feiern auch immer gehalten.