Die Geschichte der Sportlernahrung

Ein Athlet ist, was er isst

Eine kurze Geschichte der Sportlernahrung.

»Wohl ausgewogen muss die Diät sein«, sagt Druide Miraculix mit erhobenem Zeigefinger im Comic »Asterix bei den Olympischen Spielen« zu seinen Athleten Asterix und Obelix. »Und was ist eine ausgewo­gene Diät, oh Druide?« fragt der verdutzte Obelix. »Das da!« antwortet Miraculix und zeigt auf einen Koben voller Wildschweine. In der Tat finden sich erste Spuren spezieller Ernährungsvarianten für Sportler ­bereits in der griechisch-römischen Antike, wenn auch nicht bei den Galliern, die leider Analphabeten waren. Diogenes, Plinius, Philostrat und andere antike Autoren rieten Athleten dazu, eine Ernährung aus Käse, getrockneten Feigen und Weizenbrei zu sich zu nehmen. Für eine rasche Regeneration empfahlen antike Trainer Honigkuchen. Das Superfood des Altertums dürfte also zumindest außerhalb kleiner gallischer Dörfer weitgehend vegetarisch gewesen sein.

Käse und getrocknete Feigen – darüber würde sich der Football-Spieler Tom Brady vermutlich kaputtlachen, obgleich seine Ernährungsmethoden wiederum den Griechen und Römern wohl Lachkrämpfe ­beschert hätten. Brady, Quarterback bei den New England Patriots, auf den die Bezeichnung »Sportlegende« wirklich zutrifft, schwört auf die »TB12-Methode«, über die er sogar ein Buch geschrieben hat. Jeden Morgen trinkt er mehrere Liter gefilterten Wassers, das er mit dem künstlichen, nach seinen Initialen und seiner Trikotnummer benannten Elektrolyt »TB12« anreichert. Dies, so Brady, halte nicht nur seine Muskeln geschmeidig, sondern schütze ihn sogar vor Sonnenbränden und vor allem vor Verletzungen. Der Athlet ist so sehr von seinem Nahrungsergänzungsmittel überzeugt, dass er davon ausgeht, bis in seine späten Vierziger als Profi spielen zu können.

Das Superfood des Altertums dürfte zumindest außerhalb kleiner gallischer Dörfer weitgehend vegetarisch gewesen sein.

Was aber sind Elektrolyte überhaupt? Grob gesagt: elektrisch leitfähige chemische Verbindungen, die den komplexen menschlichen Körper am Laufen halten, da alles, was dort passiert, auf Elektrizität basiert. ­Siehe dazu auch die höchst seriöse Dokumentation »The Matrix«, die aufzeigt, wie menschliche Körper als Batterien dienen können. Und was ist nun ein Elektrolyt in der Nahrung? Das ist einfach: Salz, Kalium, Phospat, Sulfat, Chlorid und Magnesium. Also all das, was im Leitungswasser und in einer halbwegs abwechslungsreichen Ernährung drin ist. Mit dem Tipp, sich regelmäßig einen Krug Wasser zu gönnen, kann man freilich keine Bücher verkaufen und vor allem keine superspeziellen Zusatzstoffe aus dem Labor.

Keine Sorgen über seinen Elektrolythaushalt machte sich André René Roussimoff, der als »André the Giant« ein weltberühmter Profi-Wrestler und Schauspieler wurde. Der 2,24 Meter große Franzose, der Tom Brady um mehr als 20 Zentimeter überragte, litt unter der Hormonstörung Akromegalie, die unter anderem zu Riesenwuchs führt, und hatte einen unersättlichen Appetit auf Fleisch. Bier, das übrigens reichlich Elektrolyte enthält, trank André in Mengen, die andere Menschen umgebracht hätten. Er hält den Welt­rekord im Biersaufen: 46 Liter in sechs Stunden. Vor jedem Wrestling-Match trank der große Mann eine ganze Kiste Pflaumenwein. Ein leichter Rausch stellte sich bei ihm aber erst ab zwei Liter Wodka ein. Auch bei fester Nahrung war Roussimoff ein bisschen anders als andere Menschen. So aß er mindestens zwölf Steaks und 15 Hummer am Tag. Seinen frühen Tod mit 46 Jahren verursachte übrigens nicht die Völlerei, sondern seine Grund­erkrankung, die ihm neben der ­imposanten Statur auch ein schwaches Herz beschert hatte. Auch an­dere Kraftsportler haben den extremen Speiseplan aus sehr viel Eiweiß und reichlich Alkohol befolgt.

