Im thüringischen Dorf Themar gaben sich erneut Neonazis ein Stelldichein

Hinterm Wald

Das Örtchen Themar entwickelt sich immer mehr zur Partyhochburg der Rechtsrockszene. Doch auch der antifaschistische Protest wächst.
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Zwei Wochen nach der wahrscheinlich größten Nazi-Veranstaltung in Thür­ingen seit 1945 kamen am Samstag erneut Neonazis in Massen auf einer Wiese am Rande des 3 000-Seelen-Dorfs Themar zusammen. Diesmal waren es etwa 1 000 Neonazis, die zu dem Rechtsrockfestival mit dem Namen »Rock für Identität« gekommen waren.

Zwei Wochen zuvor hatte der im Vorland des Thüringer Walds gelegene Ort während eines Konzerts mit dem Titel »Rock gegen Überfremdung« 6 000 Neonazis angezogen. Darunter waren sogenannte Freie Kameradschaften, Versandhändler für Nazi-Devotionalien, Kleinstparteien wie »Der III. Weg« und »Die Rechte«, Mitglieder von Thügida sowie der Naziskinhead-Netzwerke Hammerskins und Blood & Honour. Nach Recherchen des Portals »Thüringen rechtsaußen« waren unter den 200 Helfern des Ordnungsdienstes viele Neonazis aus Thüringen, wie etwa die Neonazi-Rockergruppe »Turonen/Garde 20«. Unterstützung be­kamen die Veranstalter zudem von der »Barnimer Freundschaft« aus Brandenburg und Axel Schlimper, dem Gebietsleiter Thüringen des Neonazi-Netzwerks »Europäische Aktion«.

Im beschaulichen Themar, mit seinen Fachwerkhäusern, der mittelalterlichen Stadtmauer und bewaldeten Bergen, mutete nicht nur die große Zahl von Neonazis auf der Versammlung, sondern auch deren europaweite Mobilisierung bedrohlich an. Die Holocaust-Leugner von der »Europäischen Aktion« machten erst vor wenigen ­Tagen Schlagzeilen, als sie wegen paramilitärischer Camps mit Schießübungen im Thüringer Wald ins Visier der Polizeibehörden gerieten. Die im gesamten Bundesgebiet verübten Morde und Sprengstoffanschläge des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) liegen keine zehn Jahre zurück – verstrickt in die NSU-Taten war auch das Netzwerk Blood & Honour. Sein bewaffneter Arm, Combat 18 – die Zahl 18 steht für die Buchstaben AH, diese ­wiederum für Adolf Hitler –, ruft zu Bombenanschlägen auf. Das Regiment Asow, ein paramilitärischer neofaschistischer Verband in der Ukraine, rekrutierte auf dem »Rock gegen Überfremdung« für die »Reconquista Europas« und forderte die anderen Besucher auf, von der »Misanthropic Division« des Regiments zu lernen. Diese will »arisch-ukrainische Werte« gegen den »verjudeten« Westen, Russen und ­andere »Fremdrassige« verteidigen.

Die Mitglieder dieser Organisationen tummelten sich in Themar, um Kontakte zu knüpfen und ihre Gesinnung über die Musik zu verbreiten. Derar­tige Veranstaltungen fungieren zudem als Schnittstelle zwischen Parteien wie der NPD, »Der III. Weg«, der neonazistischen Wählergemeinschaft »Bündnis Zukunft Hildburghausen« (BZH) und der extrem rechten Subkultur.

Beschaulich ist es in Themar nur noch für die wenigen Themaraner und Themaranerinnen, die nach dem ersten Konzert feststellten, dass die Neonazis nach alter deutscher Tradition die Überreste ihres Spektakels beseitigten, um den Veranstaltungsort »besenrein« zu hinterlassen.

Nach »Rock gegen Überfremdung« fand nun Samstag mit »Rock für Identität« der »Sturm auf Themar 2.0« statt, wie es in Neonazikreisen hieß. Unter den 1 000 Rechtsextremen waren ­viele Mitglieder von Blood & Honour aus dem Bundesgebiet, aus der Schweiz, Italien, Belgien, der Slowakei und Tschechien.

Der Leiter des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), Matthias Quent, verwies gegenüber der Jungle World darauf, dass die Besucherzahlen von Rechtsrockveranstaltungen gerade in Thüringen immer weiter anstiegen. Statistisch belegt das die Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen an das Thüringer Innenministerium. Demnach hat sich die Zahl der als politische Versammlungen ­angemeldeten Rechtsrockkonzerte unter freiem Himmel von 2011 bis 2016 von drei auf zwölf Konzerte vervierfacht. An diesen zwölf Konzerten nahmen insgesamt etwa 6 500 Neonazis teil, dieses Jahr waren es allein in Themar innerhalb der vergangenen drei Wochen 7 000.

