In Prozessen gegen angebliche linke Terroristen arbeitet die griechische Justiz mit dubiosen Mitteln

Die DNA der Repression

In Griechenland sorgen zwei Prozesse wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für Kritik an der Justiz.

Es war eine der skandalösesten Gerichtsentscheidungen der vergangenen Jahre. Am 1. Juni verurteilte ein Sondergericht in Athen Irianna V. L., eine Doktorandin der Universität von Athen, zu 13 Jahren Haft ohne Bewährung. Ihr wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, der »Verschwörung der Feuerzellen« (Synomosía Pyrínon Tis Fotiás, SPF).

In den vergangenen Monaten gab es zwei Prozesse in Athen, die für große Kontroversen sorgten. Einer war der gegen Irianna, der andere, bereits in zweiter Instanz, betraf Tasos Theofilou, der sich als »anarchistischenr Kommunist« bezeichnet, dem ebenfalls vorgeworfen wird, ein Mitglied der SPF zu sein. Er war in erster Instanz wegen Beteiligung an einem Bankraub und fahrlässiger Tötung zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Der Bankraub war 2012 in Paros ein verübt worden, eine Person wurde getötet. Kurz darauf wurde Theofilou infolge eines anonymen Anrufs verhaftet. Keiner der Zeugen konnte ihn als Täter identifizieren. Als Beweisstück galt ein Hut, der angeblich DNA-Spuren von Theofilou aufwies und den der Täter getragen haben soll. Der Hut war nicht am Tatort von der Polizei sichergestellt worden und wurde erst nachträglich als Beweisstück eingebracht – Tage nachdem Theofilou verhaftet worden war. Das Urteil in zweiter Instanz wird im Juli erwartet. Bis dahin wird Theofilou bereits fünf Jahre im Gefängnis verbracht haben. Beide Fälle, vor allem der Iriannas, wurden in sozialen Netzwerken diskutiert, was eine breitere Debatte über Polizeimethoden und mangelnde Unabhängigkeit der griechischen Justiz auslöste.

Die »Verschwörung der Feuerzellen« tauchte zu Beginn des Jahres 2008 auf. Die anarchistische Gruppe mit insurrektionalistischen und nihilistischen Tendenzen hat seither Anschläge auf griechische und europäische Politiker, Banken, Gefängnisse und Gerichte verübt. Den ersten Personen wurde deswegen im September 2009 der Prozess gemacht, einige Monate nach den Ausschreitungen vom Dezember 2008, die auf den Tod des 15jährigen Alexandros Grigoropoulos durch die Kugel eines Polizisten folgten und zu einer Welle militanter Aktionen und zivilen Ungehorsams führten.

Medienberichten zufolge ging die Polizei damals davon aus, der SPF gehörten 80 bis 120 Mitglieder an – eine recht hohe Zahl; das eröffnete auch die Möglichkeit, später viele Menschen zu verfolgen. Abgesehen von der Organisation selbst schien die Kampagne gegen die SPF jene Jugendlichen zum Ziel zu haben, die immer zahlreicher in der Bewegung um das linke Athener Szeneviertel Exarchia auftauchten, Berührungspunkte mit anarchistischen und antiautoritären Ideen oder Aktionen hatten und weder vom Staat noch den dominanten politischen Gruppen anarchistischer oder anderer linker Strömungen so einfach kontrolliert werden konnten. Viele dieser »Newcomer« erschienen in der Szene nach den Protesten der Studierendenbewegung 2006/­2007; viele andere waren junge Schülerinnen und Schüler, die an den Ausschreitungen von 2008 teilnahmen. Der 2008 erschossene Grigoropoulos gehörte zu diesem Umfeld, ebenso viele Einwanderer der zweiten Generation.

Die SPF versuchte, sich diesem Milieu zu nähern, lobte jene, »die den rebellischen Geist vom Dezember teilen und nicht aufhören, den Staat anzugreifen«, und propagierte die Notwendigkeit, mehr Akte des Ungehorsams, der Zerstörung und der Verweigerung von Verhandlungen zu begehen.

Vor und vor allem nach Dezember 2008 kam es immer öfter zu Brandanschlägen auf Banken, organisierten massenhaften Plünderungen, der Zerstörung öffentlicher Gebäude und anderen Aktionen. In den ersten Monaten der Jagd auf die SPF begannen viele Menschen, die irgendwie an solchen Aktivitäten, auch weniger gewalttätigen, beteiligt waren, zweimal darüber nachzudenken, bevor sie aktiv wurden. Die Zahl dieser ehemals weitverbreiteten Aktionen ging deutlich zurück. Mittlerweile waren mehr als 40 Menschen wegen Mitgliedschaft in der SPF verhaftet worden. Viele wurden wieder freigelassen, einige verurteilt und inhaftiert und zehn bekannten sich dazu, Mitglied der SPF zu sein.

