Vanja klagte beim Bundesverfassungsgericht eine dritte amtliche Geschlechtsoption ein. Ein Gespräch

»Intersexualität muss sichtbar werden«

Vanja ist intersexuell und hat vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich für eine dritte Option bei der Geschlechtereintragung geklagt – gemeinsam mit der Kampagne »Dritte Option«. Das Gericht entschied: Intersexuelle Menschen sollen neben einer männlichen oder weiblichen Angabe nun eine dritte Option wählen können.
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Wie möchten Sie angesprochen werden?
Am liebsten ist es mir, Pronomen zu vermeiden oder Mischformen zu finden. Das ist im Deutschen ja nicht so einfach. Ich würde mir wünschen, dass sich die Sprache weiterentwickelt. In anderen Ländern ist man da schon viel weiter. Im Englischen ist es zum Beispiel verbreitet, dass Intersexuelle oder Transmenschen neutral mit »they« angesprochen werden. Die Schweden haben sogar ein neutrales Pronomen in die offizielle Sprache aufgenommen.

Sie sind wie ich 1989 geboren. Bei mir war die Einordnung meines ­Geschlechts eindeutig, bei Ihnen nicht. Wann waren Sie mit schwierigen Situationen konfrontiert, die ­jemand wie ich einfach umschifft oder nicht erlebt hat?
Ein großes Thema war das in der Pubertät. Das ist sicherlich für die meisten Menschen keine einfache Zeit, aber bei mir war es schon besonders schwierig. Ab da ist es anderen Jugendlichen aufgefallen, dass ich nicht so eine normale Pubertätsentwicklung wie die meisten hatte. Es war vor allem diese Gruppenbildung von Jungs und Mädchen, die es ab diesem Alter gab und in die ich nicht so richtig reingepasst habe. Die Mädchen haben dann gesagt: Nee, wir wollen jetzt nichts mit dir machen, weil du kein Mädchen bist. Aber ein Junge war ich eben auch nicht.

Wie war das für Sie?
Ich habe in der Zeit schon das Gefühl gehabt, nicht so richtig dazuzugehören. Das heißt nicht, dass alles immer total schlimm gewesen ist. Ich hab auch ­damals meinen Platz gefunden, aber dieser Platz war immer eher am Rand. Das hat für mich dazu geführt, dass ich mich nicht mit meiner Geschlechtsidentität auseinandergesetzt habe. Das ist erst passiert, als ich nach der Schule aus der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen war, rausgekommen bin. Da bin ich zum ersten Mal auf Menschen aus der queeren Szene getroffen, die überhaupt eine gewisse Offenheit und ein Verständnis für solche Themen hatten. Da ist mir vieles erst klar geworden.

Seit 2013 gibt es die Option, keine Angabe zum Geschlecht zu machen. Warum hat das nicht ausgereicht?
Diese Möglichkeit gab es noch gar nicht, als ich den ersten Antrag gestellt habe. Für mich ist es aber auch keine gleichwertige Option zu sagen, die einen haben eine konkrete Identität und die anderen haben eine Leerstelle. Es gibt eine große Unsichtbarkeit von Intermenschen. Auch im Vergleich zu Transmenschen. Vielen Intermenschen sagt nicht einmal der Arzt: Du bist intersexuell. Stattdessen sagen viele Ärzte: Du bist eine Frau oder du bist ein Mann. Dir fehlt da was, aber wir können das wieder richten. Das ist der Umgang der Medizin mit dieser Identität und deshalb wissen viele Intersexuelle auch selbst nicht so viel über sich und reden auch wenig darüber. Aus diesem Kreislauf müssen entkommen: Inter­sexualität muss einfach sichtbar werden.

Auf lange Sicht finde ich es sinnvoll, gar keinen Geschlechtereintrag mehr zu haben. Es sollte offizielle Stellen nicht interessieren, was man für ein Geschlecht hat.