Spezielle Ernährungsratgeber für Sportler gab es in Europa nach der Antike einige Jahrhunderte lang gar nicht mehr. Nach dem Untergang des Römischen Reichs und dem damit verbundenen zivilisatorischen Rückfall wurde Sport nicht länger professionell betrieben. Das europäische Mittelalter war diesbezüglich tatsächlich finster. Das Einzige, was Sport gleichkam, waren Ritterturniere, und für Männer, die einander auf galoppierenden Pferden mit Lanzen attackierten, galt nur eine Regel: Masse ist Macht. Ritter, vor allem solche, die von Turnier zu Turnier reisten, waren in aller Regel keine feschen Schönlinge wie Richard Gere in »Der Erste Ritter«, sondern dickbäuchige Rohlinge, denen der nächste Braten allemal näher war als die Hohe Minne.

Auch mit der Renaissance änderte sich zunächst kaum etwas daran, dass Männer in erster Linie militärisch mächtig sein mussten. Für den Körper galt noch immer dasselbe wie bei den Rittern. Sport war in Europa noch bis in die späte Neuzeit ein Vergnügen der herrschenden Schicht. Es gab die Jagd und es gab spielerische Varianten des Trainings für den Krieg. Ernährungsempfehlungen existierten zwar durchaus schon seit dem 12. Jahrhundert, doch keine bezog sich ausdrücklich auf die athletische Leistungssteigerung.
In anderen Ecken der Welt war man sportlicher als in Europa. In Japan zum Beispiel entwickelte sich ab dem 11. Jahrhundert die Kampf­sportart des Sumo-Ringens. Waren das zu Beginn durchaus Kämpfe auf Leben und Tod, wurde der Sport bald durch viele Regeln so weit zivilisiert, dass Todesfälle nur noch ausnahmsweise vorkamen. Für Sumo-Ringer gilt auch heutzutage noch die Faustregel: je dicker, umso besser. Sumo-Ringer essen mittags und abends extrem fettreiche Kost, um sich einen möglichst breiten »Schwimmreifen« anzufuttern. Beim Sumo ist es nämlich wichtig, dass der Schwerpunkt des Kämpfers möglichst weit unten liegt. Alles, was rasch einen dicken Bauch macht, ist deshalb willkommen. Anders gesagt: Wer in Deutschland wegen seiner Leibesfülle verhöhnt wird, könnte in Japan durchaus als ehrwürdiger Sumo in Ausbildung durchgehen.

In Europa begann man erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder damit, spezielle Ernährungsformen für körperliche Höchstleistungen im Sport zu entwickeln. Dabei ging man sehr pragmatisch vor und verordnete den Sportlern viel tierisches Eiweiß. Der Vegetarismus, der damals gerade populär wurde, galt hingegen als reine Modeerscheinung und sollte wohlhabenden Menschen ein längeres Leben verleihen. Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation war vorbei, die Vermögen ­waren gemacht und die Reichen hofften auf allerlei Wundernahrungsmittel, damit sie Geld und Luxus so lange wie möglich genießen konnten. So kam es, dass seriöse Ärzte und Trainer dem neuen Berufsstand der Profisportler eine möglichst abwechslungsreiche, durchaus auch fleischliche Ernährung nahelegten, während Quacksalber und Geschäftemacher von der Angst der Reichen vor dem Tod profitierten, indem sie ihrer wohlhabenden Kundschaft ­allerlei Wunderkuren und angeblich lebensverlängernde Diäten aufschwatzten.

Eine sportmedizinische, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Ernährung für Athleten gab es erstmals in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, doch ihren Durchbruch schaffte diese Disziplin der Ernährungswissenschaft erst in den Sechzigern. Das lag nicht zuletzt an den zwei Weltkriegen. Wo es um das nackte Überleben und militärische Effizienz ging, blieb nicht viel Zeit für das Forschen an Spezialdiäten für Spitzensportler. Allerdings zeigt der Erfolg der Produktlinie von Tom Brady, dass es auch heutzutage im Grunde egal ist, wenn Ernährungsexperten etwas als völligen Humbug bezeichnen. Dass alle Teamkollegen Bradys, die sich nach der TB12-Methode ernähren, derzeit verletzt sind, liegt nicht an der Unwirksamkeit des Wundermittels, ganz sicher nicht. Dazu geäußert hat sich der Footballer zwar noch nicht, aber in seinen Büchern läßt er keinen Zweifel daran, dass Verletzungen ­eigentlich nur ein Zeichen von Charakterschwäche sind.