Die neue Bundesregierung wird die Renten nicht sichern

Die Pleiteomas kommen

Eines ist sicher: Die Rente wird für viele Millionen Menschen nicht zum Leben reichen. Verantwortlich dafür ist die Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre. Eine »Jamaika-Koalition« wird das höchstwahrscheinlich nicht korrigieren.

Für den neuesten Rentenreport der ARD hat der Hessische Rundfunk kürzlich eine Umfrage in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Altersarmut in Zukunft ein Massenphänomen sein wird. Als armutsgefährdet gelten Rentner mit weniger als 958 Euro Nettoeinkommen im Monat. Auch Rentner müssen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Das schmälert die geringen Einkünfte. Ob Fußpfleger, Paketzustellerin, Redakteur einer linken Zeitung oder Verkäuferin – auch wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, wird nur eine Rente von wenigen Hundert Euro bekommen. Wer ein mittleres monatliches Einkommen von unter 2.387 Euro brutto bekommt, ist im Alter deshalb armutsgefährdet.

Schon jetzt sind 15,9 Prozent der Menschen im Ruhestand armutsgefährdet. Seit 2005 hat die Zahl derjenigen, deren Einkünfte unterhalb der Armutsschwelle liegen, um 49 Prozent zugenommen. Künftig werden es noch viel mehr. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt vor einer drastischen Zunahme der Zahl bedürf­tiger Seniorinnen und Senioren. Vor allem in Ostdeutschland wird sich die anhaltende Arbeitslosigkeit niederschlagen. Dort wird die Armutsrisikoquote für Rentner bis 2036 auf 36 Prozent steigen,für den Westen werden 17 Prozent prognostiziert. Im Jahr 2036 wird jeder fünfte neue Rentner armutsgefährdet sein. Besonders stark betroffen sind alleinlebende Frauen, die aufgrund von Erziehungsarbeit keine volle Stelle hatten. Die Zunahme der Altersarmut ist auch das Ergebnis der Ausweitung des Minijobmodells, des Niedriglohnsektors und anderer prekärer Beschäftigungsformen in den vergangenen Jahren. »Das deutsche Rentensystem ist auf diesen Wandel der Arbeitswelt nicht ausreichend vorbereitet, das Altersarmutsrisiko steigt weiter«, heißt es in der Studie.

Das Problem ist bekannt, auch den künftigen Betroffenen. Das macht es nicht besser. Denn individuell lässt es sich nicht lösen. Jedes Jahr verschickt die Deutsche Rentenversicherung Briefe mit Hochrechnungen über die zu erwartende Rente. Etliche Empfänger legen diese Schreiben nach einem flüchtigen Blick weg. Denn was sie sehen, macht ihnen schlicht Existenzangst. Wer zu wenig verdient, um später eine gute Rente zu bekommen, hat auch kein Geld, um es fürs Alter zurückzulegen.

Im Bundestagswahlkampf hat das Thema Rente nur eine untergeordnete Rolle gespielt, und wenn es doch angesprochen wurde, dann von eingeladenen Bürgerinnen und Bürgern in den Wahlsendungen im Fernsehen. Früher, als es noch besser um die Rente bestellt war, war sie stets Wahlkampfthema. Auch Bundesregierungen haben immer wieder Kampagnen zur Rente geführt, um für sich zu werben, etwa der damalige CDU-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der 1986 Plakate mit dem Satz »Und eins ist sicher: die Rente« in Westdeutschland aufhängen ließ. In der Großen Koalition hat SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles ihr »Rentenpaket« mit dem Slogan »So packen wir Gerechtigkeit« verkauft. Dazu gehörte die »Rente mit 63«.

Damit versuchte die SPD zu kaschieren, dass sie mitverantwortlich war für die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 – was faktisch für viele eine Rentenkürzung bedeutet, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht so lange arbeiten können oder keine Stelle mehr bekommen. Für jeden Monat, den Beschäftigte vor dem gesetzlichen Renten­eintrittsalter in den Ruhestand gehen, wird die Rente um 0,3 Prozent gekürzt. Durch das Prestigeprojekt der SPD können Beschäftigte ab 63 Jahren ohne Abzüge in Rente gehen, wenn sie 45 Jahre lang gearbeitet haben. In der CDU waren die Widerstände dagegen groß. Sie sei ein »Verbrechen an der nächsten Generation«, wetterte damals der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten. Sein Parteifreund Jens Spahn würde die Rente mit 63 auch gerne abschaffen. In den Sondierungsgesprächen zwischen Union, FDP und Grünen konnte er sich damit aber wohl nicht zu durchsetzen. »Die Rente mit 63 wird nicht abgeschafft. Wir dementieren das für alle, die da mit am Tisch saßen«, sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter. Berichten zufolge sollen sich die Sondierer jedoch darauf verständigt haben, dass die Rente mit 63 nur noch für Berufsgruppen mit schwerer körperlicher Belastung möglich sein soll.

