Mount Kimbies neues Album »Love What Survives«

Melancholisch, aber nicht pessimistisch

Das britische Post-Dubstep-Duo Mount Kimbie bewahrt auf seinem Album »Love What Survives« sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft der Popkultur des Landes.

Etwas überlebt immer. Das gilt für Musikgenres, die langsam dahinsiechen, ebenso wie für gesellschaftliche Errungenschaften, die von anscheinend rückwärtsgewandten Entwicklungen kassiert werden. Es gibt immer Fragmente, die bleiben und sich schließlich wieder zu etwas Neuem verdichten. So etwas schwebt wohl auch Kai Campos und Dominic Maker vom britischen Post-Dubstep-Duo Mount Kimbie vor: Sie haben auf ihrem dritten Album »Love What Survives« Bruchstücke britischer Musikkultur zusammengetragen und aus ihnen ein Hybrid erzeugt. Entstanden ist ein im wörtlichen Sinn retrofuturistisches Werk, in dem verlorene Fetzen und musikalische Erinnerungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte britischer Popkultur fast schon geisterhaft anklingen, in den fragilen Soundcollagen aber auch eine vielleicht mögliche Zukunft erahnen lassen. Über die lässt sich in Großbritannien momentan nicht viel Sicheres sagen, keiner weiß so richtig, wie es weitergeht: Mount Kimbies Album fängt diese Zwischenzeit ein, in der die britische Gesellschaft steckt.

Campos und Maker wissen offenbar, wie es zumindest weitergehen sollte, und sie besitzen den Wagemut, sich ein bestehendes Genre zu schnappen und es umzukrempeln. Als im Jahr 2009 Dubstep – jenes britische Musikgenre mit den tieffrequenten, oft spektakulär klangveränderten Basslines – seinen Höhepunkt erlebte, beruhigte ihre EP »Maybe« die hochschlagenden Wogen. Während sich in den folgenden Jahren Dubstep mit dem Produzenten Skrillex an der Spitze zur kommerziell erfolgreichen Beschallung für Großraumdiskos entwickelte, die als Stil mittlerweile längst zugrunde gegangen ist, kümmerten sich Mount Kimbie um den Nachlass. Auf ihren Veröffentlichungen behielten sie kurze, abgehackte Klänge bei, vermengten sie mit geisterhaften Pads, wie es auch schon Burial zu dieser Zeit tat, brachten aber auch Gitarrenelemente aus Indie-Rock, Britpop und Punk in ihre Musik ein. Mount Kimbie wandelten auf avantgardistischen Pfaden, öffneten sich aber dennoch für ein Dancefloor-Publikum, das nicht den billigen Thrill sucht – Post-Dubstep eben.

Kai Campos (links) und Dominic Maker

Zwei mit einer sehr britischen Vorliebe fürs Fragmentarische, Kristalline und fast Vergessene: Kai Campos (links) und Dominic Maker von Mount Kimbie

Bild:
Frank Lebon

Doch was hat davon nun, 2017, überlebt? Mount Kimbie wollten sich auf jeden Fall von ihrem angestammten Sound lösen. Maker zog es deswegen an die Westküste der USA, Campos hingegen blieb in London. Beide pendelten hin und her, um das Album entstehen zu lassen. »Love What Survives« skizziert auf mehreren Ebenen Überlebendes und Verstoßenes. Der musikalische Rahmen hat sich nicht grundsätzlich verändert: Vertrackte Soundscapes sind nach wie vor das Markenzeichen des Duos. Auf »Love What Survives« ist das Flirren von analogen Korg-Synthesizern zu hören, Stimmen wispern im Hintergrund, die Drums klackern offensiv. Breakbeat trifft so auf Grooves, die auch einer Indie-Band gut anstehen würden. Das stimuliert Tanzimpulse, bis plötzliche, verzerrte Gitarrenklänge, die an die Hochphase des Punk erinnern, in den Vordergrund treten. Basslines spielen dennoch weiterhin eine große Rolle in Mount Kimbies Musik.

