Eine brutale Vergewaltigung sorgt in Leipzig für eine krude Diskussion

Kein Fall für das Aushilfspersonal

Die Vergewaltigung einer Joggerin in Leipzig erregte bundesweit Aufmerksamkeit. Die Diskussion über den Fall orientiert sich jedoch nicht an der Sachlage und den Bedürfnissen der Betroffenen.

»Vergewaltigung in Leipzig: Frauen sollen nicht alleine joggen« – bundesweit sorgte ein brutaler Überfall auf eine Joggerin in Leipzig für solche und ähnliche Schlagzeilen. Die Presse berichtete mal von einem Polizeinotstand, mal von No-Go-Areas. Der Opferschutz und Informationen über das tatsächliche Ausmaß der Gefahren sowie Schritte zu deren Verringerung spielten eine untergeordnete Rolle. Hingegen ließ sich am Leipziger Beispiel eine typische Debatteninszenierung in Politik und Medien beobachten.

Einer Polizeimitteilung zufolge war eine Joggerin Anfang September in ­einem städtischen Park zum »Opfer eines Sexualdelikts« geworden. Ein Mann hatte sie unvermittelt zu Boden gerissen. Dann, so die Angaben der Polizei, »schlug und trat« der Angreifer »ihr mehrfach heftig ins Gesicht, zerrte sie vom Weg auf eine Wiese und verging sich dort an ihr«. Die Frau musste wegen schwerer Gesichtsverletzungen notoperiert werden. Die Polizei ging an die Öffentlichkeit, um Zeugen zu finden. Den Täter beschrieb sie als Mann von »südländischem Typ«, was zu ersten Hinweisen, aber auch den üblichen rechtsextremen Reaktionen führte. Auf Social-Media-Plattformen fanden sich die bekannten gegen Flüchtlinge und Ausländer gerichteten Lynchphantasien. In einem Leipziger Park tauchten Stencilsprühereien mit dem Slogan »Rapefugees welcome – danke, Jung und Merkel« auf.

Größere Polizeipräsenz gefordert

Der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nahm den Vergewaltigungsfall zum Anlass, um Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu ermahnen: »Ich rede und diskutiere, habe Herrn Ulbig eingeladen, damit er sich ein Bild machen kann. Es passiert aber fast nichts. Wir haben in Leipzig 585 000 Einwohner, 100 000 mehr als vor zehn Jahren, dafür rund 250 Polizisten weniger als damals.« Ob sich mit einer größeren Polizeipräsenz Vergewaltigungen verhindern lassen, ist zwar ungewiss. Doch das Sicherheitsgefühl der Bürger rechtfertigt offenbar solche Forderungen.

Die Stadt soll die Tätigkeit des Ordnungsamts um polizeiliche Befugnisse erweitern. Knöllchen­schreiber sollen nach dem Willen der CDU potentielle Vergewaltiger
in Schach halten.

Die CDU-geführte Landesregierung hat tatsächlich über Jahre hinweg Personal bei der Polizei abgebaut. Das hält die Leipziger CDU jedoch nicht davon ab, angesichts des Überfalls im Park ebenfalls eine personelle Aufstockung zu verlangen. Sie hat allerdings eigene Ideen: Die Stadt soll den Tätigkeitsbereich der Ordnungsamtsmitarbeiter um polizeiliche Befugnisse erweitern und ihnen eine Ausstattung mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Hunden ­genehmigen. Knöllchenschreiber sollen also nach dem Willen der örtlichen CDU im Vorbeigehen betrunkene Pöbler und potentielle Vergewaltiger in Schach halten. Praktisch: So würde man sich auch teure Polizisten sparen. Verwunderlich sind solche kontraproduktiven Anregungen nicht: Vor zehn Jahren stellte die CDU in Leipzig ALG-II-Empfänger als Sicherheitspersonal in den Straßenbahnen ab. Damals argumentierte die Partei ebenfalls mit dem Sicherheitsgefühl, das Risiko für das nicht ausgebildete Aushilfspersonal war den Politikern gleichgültig. Die Polizei hingegen rät Bürgern generell davon ab, sich mit Pfefferspray einzudecken, da für Ungeübte die Selbstverletzungsgefahr zu hoch sei.

