Augen schließen und Tee trinken
Im Marbacher Weg in Marburg steht, umgeben von prächtigen Bäumen, ein altes Fachwerkhaus, wie man es vielerorts in Hessen findet. Mit maximal 40 Stundenkilometern tuckern die Autos an diesem idyllischen Häuschen vorbei, dem die herbstgoldenen Farben gut stehen. Alle zwei Monate veranstaltet der Verein Orientbrücke dort den »Tee in der Moschee«, einen Tag der offenen Tür. Das Fachwerkhaus beherbergt eine Moschee, ohne Kuppel und ohne Minarett, und die Orientbrücke ist ihr Trägerverein.
Beim »Tee in der Moschee« geht es um »freundschaftliches und unbeschwertes gegenseitiges Kennenlernen«, heißt es auf der Website des Vereins. Im Jahr 2011 feierte die Omar Ibn-Al-Khattab-Moschee ihr 25jähriges Bestehen. Dabei sagte der Vorsitzende der eng mit der Orientbrücke verbundenen Islamischen Gemeinde Marburg, Bilal El-Zayat, man lebe »in Zeiten, wo das Image der Muslime richtig schlimm ist«. Der »Tee in der Moschee« solle deutlich machen: »Wir sind ganz normale Leute, wir haben die gleichen Sorgen, die andere Menschen in Marburg oder in Deutschland auch haben.« Der damalige Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD) lobte die Gemeinde, weil sie »Offenheit und Transparenz« praktiziere.
Muslime aus über 40 Nationen kommen zum Beten in die Moschee. El-Zayat ist »ein wenig stolz auf unsere Marburger Moschee«, weil man den kleinsten gemeinsamen Nenner suche und Platz sowohl für Sunniten als auch für Schiiten biete. Stolz ist der Verein Orientbrücke seiner Website zufolge auch darauf, »sehr engagiert in der Dialogarbeit« zu sein, etwa mit der Jüdischen Gemeinde Marburg. Als diese ihre neue Tora feierlich vollendete, nahm El-Zayat an der Zeremonie teil und führte gemeinsam mit dem aus Israel angereisten Sofer, dem Toraschreiber, den Stift. Der freundlich auftretende El-Zayat, leitender Oberarzt für Orthopädie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, hat gute Kontakte zur Stadtpolitik. Diese unterstützte auch das große und zentral gelegene Moscheebauprojekt der Islamischen Gemeinde Marburg. Bald ist die neue Moschee »Bei St. Jost« fertig, auch sie trägt weder Kuppel noch Minarett. Hessische Landespolitiker loben die »gute Integrationsarbeit der Gemeinde«.
Im November 2016 feierte die Gemeinde »60 Jahre Muslime in Marburg und 30 Jahre Moschee« in den Räumen der Universität Marburg. Als Redner war Sheikh Taha Amer vorgesehen, der Mitglied im Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) ist. Der hessische Verfassungsschutz rechnet den RIGD der Muslimbruderschaft zu. Nach Protesten teilten die Islamische Gemeinde und die Stadt Marburg mit, Amer habe seinen Auftritt abgesagt. Eine Begründung wurde nicht genannt. Auf der Feier trat SPD-Oberbürgermeister Thomas Spies mit einem Grußwort auf. Er bezeichnete die Islamische Gemeinde als eine Bereicherung für Marburg und beklagte, dass »in einigen Medien ein paar ›olle Kamellen‹ aufgewärmt« würden, womit er auf die Berichterstattung über Taha Amer anspielte: »In dieser Stadt werden Menschen nicht an Spekulationen, Verdächtigungen und Verschwörungstheorien gemessen, sondern an ihren Worten und an ihren Taten! Wer Marburg kennt und die Islamische Gemeinde, der kann die Spekulationen von Medien nicht nachvollziehen.«
Die Stadt steht zu ihrer Islamischen Gemeinde. Dabei gibt es in der angeblichen Vorzeigegemeinde viele Hinweise auf einen starken Einfluss der Muslimbruderschaft. Bei dieser handelt es sich um eine sunnitisch-islamistische Organisation, deren erklärtes Ziel die Errichtung eines weltweiten Gottesstaates ist. Sie kombiniert eine extrem konservative islamische Politik mit einer Strategie der demokratischen Anpassung. Als heterogenes Netzwerk ist sie heutzutage die weltweit größte islamistische Organisation. Sie verfolgt eine langfristige, generationenübergreifende Strategie der friedlichen Ausdehnung ihres Einflusses bis hin zur demokratischen Übernahme der Macht. Dort, wo ihr oder aus ihr hervorgegangenen Organisationen die Machtübernahme gelungen ist – im Sudan, in Gaza und Ägypten – hat sie schnell Veränderungen durchgesetzt, die die Rechtsprechung auf die Grundlage der Sharia stellen sollen.
