Die »MeToo«-Kampagne hat den Feminismus rehabilitiert

»Me Too« und die Befreiung des Sex

Seite 3 – Utopische Prognosen
Essay Von

 

Zusammenfassung: Puritaner und Verkehrspolizisten der Moral, oft getarnt als dauergekränkte Antikränkungs-Inquisition, nutzen emanzipatorische Initiativen wie #MeToo aus, um ihnen ihre Ordnungen aufzuschwatzen.
Die Cocktail-Hedonisten nützen diesen Puritanismus aus, um sich als tolle Diskurshechte gegen ihn zu positionieren und mit ihrer geistigen Libertinage die patriarchale Hetero-Norm zu restaurieren.

 

#MeToo könnte sogar die Kunst der Verführung nicht nur rehabilitieren, sondern zu neuen Höhepunkten treiben. In einem evolutiven Schritt nach vorne würden Verführer und Verführte nicht nur ihre Empathie vertiefen, die sie zu verstehen befähigte, was gewollt ist und was nicht sowie wann Nein Nein heißt und wann es ein performatives Hindernis darstellt, dessen Überwindung erwünscht ist. Flirts könnten fantasievoller, Eroberungsstrategien ambitionierter werden.

 

Das Patriarchat, das sich selbst von einem frauenrechtlich geläuterten Neoliberalismus wie eine uralte, harmlose Schildkröte spazieren führen ließ und nun seinen Tiefen Staat entblößt sieht, bleibt nichts, als Catherine Deneuve flennend um Hilfe zu rufen.

Nichts weniger als einen Dreifrontenkrieg werden wir führen müssen:

1. Dem Patriarchat so Feuer unterm Hintern machen, dass es keinen mehr hochkriegt;

2. Die Puritaner und Verkehrspolizisten aus der Welt der Lüste verscheuchen, denen mit der Zerstörung patriarchaler Macht auch ihr Vorwand abhanden kommt, ihr tausendjähriges Reich der erotischen Anständigkeit zu errichten;

3. Die Cocktail-Hedonisten mit wahren geistigen und physischen Orgien aus ihren Spießer-Boudoirs scheuchen. Sie werden ohnehin freiwillig als Kulturfolger den Puritanern, die sie als Seinsgrund brauchen, in irgendeine Neue Welt folgen.

Aufatmen wird die Welt, wenn es weder an US-Unis Triggerwarnungen gibt noch redaktionelle Langweiler über den Untergang des Abendlandes durch Triggerwarnungen salbadern.

In einem sinnlichen Utopia von Herbert-Marcuse’schen Ausmaßen wird respektvolle Zärtlichkeit Gorillasex nicht verachten, und dieser nicht Unterwerfungsspiele ...

Trotzdem wird im Reich der sexuellen Freiheit der Asexuelle einen Ehrenplatz haben, weil seine Bedürfnislosigkeit respektable Individualität bedeutet und sein Unbehagen wahre Revolte gegen falsche Sexualisierung; die romantisch Liebenden werden indes bewundert als Aposteln unverdinglichten Lebens, und trotzdem wird ihr Sex nicht mehr gelten als jener der Wüstlinge, One-Night-Standers, unverliebt und trotzdem glücklich Vögelnden, Schleckenden und Knuddelnden.

Der Einwand, dass sich in der Sexualität, dem Begehren und der Verführung immer die Dialektik von Macht und Ohnmacht niederschlagen wird, verwechselt ein tiefverwurzeltes gesellschaftliches Machtgefälle mit einem erotischen Spiel, das ohne Manipulation und Unterwerfung nicht auskommen kann und soll. Aber es ist ein Spiel, bei dem die Akteure die Regeln selbst aushandeln. Grapscher wie Puritaner verachten das Spiel. Spiel bedeutet Spontaneität, Erfahrung und Neugier. Der Grapscher beruft sich auf die starren Vorrechte seines Geschlechts, der Puritaner will starre Ordnung um jeden Preis.

#MeToo könnte sogar die Kunst der Verführung nicht nur rehabilitieren, sondern zu neuen Höhepunkten treiben. In einem evolutiven Schritt nach vorne würden Verführer und Verführte nicht nur ihre Empathie vertiefen, die sie zu verstehen befähigte, was gewollt ist und was nicht sowie wann Nein Nein heißt und wann es ein performatives Hindernis darstellt, dessen Überwindung erwünscht ist. Flirts könnten fantasievoller, Eroberungsstrategien ambitionierter werden.

Die PC-Forderung nach Ächtung jeglicher Manipulativität indes ist grenzenlos naiv, zeugt von einer entzückenden Unkenntnis menschlichen Umgangs und täuscht sich über die unzähligen unbewusst manipulativen Modi des eigenen alltäglichen Verhaltens hinweg.

Das Spiel der Verführung bedarf sogar der Grenzüberschreitung, einer Prise Chuzpe und Frechheit. Doch braucht sich solche Verführung nicht hinter institutioneller Macht verstecken, und wäre jedem Menschen, bei Option des Rollenwechsels, zugänglich.

Dazu muss aber die symbolische Neandertalerordnung des Weibchen-Männchen-Spiels aufgegeben werden sowie das erotische Beuteschema von männlicher Aktivität und weiblicher, abwartender, die DNA potenzieller Kindsväter abgleichender Passivität.

Die dualen Geschlechterrollen werden zu exotischen Museumsstücken. Mann- und Frausein im Sex bloß Rollenspiele, gleich Domina, Schulmädchen und Polterabendstripper. Im unendlich reichen Rollenrepertoire des sexuellen Karnevals wird, sobald die repressive Geschlechterdualität überwunden ist, sich als traditionelle Frau oder traditioneller Mann zu gebärden einen ähnlichen Stellenwert haben wie im Fasching als Ritter oder Burgfräulein zu gehen.

Die Niederlage des Sexismus wäre die Voraussetzung einer Sexualisierung der Gesellschaft jenseits des Zeichens der Ware. Und ich würde mich an dieser permanenten Orgie jederzeit beteiligen, so ich nicht gerade ein gutes Buch zur Hand habe.

 

Richard Schuberth ist Schriftsteller. Letzte Publikation: „Unruhe vor dem Sturm“ (Drava Verlag). Sein Essay „Narzissmus und Konformität“ wird im Herbst 2018 bei Matthes & Seitz als Buch erscheinen.