Auf eine weitere Anfrage der Grünen antwortete der thüringische Innenstaatssekretär Udo Götze: »Knapp 74 Prozent aller rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen in Deutschland finden in den ostdeutschen Bundesländern statt.« Thüringen erweise sich wegen seiner zentralen geographischen Lage sowie des Angebots an preisgünstigen und leerstehenden Gebäuden für Veranstalter und Teilnehmer als besonders beliebt. Quent sieht den Erfolg der Rechtsrockkonzerte vor allem darin begründet, dass die Events unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts stattfinden und damit kein Zwang zur Klandestinität besteht. Es müsse nicht mehr geheim geworben werden, das ermögliche viel mehr Menschen den Zugang zu den Konzerten. Politiker und Behördenvertreter streiten nun über die Frage, ob es sich bei den Rechtsrockkonzerten um rein kommerzielle Veranstaltungen oder vom Versammlungsrecht geschützte politische Demonstrationen handelt.

Entscheidenden Anteil daran hat die kontinuierliche Agitations- und Vernetzungsarbeit von Integrationsfiguren der Szene wie Tommy Frenck und ­Patrick Schröder. Zusammen mit den Neonazirockern der »Turonen/Garde 20« organisierten sie »Rock gegen Überfremdung«. Gemeinsam gelang es ihnen, große Teile der militanten rechten Szene im Bundesgebiet und Europa zu mobilisieren.

Bewegungsunternehmer wie Frenck und Schröder verfolgten mit Rechtsrockkonzerten nicht nur politische, sondern auch unternehmerische Ziele, so Quent. Allein »Rock gegen Überfremdung« habe der Recherche von ­»Thüringen rechtsaußen« zufolge bis zu 200 000 Euro an Einnahmen ge­neriert, die größtenteils auf dem Konto des Saalfelder Neonazis Maximilian Warstat gelandet seien.

Innerhalb der Neonaziszene ist diese Art von braunem Konzertunternehmertum nicht unumstritten. »Der III. Weg« äußerte sich zwischen den beiden Konzerten mit einem Beitrag, in dem bei Veranstaltern und Teilnehmern »asoziales Verhalten« und »kapitalistische Auswüchse« kritisiert ­werden. Die Parole »Umweltschutz ist Heimatschutz« verkomme angesichts der produzierten Flaschen- und Müllberge zu einer Farce, es gebe falsche Nachsicht mit den »braun lackierten Kapitalisten«, die so etwas veranstal­teten. Ob sich diese szene­internen Steitigkeiten auf den Erfolg künftiger ­Konzerte auswirken werden, bleibt abzuwarten.

Im Dorf Themar selbst stießen die angereisten Neonazis auf wenig Sym­pathie. Nach einer Phase des Wegschauens formierte sich dort in den ver­gangenen Wochen eine Zivilgesellschaft, wie sie für ländliche Regionen Ostdeutschlands ungewöhnlich ist. Auch, weil Menschen hier über Generationen hinweg keine Erfahrung mit der Organisierung von Opposition gegen Autoritäten oder bei Konflikten im Betrieb sammeln konnten und kaum Strategien besitzen, für ihre Interessen politisch zu kämpfen. In der Sehnsucht nach Politikern, die sich an die Spitze einer Bewegung stellen, reproduziert sich dieses paternalistische Weltverhältnis.

Katharina König-Preuss, die Sprecherin für Antifaschismus der Linkspartei im Thüringer Landtag, hatte einen ­positiven Eindruck von den Gegenprotesten bei »Rock für Identität«, zu ­denen 500 Menschen kamen. »Es kann in Themar etwas richtig Tolles ent­stehen, das über Themar hinausgeht«, sagte sie der Jungle World. Vor allem die geschlossene Zurückweisung der Extremismustheorie und eine Distanzierung von verbalen Angriffen auf »die Antifa« machten ihr Mut. Es waren kaum organisierte antifaschistische Gruppen angereist, obwohl sich die Menschen in Themar offensichtlich Unterstützung wünschen. Dem antifaschistischen Demonstrationszug ­wurde auf dem Marktplatz applaudiert, ein großer Teil der Einwohner schloss sich der Kundgebung an. Viele Themaraner trugen Aufkleber, auf denen stand: »Wir sind alle Antifa.«