Der Verfassungsschutz benennt Marburg als eines von sieben bundesweiten Zentren der »Islamischen Gemeinschaft in Deutschland« (IGD), die als wichtigste Organisation der Muslimbruderschaft in Deutschland gilt. Das vorrangige Ziel der Muslimbrüder in westlichen Demokratien ist es, die dort lebenden Muslime ideologisch zu beeinflussen und für sich zu gewinnen. Im 2014 veröffentlichten Bericht des Verfassungsschutzes wurde der Verein Orientbrücke explizit als Zweigstelle der Organisation benannt. Diese Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sind Oberbürgermeister Spies bekannt. In einem Facebook-Kommentar unter dem Beitrag einer kritischen Bloggerin, die ebenfalls der SPD angehört, tut er sie jedoch als »Vermutungen« ab und rückt sie in die Nähe von Verschwörungstheorien: »Im Unterschied zu allen, die hier meinen, Bürger meiner Stadt verdächtigen zu müssen, kenne ich die Beteiligten seit vielen Jahren. Also kommen Sie her, reden Sie mit den Leuten, und dann können Sie sich ein Urteil bilden. Jedenfalls machen wir das in Marburg so.«
El-Zayat leitete von 2003 bis 2005 die »Muslimische Jugend in Deutschland« (MJD), die formal unabhängige Jugendorganisation der IGD. Der Vorsitzende der IGD war von 2002 bis 2010 auch ein Marburger: Ibrahim El-Zayat, der Bruder von Bilal El-Zayat. Derzeit ist Ibrahim El-Zayat als Generalbevollmächtigter der »Europäischen Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft« Verwalter von etwa 300 Moscheen der islamistischen Organisation Millî Görüş, die ideologisch der Muslimbruderschaft nahesteht. Im Jahr 2011 reiste Bilal El-Zayat gemeinsam mit Khaled Hanafy, dem Vorsitzenden des RIGD, der diese auf seiner Facebook-Seite dokumentierte, zu Yusuf al-Qaradawi, einem der weltweit einflussreichsten Islamisten. Dieser leitet seit 2001 die »Union of God«, einen Dachverband von über 50 Organisationen zur Finanzierung der Hamas, des palästinensischen Ablegers der Muslimbruderschaft. Als ihm 2004 angetragen wurde, Führer der Muslimbruderschaft zu werden, zog Qaradawi seine Funktion bei der »Union of God« vor. Dass Bilal El-Zayat bei ihm eine Audienz erhielt, deutet auf eine wichtige Rolle in der islamistischen Bewegung hin. Auf einem Foto aus dem Jahr 2013 formt El-Zayat seine Hand zur »R4bia«, dem internationalen Erkennungszeichen der Muslimbruderschaft. Trotzdem will Spies keine Muslimbrüder unter den »Bürgern seiner Stadt« erkennen.
Bilal El-Zayat, der die liberale Fassade aufrecht erhalten will, hält sich mit offen islamistischen Äußerungen zurück. Nicht so seine rechte Hand, Hamdi Elfarra, der bei der Islamischen Gemeinde Marburg als Projektkoordinator wirkt. Zwar ist auch Elfarra gut in der Stadtpolitik vernetzt; so unterstützte er Spies im Wahlkampf und trat bei Kundgebungen gegen Pegida auf. Doch auf Facebook zeigt er sein wahres Gesicht. In einem mittlerweile gelöschten Beitrag heißt es auf Arabisch: »Allah, verbrenne die Juden, ihr Geld und ihren Gott!« In mehreren Beiträgen glorifiziert er die Hamas, so teilt er etwa Videos von Militärparaden und Fotos von betenden Jihadisten der Organisation. Auch Zakarya Ali, der wie El-Zayat und Elfarra am Universitätsklinikum Gießen und Marburg arbeitet und auf vielen privaten Fotos mit beiden zu sehen ist, wird auf Facebook explizit. Eine seiner öffentlichen Nachrichten lautet: »Adolf Hitler hat in seinem Buch ›Mein Kampf‹ gesagt: Ich könnte die ganzen Juden vernichten, aber ich lasse einige von ihnen, um zu wissen, warum ich sie vernichten wollte.« Auch dieser Beitrag wurde gelöscht.
Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Auch bei vielen weiteren Personen aus dem Umfeld der Orientbrücke und der Islamischen Gemeinde Marburg lässt sich eine ideologische Nähe zur Muslimbruderschaft feststellen. Auf öffentlichen Facebook-Profilen lässt sich auch die islamistische Indoktrination von Kindern nachvollziehen, die mit »R4bia« posieren oder die Hamas glorifizieren – was von ihren Eltern mit einem »Gefällt mir« honoriert wird. Mit etwa 100 Mitgliedern ist die Islamische Gemeinde nicht repräsentativ für die ungefähr 5 000 Muslime in Marburg, doch durch die Infrastruktur der neuen Moschee wird sie ihren Einfluss weiter ausbauen können. So werden Muslime an den orthodoxen, konservativen Islam gebunden. Die vermeintliche Offenheit für Gläubige verschiedener Strömungen kann als Strategie der Missionierung verstanden werden, bei der vor allem Flüchtlinge und Studierende im Fokus stehen. Die wechselseitige Unterstützung von Oberbürgermeister und Islamischer Gemeinde in Marburg schafft für die Strategie der Muslimbruderschaft ein ideales Umfeld. Noch verschließt die Stadtpolitik ihre Augen und denunziert Kritiker als Verschwörungstheoretiker.