03.08.2017
Eine Studie über geschlechtergerechte Sprache ergibt interessante Befunde

Lücke oder Sternchen

Eine Umfrage zeigt, wie viele Deutsche schon einmal »StudentInnen« statt Studenten geschrieben haben, und dass es Gendergap und Gender­sternchen hierzulande schwer haben.

Seit mehreren Jahrzehnten fordern Feministinnen gendergerechte Sprache. Mittlerweile verwenden viele Behörden und Verbände eine sogenannte geschlechtergerechte Sprache, an vielen deutschen Universitäten gibt es Gender-Studies-Lehrstühle. Doch die haben in den vergangenen Jahren viele Ratgeber und theoretische Texte, aber nur sehr vereinzelt empirische Forschungsarbeiten zum Thema gendergerechte Sprache produziert. Davon gebe es wenig, sagt Elisabeth Kuhn. Die Sprachforscherin promoviert an der University of Science and Technology in Trondheim. Es gebe vor allem Studien zu Einzelaspekten, aber keine Übersichts­studie, so Kuhn. Sie forscht zur tatsächlichen Verwendung geschlechtergerechter Sprache und ihrem Potential.

Neue Daten des Meinungsforschungsinstituts Yougov, die der Jungle World vorliegen, geben nun Antworten darauf, wie verbreitet das Gendern in Deutschland allgemein ist und was die Menschen zu einer zentralen sprachpolitischen Forderung des Gender-Mainstreamings, also der praktischen Gleichstellung der Geschlechter im Alltag, denken. Immerhin 37 Prozent der ­Befragten haben schon einmal bewusst »StudentInnen« statt Studenten geschrieben. Doch 52 Prozent haben der Umfrage zufolge noch nie geschlechtergerechte Sprache verwendet.

Einer Umfrage zufolge haben 52 Prozent der Befragten noch nie geschlechtergerechte Sprache verwendet.

Trotzdem sei dies eine »eher hohe« Zahl, weil gendergerechte Sprache bislang »vor allem im beruflichen und ­öffentlichen Umfeld eingefordert« werde, sagt Daniel Elmiger. Er arbeitet am Institut für Deutsche Sprache und ­Literatur der Universität Genf im Forschungsprojekt »Sprachpolitik und Sprachgebrauch« und hat die Verwendung von geschlechtergerechter Sprache in Behördentexten erforscht. Anders als bei Ämtern und Verbänden gebe es aber im privaten Sprachgebrauch meistens »keine explizite Erwartung an besonders sorgfältige Sprachverwendung«, so Elmiger.

Die Umfrage zeigt auch einen Generationenunterschied beim Gendern: Bei den älteren Deutschen über 60 Jahren haben hat nur ein Drittel (33 Prozent) schon einmal »Studenten und Studentinnen« geschrieben. Auch in den ­etwas jüngeren Altersgruppen hat eine Mehrheit beim Verfassen von Texten noch nie gendergerechte Sprache verwendet. Anders sieht es hingegen in der Generation der 18 bis 29jährigen aus. Hier hat eine knappe relative Mehrheit von 45 Prozent schon einmal ­bewusst geschlechtergerechte Sprache benutzt, 43 Prozent haben dies noch nicht getan. Doch nur wenige gendern immer. In der Gruppe derer, die geschlechtergerechte Sprache verwenden, tun das jeweils etwa ein Drittel in allen selbst verfassten Texten (36 Prozent), in »etwa der Hälfte der Texte« (27 Prozent) oder nur in wenigen Fällen (32 Prozent). Mit 47 Prozent kombinieren mit Abstand die meisten der Befragten, die gelegentlich oder immer gendern, die weibliche und männliche Form (»Studenten und Studentinnen«). Nur vier beziehungsweise fünf Prozent nutzen zumeist die per Unterstrich angezeigte Lücke, den sogenannten Gendergap (»Student_innen«), das Gendersternchen (»Student*innen«) oder bewusst die weibliche Form ­(»Studentinnen« für Studenten und Studentinnen).