Iriannas erstes Zusammentreffen mit der Obrigkeit fand im Winter 2011 statt, als mitten in der Nacht ein Spezialeinsatzkommando der Polizei in die Wohnung, die ihr Freund gemietet hatte, eindrang – beide wurden im Schlaf überrascht. Bei ihrer Festnahme gab Irianna bereitwillig ihre Fingerabdrücke und eine DNA-Probe ab. Nach weniger als 24 Stunden wurde sie freigelassen. Ihr Freund Konstantinos war mit einigen Mitgliedern der »Feuerzellen« befreundet und hielt auch noch Kontakt, nachdem diese verhaftet worden waren. Er wurde schließlich selbst wegen Mitgliedschaft in der Gruppe angeklagt, aber nach einem fast zweijährigen Verfahren von Richtern und Anklägern einhellig für unschuldig erklärt.

Während des Prozesses gegen ihren Freund verhaftete eine Antiterror-Einheit Irianna auf einer Hauptstraße in einem nördlichen Athener Vorort. Sie wurde zur Bezirksstaatsanwaltschaft gebracht, die sie darüber informierte, dass sie ebenfalls angeklagt werde, Mitglied der SPF zu sein. Als Beweis wurde angeführt, dass ein Zeuge eines nachts gesehen habe, wie einige Personen auf dem Universitätscampus eine Kiste im Boden vergruben. Da er gedacht habe, sie versteckten Geld, so die Polizei, habe er dort gegraben und eine Kiste voller Waffen gefunden, die er einige Tage später der Polizei übergeben habe. Die Polizei behauptete, sie habe DNA-Spuren gefunden, die mit dem Gentyp Iriannas übereinzustimmen schienen. Dieser mysteriöse Zeuge tauchte nicht vor Gericht auf, die Ermittler waren angeblich nicht in der Lage, ihn ausfindig zu machen. Die Bezirksstaatsanwaltschaft entschied, Irianna erneut freizulassen, dieses Mal unter Auflagen. Sie musste sich dreimal im Monat im Polizeihauptquartier melden und durfte das Land nicht ohne Erlaubnis verlassen.

In der Anklageschrift wird eingeräumt, dass sich anhand der privaten Daten auf ihrem Telefon und ihrer Bankkonten keine Verbindung zur SPF herstellen lasse. Ebenso wenig hätten die Durchsuchungen ihrer Wohnung und eines auf den Namen ihres Vaters angemeldeten Autos Hinweise auf eine Beteiligung an der Organisation ergeben. Dennoch, so heißt es in der Schlussfolgerung des Schreibens, gebe es »ernsthafte Hinweise auf Schuld«. Diese wurden nicht näher benannt – es reichte, auf die Beziehung Iriannas zu ihrem Partner zu verweisen.

In Theofilous sowie Iriannnas Fall war eines der entscheidenden von der Antiterrorpolizei gelieferten Beweisstücke jeweils eine dubiose DNA-Spur. In Iriannas Prozess wurde George Fitsialos, ein erfahrener Forensiker und Wissenschaftler auf dem Gebiet der DNA-Analyse, der in der Vergangenheit mit Polizeibehörden zusammengearbeitet hatte, als Zeuge geladen. Seine Aussage blieb von den Richtern jedoch unbeachtet. Als der Wissenschaftler nach einer Probe der gefundenen DNA-Spur fragte, um sie zu prüfen, wurde seine Anfrage mit der Ausflucht abgelehnt, die Menge sei so gering, das sie nur für einen Test ausgereicht habe und daher kein weiterer möglich sei. In seinem technischen Bericht für das Gericht stellte Fitsialos fest, dass die präsentierten Beweise äußerst unzureichend seien, so dass keinesfalls ein eindeutiges Ergebnis zustandekommen könne, und warnte vor »tragischen Fehlern, ernsthaften Mängeln und signifikanten Abweichungen«. Die Fragen der Richter im Prozess betrafen persönliche Beziehungen, Bekanntschaften und Moral. So wurde Irianna etwa gefragt, warum sie die Beziehung nicht beendet habe, als sie erfuhr, dass ihr Freund als Krimineller angeklagt wird.

Das Urteil hatte einen öffentlichen Aufschrei zur Folge. Mehrere Abgeordnete unter anderem der regierenden linken Partei Syriza unterstützten in einer Stellungnahme Irianna und riefen »alle demokratischen Menschen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit« auf. Justizminister Stavros Kontonis forderte die Richter dazu auf, so bald wie möglich ihre Urteilsbegründung zu veröffentlichen. Es selbst hatte allerdings kürzlich vorgeschlagen, die Gesetzgebung um eine Reihe an Delikten zu erweitern, die zukünftig als »terroristische Akte« gelten sollen. So könnten bald noch mehr Menschen als »Terroristen« angeklagt werden.