Mord nach Drehbuch
Wenn man über Nazis und andere Rechtsextreme schreibt, erwarten die Leserinnen und Leser, dass man deren zukünftigen Handlungen voraussagt. Angesichts der früheren Taten Rechtsextremer fällt eine solche Vorhersage meist recht düster aus. Recht zu haben, bedeutet, dass Menschen sterben werden. Unglücklicherweise haben die Ereignisse in Charlottesville, Virginia, meine Warnungen bestätigt. Ich habe diese Ereignisse selbst beobachtet. Ich nahm an der Demonstration teil, als ein Auto, mutmaßlich gesteuert von einem Neonazi, in die Menge fuhr. Heather Heyer wurde getötet und mindestens 19 Menschen wurden verletzt. Ich stand auf dem Bürgersteig, nicht auf der Straße, und blieb unverletzt.
Die Demonstration »Unite the Right« am Samstag in Charlottesville war der größte Aufmarsch weißer Nationalisten in den USA seit mehr als einem Jahrzehnt. Und nicht nur das: Sie war ein Angebot an den offen faschistischen Flügel der Alt-Right, die Muskeln spielen zu lassen. Es war die dritte Demonstration dieser Art in der kleinen Stadt in diesem Jahr. Die lokalen Medien berichteten intensiv, doch die nationalen Medien hatten die Ereignisse bis zum Wochenende ignoriert.
Vier Tage vor der Demonstration warnte ich in einem Artikel, dass Tausende Teilnehmer erwartet würden, darunter auch Mitglieder von Vanguard America. Der Fahrer des Autos, James Alex Fields Jr., marschierte mit dieser Gruppe in der Demonstration; er trug ein Hemd und ein Schild mit ihrem Symbol.
Nicht alle Leserinnen und Leser glaubten mir. In einem Kommentar zu meinem Artikel hieß es: »Ein Protestmarsch des Ku-Klux-Klans am 8. Juli war ein Reinfall, da die 50 Mitglieder und Unterstützer des Klans auf mehr als 1 000 Gegendemonstranten trafen. Ich wette, dass es in diesem Fall genauso sein wird.« Eine Gegenwette hätte ich gewonnen, es kamen 1 000, nicht 50 weiße Nationalisten. Sie trafen nicht auf eine viel größere Zahl von Gegnern. Die antirassistischen Organisatoren hatten nicht rechtzeitig auf nationaler Ebene um Unterstützung geworben, weswegen die Zahl der Gegendemonstranten etwa genau so groß war – und dies nur, nachdem die diversen Gruppen, die sich an verschiedenen Orten zusammengefunden hatten, sich schließlich zu einer Demonstration vereint hatten. Nur etwa 200 Menschen standen zunächst der Versammlung weißer Nationalisten im Lee Park gegenüber (die geplante Entfernung eines Denkmals des Südstaatengenerals Robert E. Lee war Anlass der Demonstration der extremen Rechten, Anm. d. Red.) – eine seltsame Mischung aus Geistlichen und militanten Antifaschisten. Kurz nachdem zwei getrennte antirassistische Märsche ihr spontanes Zusammenkommen freudig gefeiert hatten, fuhr das Auto in die Menge.
Ich habe davor gewarnt, darauf zu zählen, dass die Polizei Anhänger der extremen Rechten festnimmt. Als die Faschisten beispielsweise am Freitag vergangener Woche mit Fackeln auf dem Campus der University of Virginia marschierten, hatte ihnen die Polizei dies offenbar gestattet. Im Juni, nach dem Doppelmord in Portland, Oregon, bei dem zwei Männer getötet worden waren, die einen rassistischen und muslimfeindlichen Angriff hatten verhindern wollen, warnte ich, von der extremen Rechten seien mehr Morde zu erwarten. Diese Gewalttaten werden verursacht von dämonisierenden Erzählungen, die Rechtsextreme gegen Gruppen benutzen, in denen sie eine Bedrohung sehen – ob ausländische Feinde, historisch unterdrückte Gruppen oder einheimische politische Feinde.
Ich schrieb: »Diese Morde sind das Resultat einer politischen Kultur der Gewalt, die die extreme Rechte pflegt. Sie beinhaltet nicht allein das ›Drehbuch der Gewalt‹, das historisch unterdrückte Gruppen dämonisiert, sondern auch die Bildung paramilitärischer Einheiten, die offene Rechtfertigung und das Lob politischer Gewalt.« Weiter schrieb ich: »Da Trump und die von ihm Ernannten dämonisierende Erzählungen offen zirkulieren lassen, ist der Geist aus der Flasche. US-Präsidenten haben nur begrenzte politische Macht, aber sie haben eine unfassbare Möglichkeit, die Stimmung im Land zu beeinflussen. Und die Stimmung ist hässlich. Wir können mehr Morde von hasserfüllten Männern wie Jeremy Christian (dem Mörder von Portland, Anm. d. Red.) erwarten.«
Da es seit Juni keine rechtsextrem motivierten Morde mehr gab, fragte ich mich, ob ich falsch lag. Bis ich am Samstag um die Ecke auf die 4th Street in Charlottesville kam und drei Autos sah, die durch die Menge fuhren, zu der auch ich gehörte. Danach wusste ich, dass ich recht hatte. Ich wünschte, es wäre nicht so.