Dass die »Jamaika-Koalition« Rentenreformen in Angriff nehmen wird, steht dagegen fest. Bei den Sondierungsgesprächen seien »flexible Übergänge in den Ruhestand als wichtiges Zukunftsthema identifiziert« worden, sagte der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Markus Kurth.

Wer hofft, dass die Grünen in einer neuen Bundesregierung schon das Schlimmste verhindern werden, sollte sich die Rentenreform um die Jahrtausendwende ins Gedächtnis rufen. Die rot-grüne Bundesregierung hat damals das künftige Rentenniveau erheblich gesenkt. Besorgniserregend an der damaligen Reform ist, dass  die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr den Anspruch auf ausreichende finanzielle Versorgung von Durchschnittsverdienern erhebt. Die Rente wurde teilprivatisiert, indem die vom Staat geförderte Riester-Rente eingeführt wurde. Davon haben aber nur die Versicherungskonzerne und Banken etwas. Normalverdiener können die von Rot-Grün geschaffenen Rentenlöcher auf diesem Weg nicht stopfen. Angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen lohnt sich private Altersvorsorge nicht. Doch FDP und Teile der Union wollen nicht weniger, sondern noch mehr private Vorsorge.

Bei ihren Sondierungen haben sich die Verhandler immerhin darauf verständigt, die niedrigen Renten zu behandeln. »Uns eint der Wille, dass jemand, der länger gearbeitet hat, im Alter mehr haben soll als die Grundsicherung«, heißt es in einem Papier der Verhandlungsgruppe Arbeit, Soziales, Gesundheit und Pflege. Die Details soll eine Kommission bis Ende 2019 fest­legen. Grundsicherung ist die Sozialhilfe für Rentner, sie wird aus Steuermitteln finanziert. Die Deutsche Rentenversicherung empfiehlt Ruheständlern mit einem Monatseinkommen unter 823 Euro, prüfen zu lassen, ob sie einen Anspruch auf Grundsicherung haben. Aber nur wer wirklich nichts hat, bekommt bis zu etwa 400 Euro und eventuell Wohngeld. Wie bei Hartz IV muss vorhandenes Vermögen aufgezehrt werden, bevor der Staat zahlt. Unter anderem deshalb ist es nicht gleichgültig, ob jemand eine Rente oder Grundsicherung bezieht.

»Auch bei der Rente gilt, dass von einer Einigung nur die Rede sein kann, wenn das Paket stimmt. Für die FDP gehört in dieses Paket der flexible Renteneintritt. Denn er führt zu mehr Selbstbestimmung, ist mit mathematischen Zu- und Abschlägen kostenneutral einzuführen und funktioniert in Skandinavien hervorragend«, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann.

Menschen in stark belastenden Berufen können jedoch aus gesundheit­lichen Gründen oft nicht bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten. Schon zurzeit werden sie mit Abschlägen bestraft, wenn sie früher als gesetzlich vorgesehen in Rente gehen. Menschen, die gerne länger arbeiten wollen und das können, haben oft einen komfortablen, gesundheitsschonenden Beruf. Dass ihre höhere Rente noch mehr als heutzutage mit den Abschlägen der Benachteiligten finanziert werden soll, ist ungerecht und wird die Einkommensunterschiede im Alter weiter vergrößern.
Tatsächlich können in Schweden Beschäftigte zwischen dem 61. und 67. Lebensjahr flexibel in Rente gehen.

Wer das für Deutschland möchte, der sollte allerdings auch die anderen Elemente des schwedischen Systems übernehmen. Dort zahlen nämlich alle, auch Selbständige und Beamte, in die Rentenkassen ein. Die Arbeitgeber zahlen 10 Prozent des Einkommens in die Rentenkasse, die Beschäftigten nur 7 Prozent. In Deutschland zahlen Unternehmen und Arbeitnehmer jeweils 9,35 Prozent. An der privaten Altersvorsorge müssen sich die Arbeitgeber nicht beteiligen. Vor allem gibt es in Schweden eine steuerfinanzierte Mindestrente in Höhe von mehr als 850 Euro im Monat, für die man keine Mindestzeit gearbeitet haben muss. Ein solches Modell in Deutschland einzuführen, würde in eine gute Richtung weisen – wäre von einer »Jamaika-Koalition« aber sicher nicht zu erwarten.