Die einstige Dominanz der SPD in Brandenburg ist vorbei

Ich fühl’ mich Brandenburg

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke musste eine wichtige Reform abblasen. Das Scheitern des Vorhabens markiert wohl das Ende der jahrzehntelangen Dominanz der SPD in dem Bundesland. Profitieren dürfte vor allem die AfD.

Was unter den ostdeutschen Bundesländern Sachsen für die CDU ist, ist Brandenburg für die SPD. Seit der Gründung des Bundeslands 1990 regieren hier die Sozialdemokraten. Zwar waren sie dafür immer auf Koalitionspartner angewiesen – zuerst die FDP und Bündnis 90, ab Ende der neunziger Jahre die CDU und seit 2009 die Linkspartei. Doch war die SPD in diesen Zweckbündnissen immer die tonangebende Kraft. Ihre Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (1990–2002), Matthias Platzeck (2002–2013) und Dietmar Woidke (seit 2013) traten als »Landesväter« auf; eine Rolle, die ihnen auch ein großer Teil der Brandenburger Öffentlichkeit zubilligte. Dabei stützten sie sich auf ein politisches System, das in den neunziger Jahren unter Stolpe etabliert worden war. Unter dem Titel »Brandenburger Weg« wurde die parlamentarische Demokratie in dem Bundesland nach 1990 als Konsensdemokratie mit einem präsidial agierenden Ministerpräsidenten an der Spitze eingeführt. Kennzeichnend dafür war ein relativ harmonischer Umgang der Parteien miteinander und die frühe Integration der PDS in parlamentarische Entscheidungsprozesse – zu einem Zeitpunkt, als die SED-Nachfolgepartei in anderen Bundesländern noch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde und andere Parteien versuchten, sie aus dem politischen Betrieb auszugrenzen.

Partikularinteressen zu vertreten, hatte unter diesen Bedingungen keinen guten Ruf. Stattdessen waren sich die Parteien in dem Anspruch einig, konstruktiv »den Interessen des Landes« zu dienen. Die Ministerpräsidenten inszenierten sich erfolgreich als patriarchale Kümmerer, die die Sorgen der »kleinen Leute« angeblich stets im Blick hatten. Die Krise der SPD machte sich in Brandenburg lange Zeit nicht bemerkbar. Doch nun ist auch der »Brandenburger Weg« an seinem Ende. Dafür spricht jedenfalls die größte Niederlage, die die Landes-SPD seit 1990 hinnehmen musste. Am 1. November verkündete Ministerpräsident Woidke, dass die Landesregierung das Vorhaben einer Reform der Landkreisverwaltungen aufgegeben habe.

Was trocken und bürokratisch klingt, markiert den vorläufigen Abschluss eines der heftigsten politischen Konflikte im Land seit langem. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung stand der Versuch der rot-roten Landesregierung, Brandenburgs Verwaltung neu zu gliedern. Dabei sollte durch Fusionen die Zahl der Landkreise reduziert werden, die kreisfreien Städte Cottbus, Frankfurt an der Oder und Brandenburg an der Havel sollten in Landkreise eingegliedert werden. Begründet wurde das mit der Notwendigkeit, die Verwaltungsstrukturen den demographischen und ökonomischen Entwicklungen anzupassen – vor allem der sinkenden Bevölkerungszahl in berlinfernen Regionen.
Dagegen wurde schnell Widerspruch laut. Seit der Bekanntgabe detaillierter Planungen für die Reform im Herbst 2016 äußerten im Wochentakt Kommunalpolitiker und -politikerinnen, auch von SPD und Linkspartei, sowie Kreistage und kommunale Spitzenverbände ihre Ablehnung der Reform.

Die CDU sah die Gelegenheit gekommen, die Landesregierung vorzuführen, und setzte sich mit einer Volksinitiative an die Spitze des Protestes. In nur 100 Tagen kamen 130 000 Unterschriften gegen den Plan der Regierung zusammen. Damit handelte es sich um die in dieser Hinsicht erfolgreichste Volksinitiative in Brandenburg. Die Stärke des Widerstands gegen die Zusammenlegung von Kreisverwaltungen wird verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es den Gegnern und Gegnerinnen nicht nur um längere Anfahrtswege zu Behörden geht. Im ländlichen Brandenburg, wo die zu DDR-Zeiten erfolgte Industrialisierung in den vergangenen 25 Jahren weitgehend rückgängig gemacht wurde, sind staatliche Strukturen wie Verwaltungen und Bildungseinrichtungen eine wichtige Stütze des wirtschaftlichen und sozialen Lebens.

