Bei der Wirtschaft hört der Spaß auf – die Bundesregierung verschärft ihre Türkei-Politik

Dem Sultan geht’s ans Portemonnaie

Vergangene Woche änderte die Bundesregierung ihren Kurs gegenüber der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Nun soll eine härtere Gangart eingeschlagen werden.

Die bundesdeutsche Außenpolitik ist traditionell nur selten offen aggressiv. Wenn es richtig Ärger gab, verließ man sich jahrzehntelang auf die USA. Sonst setzte man meist auf Scheckbuchdiplomatie. Kein Problem bei Kontrahenten, die rational und egoistisch waren – Despoten oder auch Terroristen, die Urlauber als Geiseln genommen hatten, konnte man oftmals einfach kaufen. Viele Regierungen ließen sich durch die Aussicht auf engere Handelsbeziehungen oder großzügigere Wirtschafts­hilfen zu einer deutschlandfreundlicheren Haltung bewegen.
Diese gewohnten Methoden versagen im Umgang mit der Türkei unter Prä­sident Recep Tayyip Erdoğan seit der Verhängung des Ausnahmezustands. Ein Jahr lang schaute die Bundesregierung nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 zu, wie die Türkei – eigentlich ein Nato-Partner und wirtschaftlich eng mit der Europäischen Union und besonders Deutschland verbunden – deutsche Staatsbürger unter fadenscheinigen Begründungen ins ­Gefängnis steckte, die Bundesrepublik als Nazi-Land beschimpfte, die Deutschtürken im Wahlkampf aufhetzte, Agenten in Schulen und Moscheen einsetzte und versuchte, die Inlandsgeheimdienste zu unterwandern. Die Reaktionen der deutschen Regierung ­waren unsicher und verhuscht: Als im Februar der Welt-Korrespondent und Jungle World-Mitherausgeber Deniz Yücel wegen »Propaganda für eine ­terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung« inhaftiert und später von Erdoğan als Terrorist und Agent bezeichnet wurde, kam nicht mehr als der Hinweis des Auswärtigen Amtes, man erwarte ein faires und rechtsstaatliches Verfahren, was schon damals lächerlich war: Tausende saßen bereits, ohne dass Beweise vor­gelegt worden wären, als angebliche Unterstützer des Putsches in den Gefängnissen und die türkische Justiz war mit Entlassungswellen längst auf Erdoğan-Kurs gebracht worden. Unter den Inhaftierten waren nach Angaben der Bundesregierung 22 deutsche Staatsbürger, denen zum Teil der Kontakt zum Konsulat verweigert wurde – allein das eigentlich ein nicht zu entschuldigender Bruch des Völkerrechts. Neun von ihnen sind noch immer in Haft.
Die Bundesregierung ließ das alles geschehen. Sie tat ihren Unmut kund, unterband Auftritte türkischer Politiker, achtete jedoch darauf, dass dies nie als eine direkte Reaktion auf das Verhalten der Türkei erschien, sondern als Anwendung von Regeln, die auch für die Politiker anderer Staaten gelten. Man erfüllte und erfüllt Erdoğans Wünsche: Die kurdische PKK ist nach wie vor in Deutschland verboten, die Symbole der kurdischen YPG, die in Nordsyrien ­gegen den »Islamischen Staat« (IS) kämpft, wurden verboten und die linke Band »Grup Yorum« wurde ganz im Sinne Erdoğans an Auftritten gehindert und mit Schikanen belästigt.
Gelohnt hat sich die Zurückhaltung nicht, im Gegenteil: Die Türkei bot Deutschland inoffiziell an, Deniz Yücel freizulassen, wenn zwei geflohene ehemalige Generäle der türkischen Armee ausgeliefert würden – ein inakzeptabler Menschenhandel. Doch erst als Anfang Juli der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner zusammen mit Mitarbeitern von Amnesty ­International in der Türkei verhaftet wurde, begann die Bundesregierung langsam aktiv zu werden. Der türkische Botschafter wurde einbestellt, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) brach seinen Urlaub ab.
Kurz zuvor war bekannt geworden, dass 680 deutsche Unternehmen, darunter Daimler und BASF, auf einer ­türkischen Liste angeblicher Terrorunterstützer standen. Mittlerweile waren also nicht nur Journalisten und Menschenrecht in Gefahr, sondern auch Tausende Mitarbeiter deutscher Wirtschaftsunternehmen und damit deren Gewinne. »Deutsche Staatsbürger sind in der Türkei nicht mehr sicher«, sagte Gabriel und ließ die Reisehinweise des Auswärtigen Amts für die Türkei verschärfen: »Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen.« Die Auslandsvertretungen seien bei Festnahmen deutscher Staatsangehöriger nicht immer rechtzeitig unterrichtet und der Zugang für die konsularische Betreuung nicht in allen Fällen gewährt worden. Reisenden werde empfohlen, aus Sicherheitsgründen »Menschenansammlungen, auch auf öffentlichen Plätzen und vor touristischen Attraktionen«, zu meiden. Auch wenn das noch keine offizielle Reisewarnung war, die es zum Beispiel Touristen ermöglicht, von Buchungen zurückzutreten, bedeutete es doch eine erhebliche ­Verschärfung und damit einen weiteren Schlag für die türkische Tourismus­industrie. Und der zeigte schnell seine Wirkung: Die Türkei zog die Liste zurück.

