Die Kritik an »importiertem« Judenhass ist verlogen

Der Antisemitismus der anderen

Die Mehrheit der Deutschen ist empört über offenen islamischen Judenhass, bedient sich aber selbst eines subtileren Antisemitismus.

Oft heißt es, das Neue am »neuen Antisemitismus« sei, dass er sich kodiert äußere. Nach 1945 könnte man demnach nicht mehr einfach »Die Juden sind unser Unglück« sagen. Stattdessen bedienten sich Antisemiten subtilerer Formen. Die Debatten um Jürgen Möllemann, Günter Grass oder Jakob Augstein veranschaulichen das. Doch in Leitartikeln und Talkshows, die diese Debatten begleiten, wird eines oft vergessen: Neben dem neuen, subtilen Antisemitismus ist der alte, unverblümte nicht verschwunden.

Im Dezember konnte man ihn wieder einmal europaweit erleben. Etwa vor dem Brandenburger Tor in Berlin, wo aus einer Versammlung heraus »Tod den Juden« skandiert wurde. Oder in Göteborg, wo mindestens zehn Täter Molotow-Cocktails auf eine Synagoge warfen, während sich 20 Jugendliche darin befanden. Oder in Amsterdam, wo Scheiben des jüdischen Restaurants Hacarmel eingeschlagen wurden. Nichts daran ist neu. Im Gegenteil, diese Taten reihen sich in die 2 000jährige Geschichte des Judenhasses ein.

 

Seit Anfang Dezember vergeht kein Tag, an dem es in Europa nicht zu antisemitischen Vorfällen kommt

Es brauchte nie viel, um antisemitische Ausschreitungen in Europa zu entfachen. Am 6. Dezember kündigte Präsident Donald Trump an, die Botschaft der USA in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Die Fatah, die Partei des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mah­moud Abbas, rief umgehend zu »drei Tagen des Zorns« auf, die Hamas schoss Raketen auf Israel und rief eine Intifada aus. Seit dem 7. Dezember vergeht kein Tag, an dem es in Europa nicht zu antisemitischen Vorfällen kommt.

Die Demonstration am Brandenburger Tor, auf der »Tod den Juden« gerufen wurde, ist kein Einzelfall. Die gleiche Parole war etwa in Malmö zu hören, während es in Wien »Schlachtet die Juden« hieß. Der Hass entlädt sich nicht nur an Juden, sondern auch an Israel, dem jüdischen Staat. Auf unzähligen Versammlungen zwischen Stockholm und Athen wurden Fahnen des Staates Israel verbrannt, »Tod Israel« wurde skandiert. So auch in Berlin, wo es mehrere antisemitische Demonstrationen gab. Neben israelischen Fahnen wurden dort auch Laken mit aufgemalten Davidsternen verbrannt. Die Demonstranten führten Flaggen, Stirnbänder und Schals der antisemitischen Terrororganisationen Hamas, Hizbollah und PFLP mit sich. Mit Parolen wie »From the river to the sea – ­Palestine will be free« machten sie deutlich, dass es ihnen nicht nur um den Umzug der US-Botschaft oder territoriale Streitfragen im israelisch-palästinensischen Konflikt geht, sondern um die Beseitigung des jüdischen Staats.

Tatsächlich ist die Ausdrucksform auf islamisch geprägten Demonstrationen roh und unkodiert. Doch ein Großteil der Demonstranten kommt aus Familien, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, spricht fließend Deutsch und ging auf deutsche Schulen.