Zugleich hat seit 1990 ein Rückzug des Staates aus der Fläche stattgefunden, sind Verwaltungsbehörden, Polizei und Schulen längst nicht mehr überall vorhanden. Noch gravierender stellt sich die Entwicklung dar, wenn man Institutionen wie Post und Bahn berücksichtigt, die einst der staatlichen Verwaltung unterstanden. Die Zusammenlegung von Landkreisen und kreisfreien Städten würde die Möglichkeit eröffnen, mit Verweis auf mögliche Synergieeffekte und doppelt vorhandene Einrichtungen die Dichte von Verwaltungsstrukturen und Institutionen der Daseinsfürsorge weiter zu reduzieren.

Trotz der großen Ablehnung des Vorhabens hielt die Landesregierung an dem Vorhaben fest. Der Tonfall Woidkes und des für die Reform zuständigen Innenministers Karl-Heinz Schröter (SPD) wurde dabei immer autoritärer. Statt auf Konsens und Einbindung setzten sie auf das berüchtigte »Durchregieren«. Erst die Bundestagswahl im September brachte die Wende. Das Ergebnis in Brandenburg war verheerend für die SPD. Mit 17,6 Prozent der Stimmen wurde sie nur drittstärkste Partei nach der CDU (26,7 Prozent) und der AfD (20,2 Prozent). Gleich nach der Wahl setzte die Diskussion darüber ein, ob unter diesen Bedingungen die Reform noch durchsetzbar sei. Während SPD und CDU darüber heftig stritten, hielt sich die Linkspartei merklich zurück und war mit einer eigenen Position dazu kaum wahrnehmbar. Schließlich entschied die SPD-Führung, das Reformvorhaben zu beerdigen. Als Anlass dafür diente eine Anhörung im Landtag Ende Oktober, bei der Vertreter der Landkreise und Städte noch einmal ihre Ablehnung der Kreisgebietsreform vortrugen. Dieser Termin soll die Meinungsänderung in der SPD-Führung ausgelöst haben. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um einen Vorwand handelt, um nicht die AfD als Verhinderer der Reform politisch aufzuwerten.

Tatsächlich dürfte die rechtsextreme Partei die große Gewinnerin dieser Auseinandersetzung sein, denn sicher ist vielen Wählerinnen und Wählern klar, dass erst der Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl den Ausschlag für eine Richtungsänderung gegeben hat in einer Frage, die für das ganze ländliche Brandenburg äußerst wichtig ist, bei der die Landesregierung bis dahin jedoch über die Willensbekundungen aus den Regionen hinweg gegangen war. Für die Zukunft noch wichtiger dürfte die Art und Weise sein, wie über die geplante Reform gestritten wurde. Sowohl für Gegner und Befürworter als auch für die Medien waren »Heimat« und »Identität« die zentralen Begriffe in der Auseinandersetzung. Im Tagesspiegel beispielsweise hieß es in einem Kommentar zum Verzicht auf die Kreisgebietsreform: »Was Heimat bedeutet, muss man Dietmar Woidke nicht erklären.

Brandenburgs Ministerpräsident ist verwurzelt in der Lausitz, nahe der polnischen Grenze. In dünn besiedelten Regionen gehört nicht viel dazu, Ängste auszulösen, dass einem die Heimat genommen wird: Es reicht, dass der Arzt wegzieht, die Schule schließt oder die Buslinie eingestellt wird.« Wo es um die sozialen Verhältnisse und Lebensbedingungen in Gebieten geht, die für die Kapitalverwertung uninteressant sind, wo über Umverteilung, den Zugang zu Infrastruktur und staatliche Intervention zu sprechen wäre, wird zuvorderst von »Heimat« und »Verwurzelung«, also in rechten Kategorien gesprochen. Es wäre erstaunlich, wenn die AfD davon nicht profitieren würde.