Der Comic »Sterben ist echt das Letzte« von Eva Müller

Mal kommt er früh, mal kommt er spät

Lakonisch und berührend zugleich erzählt die Zeichnerin Eva Müller in ihrem Comic »Sterben ist echt das Letzte« vom Umgang mit dem Tod.

Im November 1973 veröffentlichte der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Ernest Becker eine vielbeachtete und später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Studie mit dem Titel »The Denial of Death«. Becker, der kurz nach der Veröffentlichung starb, stellt die These auf, dass die menschliche Zivilisation im Wesentlichen ein ausgefeilter symbolischer Verteidigungsmechanismus gegen das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit sei.

Anders, aber nicht minder eindringlich widmet sich die junge Zeichnerin Eva Müller in ihrem Comic »Sterben ist echt das Letzte!« dem Thema. Ihr kürzlich im Verlag Schwarzer Turm erschienenes Buch setzt sie sich mit der Frage auseinander, wie vor allem jüngere Menschen damit umgehen sollen, dass sie selbst und auch alle, die sie kennen und lieben, irgendwann sterben werden. Eine wirklich befriedigende Antwort darauf hat sie nicht. Ihr Comic beschreibt vielmehr ihre ganz eigene Suche danach, wie man sich zum Tod verhalten kann – dem drohenden eigenen und dem der anderen.

Gegliedert in acht eher lose verbundenene Episoden und über weite Strecken getragen von einem ebenso detailreichen wie ungewöhnlichen Zeichenstil versucht sie, sich dem Thema Tod von verschiedenen Seiten zu nähern. Etwa wenn sie davon erzählt, wie sie sich als Kind in der Pfalz bei ihren tiefkatholischen Großeltern in die gute Stube geschlichen hat, die nie beheizt und nur ­genutzt wurde, um dort die Toten aufzubahren. Dort saß sie dann stundenlang, fror und wartete auf den Tod – doch der kam nicht.

Man merkt, dass sich die Zeichnerin nicht nur viele Gedanken über den Tod gemacht, sondern auch zum Thema recherchiert hat. So erfährt man allerlei Wissenswertes über Friedhöfe in Dänemark, buddhistische Mönche, die sich selbst mumi­fizieren, und vor allem viel über die Jenseitsvorstellungen im Katholizismus.

Schon damals hatte sie Angst zu sterben, und diese Angst ist geblieben. Im Grunde ist ihr Comic vor allem ein Versuch, sich dieser Angst zu stellen. Tatsächlich hat sich ihr Verhältnis zur eigenen Sterblichkeit durch die Arbeit an dem Comic »Sterben ist echt das Letzte!« verändert. »Ich habe viele meiner Ängste beerdigt«, sagt sie. »Auch wenn ich immer noch überhaupt keinen Bock habe zu sterben.«

Das Bild, das Müller vom Tod zeichnet, ist vielschichtig. In einer Episode etwa erzählt sie von einer Nachbarin im Rentenalter, die stirbt, bevor die junge Protagonistin ihr ein schon seit Monaten bereitliegendes Geschenk überreichen kann. In einer anderen Geschichte ist es der Tod des gemeinsamen Vaters, der zwei Geschwister, die sich auseinander­gelebt haben, wieder zusammenbringt. Der Tod trennt die Sterbenden von den Lebenden, aber manchmal bringt er die Lebenden einander näher.

Man merkt, dass sich die Zeichnerin nicht nur viele Gedanken über den Tod gemacht, sondern auch zum Thema recherchiert hat. So erfährt man allerlei Wissenswertes über Friedhöfe in Dänemark, buddhistische Mönche, die sich selbst mumi­fizieren, und vor allem viel über die Jenseitsvorstellungen im Katholizismus. Rund drei Jahre hat sie gebraucht, all das zusammenzutragen und zu Papier zu bringen.

 

Die widersprüchliche Faszination des Todes

Müllers Arbeitsweise – sie zeichnet mit Buntstift auf DIN-A3-Blätter – ist  recht zeitaufwendig, ist bei ihr doch jede Fläche eine Ansammlung von gefühlt unendlich vielen einzelnen kleinen Strichen, die zusammen ein Ganzes ergeben, das von ungeheurer Tiefe und Plastizität ist.