Die gegenwärtigen antisemitischen Ausschreitungen reihen sich unter manchen Gesichtspunkten zwar nahtlos in die Geschichte des europäischen Judenhasses ein. Doch während die Wurzeln des europäischen Antisemitismus im Christentum liegen, dominiert eine andere Religion die Aufmärsche: der Islam. Das zeigt nicht nur der Bezug zu islamistischen Organisationen wie Hamas und Hizbollah, es wird auch in den Sprechchören deutlich. Mit »Allahu Akbar«-Rufen erklären die Demonstranten überall in Europa ihren Hass auf die Juden und ihren Staat zu einer göttlichen Mission. In London, Berlin und Wien kündigten Demonstranten antisemitische Massaker in islamischer Tradition an. Die Massen skandierten: »Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden! Mohammeds Heer kommt bald wieder!« Im Jahr 628 massakrierten Mohammed und seine Anhänger viele Juden, die in der Oase Chaibar lebten, und zwangen die Überlebenden zur Unterwerfung.

In Deutschland und Europa geht ein Großteil der Demonstrationen auf ­Organisationen zurück, die der Muslimbruderschaft oder der Hamas, ihrem palästinensischen Ableger, nahestehen. Auf einer Website aus diesem Umfeld wurden bereits am 8. Dezember Demonstrationen in 40 Städten in 16 EU-Ländern aufgezählt. In Deutschland wird ein Großteil der Versammlungen zwischen Flensburg und München von der Palästinensischen Gemeinschaft Deutschland (PGD) sowie dieser zugehörigen Jugend- und Frauenorganisationen getragen. Die PGD ist das wichtigste Sprachrohr der Hamas in Deutschland. Sie organisierte im Jahr 2015 in Berlin die »13. Konferenz der Palästinenser in Europa«, das größte europäische Propagandaforum der Jihadisten aus dem Gaza-Streifen.

Viel Zulauf erhalten die Demonstrationen aus dem Milieu der türkischen Nationalisten und Islamisten. Derzeit sind deutlich mehr türkische Fahnen auf den Demonstrationen zu sehen als während der letzten Welle antisemitischer Demonstrationen 2014. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der Israel als »Terrorstaat« und »Land der Kindermörder« verunglimpfte, hatte zu Protesten aufgerufen.

 

Antisemitismus als Fremdkörper

Es handelt sich derzeit um islamistische Aufmärsche, und das ist mit Blick auf die Geschichte des Judenhasses in Europa tatsächlich neu. Als »importierten Antisemitismus« bezeichnen dies Politiker wie Jens Spahn (CDU) und Heiko Maas (SPD). Dies erlaubt es, den Antisemitismus als Fremdkörper zu behandeln, der vor allem bei Muslimen und Migranten zu finden sei. Tatsächlich ist die Ausdrucksform auf islamisch geprägten Demonstrationen roh und unkodiert. Doch ein Großteil der Demonstranten kommt aus Familien, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, spricht fließend Deutsch und ging auf deutsche Schulen.

Es ist die deutsche Gesellschaft, die den Antisemitismus nicht überwunden hat. Man findet ihn bei Demonstrationen gegen den G20-Gipfel und bei Pegida, bei Attac und den Identitären, aber auch in etablierten Parteien. Dort tritt er selten als offen geäußerter Judenhass in Erscheinung, sondern meist als ­sekundärer Antisemitismus, als »Israelkritik« oder Anspielung mit anti­semitischer Konnotation. Integration würde angesichts dessen wohl nur ­bedeuten, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft den Migranten und ihren Kindern beibringt, ihren Hass auf die Juden ebenfalls zu kodieren. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat erst vergangene Woche demonstriert, wie das geht: Auf einer Diskussionsveranstaltung der Kreuzberger Initiative ­gegen Antisemitismus sagte er seinen muslimischen Gesprächspartnern, es sei falsch, die israelische Flagge zu verbrennen. Er nehme sich jedoch selbstverständlich das Recht, Israels Politik zu kritisieren. Er selbst, so Gabriel auf der Veranstaltung, habe schließlich vor einigen Jahren nach einem Besuch in Hebron gesagt, die Zustände erinnerten ihn an Apartheid.

Das zeigt: Wer den Kampf gegen den Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen ernst meint, muss den Hass auf die Juden in seinen »indigenen« wie »importierten« Formen bekämpfen.