In der Frage nach möglichen Formen des Genderns zeigen sich diejenigen, die noch nie gegendert haben, offen. Nur 26 Prozent in dieser Gruppe wollen bei der rein männlichen Form bleiben. Vier von zehn, die noch nie gegendert haben (39 Prozent), können sich vorstellen, männliche und weibliche Form zu verwenden. Ein Unterschied: Besonders das substantivierte Adjektiv würden in dieser Gruppe relativ viele der Befragten, nämlich 30 Prozent, verwenden, nur zehn Prozent würde bewusst die weibliche Form wählen. Gendergap und -sternchen haben es auch in dieser Gruppe schwer. Nur drei Prozent be­ziehungsweise vier Prozent könnten sich vorstellen, künftig »Student_innen« oder »Student*innen« zu schreiben.
Nur »sehr engagierte« Gruppen wie LBGT-Aktivisten verwendeten den Unterstrich, weil sich nur wenige »explizit positionieren« wollten, vermutet Sprachforscher Elmiger. Es gebe in Deutschland ein »bestimmtes Verständnis für das Thema und eine große Varianz« – zwischen denen, die im ­Alltag gendern, und denen, die es für eine »Ausgeburt einer feministischen Verschwörung« halten.

Die Umfrage zeigt diese Varianz, vor allem aber viel Unwissen. Bei den ­Befragten, die noch keine geschlechtergerechte Sprache verwendet haben, ­geben mit 27 Prozent die meisten an, bisher noch nichts von den Möglichkeiten geschlechtergerechter Sprache gewusst zu haben. 17 Prozent nutzen geschlechtergerechte Sprache aus Bequemlichkeit nicht. Nur 15 Prozent ­derer, die nicht gendern, tun das aus »politischen Gründen« nicht.

Dass die meisten der Befragten geschlechtergerechte Sprache nicht aus grundsätzlicher Ablehnung, sondern aus Unwissen nicht benutzen, zeige, dass es ein »großes Potential« gebe, um mit Aufklärung und Sensibilierung den Sprachgebrauch in Deutschland zu ändern, sagt Kuhn. Sie weist darauf hin, dass der Umfrage zufolge besonders viele junge Deutsche Informations­bedarf hätten. Elmiger glaubt, dass sich in Zukunft vor allem die Varianten gendergerechter Sprache durchsetzen werden, die »nicht auf den ersten Blick als ›speziell‹ oder gegendert wahrgenommen werden«. Viele Varianten des substantivierten Adjektivs etwa seien etabliert (»Reisende«, »Angestellte«), besonders abgelehnt werden dem Sprachwissenschaftler zufolge vor allem ­Formen, die als gekünstelt wahrgenommen werden.

Hinweise in diese Richtung geben die Einstellungen der Befragten zum Gendern. 44 Prozent sagen, Gendern »nervt mich«, 41 Prozent denken nicht so. Vor allem für einige Männer ist geschlechtergerechte Sprache offenbar eine Zumutung: Männer stimmen der Aussage öfter als Frauen voll und ganz zu (29 zu 17 Prozent). Gleichzeitig lehnen sie doppelt so viele Frauen vollständig ab ­­(22 zu elf Prozent). 39 Prozent der Befragten sagen, geschlechtergerechte Sprache sei »zu kompliziert«, eine knappe Mehrheit von 43 Prozent stimmt der Aussage nicht zu. Auch hier zeigen sich Geschlechterunterschiede, wenn auch weniger stark.

Kuhn verweist allerdings auf andere Untersuchungen, die keinen Geschlechterunterschied bei Vorbehalten gegen das Gendern festgestellt haben. Selbst die Daten von Yougov zeigten, das auch Frauen Vorbehalte gegen geschlechtergerechte Sprache hätten.

Eine Mehrheit von 52 Prozent ist aber überzeugt, dass sich geschlechter­gerechte Sprache in Deutschland »langsam durchsetzt«. 27 Prozent sehen dies nicht so. Vor allem junge Menschen ­zwischen 18 und 29 Jahren glauben an die Durchsetzung: 60 Prozent von ihnen denken so. Ein möglicher Grund könnte sein, dass sie mit gendergerechter Sprache aufgewachsen sind. Nicht nur Sensibilisierung sorge für eine weitere Verbreitung von geschlechtergerechter Sprache, sondern auch etwa das Lesen von geschlechtergerechten Behördentexten oder Sachbuchtexten. Studien zeigen, dass die Leserinnen und Leser von gegenderten Texten die Praxis zumindest teilweise übernehmen, so Kuhn. Deswegen könne etwa die kon­sequente Verwendung des Gendergap durchaus zu einer Etablierung der Form führen. Geschlechtergerechte Sprache werde sich auch deshalb immer stärker durchsetzen.

Elmiger hält dagegen: Ein Großteil der Bevölkerung fände das Thema zwar »nicht unwichtig«, aber eben »nicht bedeutend« genug; auch werde es in Schule und Öffentlichkeit wenig thematisiert. Deswegen würden Gendergap und -sternchen wohl ein »Nischenphänomen« bleiben.