Im Original sind die Zeichnungen dreifarbig – schwarz, rot und blau. Aus Kostengründen konnte das Buch jedoch nur in Schwarzweiß gedruckt werden. Wer die Bilder in ihrer ganzen Pracht sehen will, muss auf die englischsprachige US-Ausgabe warten, die demnächst bei Birdcage Bottom Books erscheinen soll.

Der Comic hat etwas von einer Collage. Die Panels sollen nicht nur die Geschichte erzählen, sondern vor allem auch eine Stimmung vermitteln, und gerade das gelingt besonders gut. »Sterben ist echt das Letzte!« durchzieht eine tiefe Melancholie, der man sich beim Lesen nur schwer entziehen kann.

»Sterben ist echt das Letzte«

Die Geschichten, die Müller in ­ihren Comics erzählt, haben bisweilen autobiographische Züge. Müller bezeichnet ihr Buch als »eine stark erweiterte Autobiographie«. »In ­jeder Geschichte steckt ein Teil von mir«, erzählt sie. »Der Rest ist frei ­erfunden.«

Echt ist jedoch die widersprüchliche Faszination des Themas Tod, die immer wieder durchscheint. Sie will den Tod keineswegs glorifizieren oder auch nur romantisieren. Aber sie will auch nicht so tun, als existiere er nicht, wo er die Menschen doch jeden Tag umgibt.

Nachdem der Tod in der westlichen Kultur über Generationen immer stärker tabuisiert wurde, scheint die Beschäftigung mit dem Sterben nun eine regelrechte Renaissance zu  erfahren. Vor allem in den USA erlebt die »death positive«-Bewegung regen Zulauf.

Nachdem der Tod in der westlichen Kultur über Generationen immer stärker tabuisiert wurde, scheint die Beschäftigung mit dem Sterben nun eine regelrechte Renaissance zu  erfahren. Vor allem in den USA erlebt die »death positive«-Bewegung regen Zulauf.

Das Buch »Fragen sie ihren Bestatter. Lektionen aus dem Krematorium« von Caitlin Doughty hat es im vergangenen Jahr auch hierzulande in die Feuilletons geschafft. Auch boomen in den Großstädten alternative Bestattungs­unternehmen, und spätestens mit Francis Seecks »Recht auf Trauer« ist das Thema auch in der mehr oder minder radikalen Linken angelangt.

Warum sich derzeit so viele Menschen Gedanken über den Tod und das Sterben machen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Es scheint, als sei das Thema insbesondere in queeren und feministischen Kreisen entdeckt worden. Dieses Milieu steht auch im Zentrum des Comics. So war es gerade die aufs Engste mit der LGBT-Szene verbundene Aids-Bewegung, die bereits vor drei Jahrzehnten aus ebenso traurigen wie dringlichen Gründen begonnen hat, sich mit dem Thema Tod in einer Weise zu befassen, die mit Traditionen brach und gesellschaftliche Konventionen hinter sich ließ.

Vielleicht ist es aber auch so, dass sich in einer Gesellschaft, in der die religiösen Vorstellungen von Jenseits und Paradies nichts mehr bedeuten, neue Symboliken und Rituale der Trauer herausbilden. Einer repräsentativen Umfrage zufolge glaubten 2017 nur noch rund 30 Prozent der Menschen in Deutschland an ein ­Leben nach dem Tod. Noch zwei Jahre zuvor waren es 40 Prozent. Auch die Zahl derer, die an eine unsterbliche Seele glauben ging im gleichen Zeitraum von 70 auf 40 Prozent zurück.

Dass bei Zahlen wie diesen das Erklärungsmonopol für Fragen den Tod betreffend nicht länger den ­traditionellen religiösen Autoritäten zufallen kann, ist offensichtlich. Was es stattdessen braucht, ist eine noch weitergehende Enttabuisierung des Sterbens und damit logisch verbunden auch einen neuen Umgang mit Krankheit und Alter. Eva Müllers Buch kann als anschauliches Beispiel dafür gelten, wie das auf ganz persönlicher Ebene aussehen kann. Denn am Tod selbst lässt sich wenig ändern, am Umgang mit ihm hingegen sehr viel.

 


Eva Müller: Sterben ist echt das Letzte. Schwarzer Turm, Weimar 2017, 160 Seiten, 12 Euro