Wie wirkt sich Ihre intergeschlechtliche Identität heute auf Ihren Alltag aus?
Ich fühle mich nicht so richtig wohl, wenn ich mich in reinen Männer- oder Frauengruppen bewege. Und ich stolpere mehr als andere Menschen über Kleinigkeiten. Wenn ich ein Busticket kaufe, muss ich ankreuzen, welches Geschlecht ich habe. Wenn ich auf die Toilette gehe, muss ich zwischen einer Männer- und einer Frauentoilette auswählen und selbst wenn ich in einen Sportverein eintreten will, muss ich überlegen, welcher da jetzt passt. Das sind schon Momente, in denen sich die Geschlechtsidentität sehr zentral in unserer Gesellschaft anfühlt – und dass diese Identität nur in Mann- oder Frausein bestehen kann. Es ist zum Glück nicht so, dass ich im Alltag ständig darauf angesprochen werde, ob ich Mann oder Frau bin, aber das war auch schon anders. Gerade sehe ich wegen der Hormone eher unauffällig aus. Ich nehme die Hormone aber auch, weil es mir zum Teil einfach zu anstrengend war, ständig angesprochen zu werden. Es fühlt sich aber für mich immer so an, als würde ich nur einen Teil von mir zeigen.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, eine dritte Option einzuklagen?
Zwischendurch habe ich mich das auch gefragt, weil es bis zu diesem Urteil sehr lange gedauert hat. Ich habe zwischen 2012 und 2013 angefangen, mich näher mit Geschlechterkategorien zu beschäftigen. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt auch entschieden, andere Hormone zu nehmen, so dass sich mein Körper verändert hat – auch äußerlich. Dann hat sich dieser weibliche Eintrag in allen Dokumenten komisch angefühlt. Deshalb habe ich darüber nachgedacht, ob ich den Eintrag in einen männlichen ändern will. Aber ich habe auch relativ schnell gemerkt, dass das für mich nicht funktioniert. Ich habe mich geärgert – über den bürokratischen Aufwand, den das bedeutet, und darüber, dass so eine Änderung dann erst psychologisch »geprüft« werden muss. Ich finde es absurd, dass ich erst meinen Geschlechtseintrag ändern kann, wenn bestätigt wurde, dass ich auch wirklich so bin, wie ich bin. Gemeinsam mit anderen Leuten, die ähnliche Probleme hatten, haben wir uns dann dazu entschieden, politisch aktiv zu werden.

Warum haben Sie sich gerade für die Klage entschieden?
Wir haben gemerkt, dass wir von den Parteien nicht viel erwarten können, was dieses Thema angeht. Natürlich gibt es jetzt viele Politiker, die sagen: Wir finden das super. Von alleine machen die aber nichts. Aus deren Perspektive ist die Wählergruppe, die man damit ­gewinnen kann, zu klein. Gleichzeitig müssten sich Politiker dann mit den Gegnern auseinandersetzen, die es gerade in der rechten Ecke gibt. Alle positiven Entscheidungen, die es in den vergangenen Jahren zu Trans- und Inter-Themen gegeben hat, kamen vom Bundesverfassungsgericht. Und deshalb haben wir uns entschieden, diesen Weg zu gehen.

Welche Reaktionen haben Sie auf das Urteil bekommen?
Die meisten Reaktionen waren positiv. Aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis haben sich die Leute natürlich mit mir gefreut. Aber im Netz gibt es gerade aus der rechten Ecke natürlich auch negative Reaktionen. Das hat mich nicht wirklich überrascht. Diese Argumentationen sind aber auch einfach nicht schlüssig. Deshalb hat mich das nicht so berührt. An den Reaktionen ist mir aber auch aufgefallen, wie viele Menschen es gibt, die keine Ahnung davon haben, dass es inter und trans überhaupt gibt, wo da die Unterschiede und Ähnlichkeiten sind. Das finde ich schade.
Der Gesetzgeber muss sich entscheiden, ob er die Geschlechtereintragung insgesamt abschaffen will oder ob er eine dritte, positive Option schafft.

Was bevorzugen Sie?
Auf lange Sicht finde ich es sinnvoll, gar keinen Geschlechtereintrag mehr zu haben. Es sollte offizielle Stellen nicht interessieren, was man für ein Geschlecht hat. Wenn es eine weitere, positive Option gibt, ist mir wichtig, dass diese möglichst offen gefasst wird, damit sich möglichst viele Menschen damit identifizieren können. Die Definitionsmacht der Medizin und der Psychologie muss endlich aufgehoben werden, so dass die Menschen ihre Identität wählen können. Das sollten nicht irgendwelche Mediziner und ­Psychologen »feststellen«.

Welche anderen gesetzlichen Schritte müssen nun noch folgen?
Gesetzlich wäre es wichtig, dass sich in der Medizin etwas ändert. Zwischen­geschlechtliche Minderjährige dürfen noch immer ohne ihre Zustimmung operiert werden, das darf nicht länger so sein. Es muss ein Verbot von Opera­tionen zwischengeschlechtlicher Minderjähriger geben, die nicht notwendig sind.

Wie sollte sich die Gesellschaft ändern?
Ich wünsche mir mehr Offenheit und eine Entspanntheit im Umgang mit Geschlechtsidentitäten, und dass Leute sich nicht in ihrer eigenen Sexualität angegriffen fühlen, nur weil es noch etwas anderes gibt als Mann und Frau. Das nimmt niemandem etwas weg. Im Moment ist es so, dass ich mit dem weiblichen Eintrag und dem Aussehen, das ich habe, immer noch schief an­geguckt werde. Wenn ich zum Arzt gehe, der weibliche Eintrag auf meiner Krankenkassenkarte steht, ich aber nicht aussehe wie eine Frau, werden mir blöde Fragen gestellt oder Leute fangen an zu lachen. Das finde ich anstrengend.