Die Lokalpresse inszenierte nach der Vergewaltigung im Park zudem einen Skandal, weil die Polizei Frauen geraten hatte, nicht mehr allein zu joggen. Der Oberbürgermeister nahm die Steilvorlage auf und las der Behörde die Leviten: »Die Antwort des Staates auf diese unfassbare Tat und vorangegangene Übergriffe muss sein: mehr Polizisten auf den Straßen und in den Parks, wie ich es seit Jahren fordere.«

Selbstverständlich ist es Aufgabe der Polizei, die Sicherheit der Bürger im öffentlichen Raum zu gewährleisten – was die Leipziger Polizei auch nicht bestreitet. »Wie haben noch nie Empfehlungen ausgesprochen, Örtlichkeiten im Sinne einer No-Go-Area zu meiden«, sagt Polizeisprecher Andreas Loepki auf Anfrage der Jungle World, »sondern maximal – und meist auf journalistische Nachfrage – gefahrenabwehrende Hinweise erteilt, damit Bürgerinnen und Bürger nicht selbst Opfer einer Straftat werden«. Seit dem Überfall hat die Leipziger Polizei ihre Präsenz in den Grünanlagen verstärkt. Sie geht Hinweisen nach, denen zufolge in der Vergangenheit an derselben Stelle bereits sexuelle Angriffe versucht worden seien.

Schaukämpfe auf dem Rücken der Opfer

Angesichts der Leipziger Kriminalstatistik drängt sich der Eindruck auf, dass anlässlich des brutalen Überfalls einmal mehr Schaukämpfe auf dem Rücken der Opfer ausgetragen werden. Der von der Polizei kürzlich genannte Anstieg der Zahl der Vergewaltigungen von 2015 auf 2016 um 70 Prozent klingt dramatisch. Doch auch wenn jeder Fall einer zu viel ist: Im Stadtgebiet registrierte die Polizei 29 Vergewaltigungen im Jahr 2016, im Jahr zuvor 17. Mehr Informationen könne er nicht geben, sagt Pressesprecher Loepki, weder zum Geschlecht von Betroffenen und mutmaßlichen Tätern noch zu den jeweiligen Tatsituationen – ob anonymer Überfall im Park oder Tat im ­Familien- oder Bekanntenbereich. Loepki ist ohnehin skeptisch, ob das wenige Informationsmaterial aus einem geographisch äußerst begrenzten Gebiet belastbare Erkenntnisse für die Polizeiarbeit erbringen kann: »Insgesamt glaube ich, dass dieses Themenfeld hinsichtlich des zu betrachtenden Raumes und statistischer Auswertbarkeit größer gefasst werden muss, als es das Zuständigkeitsgebiet der Polizeidirektion Leipzig erlaubt.«

Zudem hat die Polizei in der Stadt ganz andere Probleme: Im Stadtteil Connewitz prangt seit langer Zeit der Schriftzug »No Cops – No Nazis – Antifa-Area« an einer Wand. Seit kurzem liefern sich städtische Reinigungstrupps und Sprayer ein Katz-und-Maus-Spiel im Entfernen und Anbringen der Worte »No Cops«, eine Polizeistreife wacht mittlerweile jede Nacht vor der Mauer, was für öffentlichen Spott gesorgt hat. Dieser war am Sonntag Anlass für einen Tweet aus dem Polizeipräsidium: »Wenn es dort keinen Polizeirassismus mehr gibt, können wir uns auch um andere Sachen kümmern.« Mit dem Begriff »Polizeirassismus« war keinesfalls der Rassismus unter den Beamten gemeint, sondern die vermeintliche Diskriminierung von Polizisten durch die ­Parole »No Cops«.+