Der Eröffnungstrack des neuen Albums liefert erst einmal eine Art Entkrampfungsübung: »Four Years and One Day« baut sich langsam auf, schließlich kippen die zunächst wohlklingenden Pads in einen Noise-Ausbruch. Der bereinigt gleichsam die Bühne, auf der sich im Folgenden etwas eigenartig Neues aus doch bereits Bekanntem zu entwickeln beginnt. Mount Kimbie setzt dabei auf die Hilfe zweier britischer Musikhelden. Nein, nicht auf die der Gallagher-Brüder, sondern die von King Krule und James Blake: Das grollende, tiefe Timbre des einen kontrastiert mit dem Falsettsäuseln des anderen. In gewisser Weise ist jeder auf seine Art ein Protagonist eines melancholischen, von elektronischen Versatzstücken geprägten, von Weltschmerz getriebenen und darin sehr britischen Pop. Beide Sänger begannen als bedroom producers sehr jung ihre Karrieren. Große Studios brauchte es nicht, sie sangen lieber in billige Mikrophone, die in ihren Kinderzimmern aufgebaut waren. Mittlerweile sind sie weltweit gefeierte Musiker, jedoch alles andere als Celebrities.

Man kann die Fragilität des Albums als musikalischen Kommentar zur Zerrissenheit der britischen Gesellschaft während des EU-Referendums und nach dem Votum für den Austritt lesen.

Ihre Präsenz auf dem Album von Mount Kimbie steht exemplarisch dafür, dass hier alles Überlebensfähige der zeitgenössischen britischen Popmusik zusammengetragen wurde: Bassmusik, Lo-Fi-Gefrickel und Bed­room-Indie. Nur auf Grime wurde verzichtet. »Love What Survives« wirkt also erst einmal wie das Projekt zweier Sound-Kuratoren, deren Schützlinge im Hintergrund verhalten und doch hochemotional über Einsamkeit (King Krule auf »Blue Train Lines«) und die Sehnsucht nach Zweisamkeit (James Blake auf »We Go Home Together«) singen.

Dieser brüchige Sound, der das Album durchzieht, steht nicht nur für die Unberechenbarkeit zwischenmenschlicher Beziehungen und die Kurzlebigkeit von Musikstilen. Man kann die Fragilität des Albums auch als musikalischen Kommentar zur Zerrissenheit der britischen Gesellschaft während des EU-Referendums und nach dem Votum für den Austritt verstehen. Mit Kontinentaleuropa fühlen sich viele nicht mehr verbunden, sie wollen sich auf ein losgelöstes Großbritannien konzentrieren. Dort vermodern die ehemaligen Industriezentren immer weiter und selbst London muss um seinen Status als globale Finanzmetropole kämpfen. Die Verhandlungen um die Modalitäten des EU-Ausstiegs laufen schleppend, wenig dringt nach außen. Was vom Ausbruchswunsch der EU-Gegner bleibt, wird erst in einigen Tagen in Positionspapieren zu lesen sein. Es ist, als wären die Konturen der Realität nur durch einen Schleier zu sehen.

Nicht zuletzt könnte durch die Abtrennung Großbritanniens vom europäischen Binnenmarkt auch die Musikindustrie leiden. Vor allem kleinen Bands würde das schaden. All das sind Themen, die auch Mount Kimbie betreffen. Veränderungen, die sie selbstverständlich nicht verhindern konnten und zu denen sie mit ihrem Album kein direktes Statement abgeben wollen, denn darum geht es auch gar nicht. Pop mit Lösungsansatz hat noch nie funktioniert. Viel wichtiger ist der Albumtitel, der programmatisch für eine Haltung steht, die in solchen Momenten des gesellschaftlichen Umbruchs nach einer langen Niedergangsphase neben Aufbegehren wichtig ist: »Love What Survives«. Die aufeinandergestapelten Pads, die vielen kleinen Versatzstücke von Songs oder ein plötzlich dazwischengeschobenes, fröhliches Stückchen wie »SP12 Beat« vertonen das Überleben. Ein »Brexit« richtet nicht sofort alles zugrunde: weder die Wirkkraft britischer Popkultur noch die Offenheit eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung. Die kleinteiligen Tracks von Mount Kimbie, die letztlich als Ganzes harmonieren, fangen genau das ein.

Entstanden ist also ein Album, das wie ein Soundtrack zu den realen politischen Wandlungen in Großbritannien funktioniert. Es wartet mit emotionalen Höhen und Tiefen und vor allem viel Verwirrung auf. Im Subtext schließlich schwingt die Botschaft mit, dass längst nicht alles verloren ist. Mount Kimbie jedenfalls schöpfen Kraft aus ihrer eigenen Musik und touren erst einmal durch ganz Europa. Noch geht das auch mit britischem Pass ganz entspannt.

Mount Kimbie: »Love What Survives«. (Warp/Rough Trade).
Das Album erscheint am 8. September.