Nach Monaten der Tatlosigkeit scheint die Bundesregierung jetzt alle Register zu ziehen: Die Hermes-Bürgschaften für Türkei-Geschäfte, die die Investitionen deutscher Unternehmen absichern, sollen überprüft, die EU-Verhandlungen mit der Türkei über eine Zollunion nicht mehr fortgeführt, die Vorbeitrittshilfen der EU möglicherweise ­gestoppt und Rüstungsprojekte auf Eis gelegt werden. Alles zusammen ist das ein schwerer Schlag für Erdoğan, der ihn dort trifft, wo es am meisten schmerzt: bei der Wirtschaft.

Bereits vor der Verkündung der neuen Sicherheitshinweise war die Zahl der deutschen Urlauber in der Türkei im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent zurückgegangen. Weil die deutschen Besucher wohlhabender sind als Tou­risten aus Osteuropa, deren Zahl stieg, trifft der Rückgang die türkische Reisebranche hart.

Es ist nicht nur der Tourismus in der Türkei, der in Schwierigkeiten steckt. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie lange nicht mehr, jeder fünfte Jugendliche hat keine Stelle und die Inflationsrate von zehn Prozent frisst die Löhne auf. Durch die Schwäche der türkischen Lira kann das Land zwar mehr exportieren, aber Textilien und Unterhaltungselektronik liefern keine dauerhafte Basis für eine stabile Wirtschaft. Die engen Beziehungen zur EU sind für die Exportwirtschaft bedeutsamer. Verschlechtern sie sich, geraten ganze Industrie­branchen unter Druck und könnten innerhalb kurzer Zeit von Unternehmen aus China oder Bangladesh vom Markt gedrängt werden. Von der schwachen Lira profieren die meisten Türken ­ohnehin nicht: Für sie werden Importwaren und Auslandsbesuche immer teurer, der Lebensstandard sinkt. Die türkische Wirtschaft wird derzeit vor ­allem durch staatliche Bauprojekte gestützt, für die sich das Land verschuldet. Erdoğan war der Mann des wirtschaft­lichen Aufstiegs, nun wird er zum Symbol des Niedergangs. Dass sich vor ­wenigen Tage zwischen 1,6 und zwei Millionen Menschen an dem »Marsch für Gerechtigkeit« des türkischen Oppositionsführers Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) beteiligten, zeigt, das Erdoğans Probleme im Inland wachsen.

Der Streit mit der Bundesregierung könnte sie noch verschärfen. Nicht mehr ganz so selbstbewusst wie von der türkischen Regierung in den vergangenen Monaten gewohnt, klang dann auch İbrahim Kalın, ein Sprecher Erdoğans: »Es ist nicht akzeptabel, aus politischen Berechnungen heraus die wirtschaftlichen Beziehungen zu beeinträchtigen. Deutschland ist für uns ein wichtiger Handelspartner.« Dabei kommt die türkische Regierung an ­einer Tatsache nicht vorbei: Für ein Schwellenland mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 857 Milliarden US-Dollar kann es unangenehm werden, sich mit einem Industrieland mit einem BIP von 3 466 Milliarden US-Dollar anzulegen – vor allem kurz vor einer Bundestagswahl, wenn alle Parteien der Ansicht sind, von einem harten Kurs gegen Erdoğan profitieren zu können.