Die AfD bläst zum Kampf gegen den »Kulturmarxismus«

Alice im Verschwörungswunderland

Seite 2 – Weidels alternative Geschichtsschreibung und deren politischen Intention

 

»Kultur wird in diesem Sinne nicht als Summe menschlichen Schaffens und Gestaltens verstanden, sondern als politisches Instrument der Machtgewinnung«, bilanziert Weidel die Strategien der Neuen Linken. Auch Herbert Marcuse gilt Weidel ernsthaft als »Gram­sci-Jünger«. Ihr Pamphlet richtet sich somit nicht nur gegen einen ominösen »Kulturmarxismus«, sondern faktisch gegen die deutschen Juden Marcuse, Horkheimer und Adorno, die vor der Ermordung durch die Nazis fliehen konnten. Bei Weidel werden die deutschen Emigranten zu gefährlichen Umstürzlern. Und der von den italienischen Faschisten inhaftierte Gramsci, der 1937 an den Folgen seines langjährigen Gefängnisaufenthalts starb, wird bar jeder Sachkenntnis zum Strippenzieher der Kritischen Theorie.

 

»Sie wirft der Linken ja genau das vor, was die Metapolitiker der Rechten immer fordern – eine Instrumentalisierung der Kultur im Streben nach Hegemonie« Alex Demirović

 

Weidels alternative Geschichtsschreibung belegt aber nicht nur den paranoiden Stil des autoritären Populismus, der überall kommunistische Konspira­tionen wittert, sondern auch blanke Ignoranz. Schließlich gab es bei den Begründern der Kritischen Theorie keine Auseinandersetzung mit Gramsci, dessen Schriften in Westdeutschland erst 1967 in einer kleinen Auswahl erschienen. Die »Gefängnishefte« wurden ab 1991 im Argument-Verlag veröffentlicht. Adorno starb 1969, Horkheimer 1973. »Weidels Geschichtsschreibung ist Unsinn«, sagt Alex Demirović, der als langjähriger Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung seit den Achtzigern auch zu Gramsci und dessen Rezeption in der deutschen und franzö­sischen Rechten gearbeitet hat. Interessanter als Weidels fiktive Allianz von Gramsci und Frankfurter Schule sei aber ihre politische Intention.

»Sie wirft der Linken ja genau das vor, was die Metapolitiker der Rechten immer fordern – eine Instrumentalisierung der Kultur im Streben nach Hegemonie«, so Demirović im Gespräch mit der Jungle World.
Die jüngste Rede Höckes in Eisleben bestätigt Demirovićs Einschätzung. Höcke nutzte seinen Auftritt bei einer AfD-Veranstaltung am 20. Januar in der sachsen-anhaltinischen Stadt nicht nur zu antimuslimischer Polemik.

Wie schon in seiner Ansprache auf der Konferenz des Compact-Magazins im November in Leipzig pries er Gramsci als Theoretiker, der ihn in den vergangenen Jahren »maßgeblich begleitet« habe. Auch Höcke beschwört in seiner Okkupation linker Begriffe die Erlangung der »kulturellen Hegemonie« als Vorstufe der geplanten Machtübernahme durch die AfD. Der »Kampf um die Begriffe« ist für Höcke, in Anlehnung an Gramsci, zentral. Der auf Mitleid zielende Begriff »Flüchtling« etwa sei unangemessen für die »kräftigen jungen Männer aus Afrika«, die »immer ihre Pässe verlieren, nie aber ihre Smartphones«. Die AfD solle die Bezeichnung »Flüchtling« vermeiden und lieber von »Merkels Gästen« reden.

Es zählt zur tragikomischen Ironie der Geschichte, dass ein Marxist, dessen Leben die italienischen Faschisten auf dem Gewissen haben, zurzeit von Höcke vereinnahmt wird, während er Weidel als Projektionsfläche für populistische Paranoia dient. Weidels Gramsci-Kritik ist jedoch kein völlig abseitiger Beitrag. In der theoretischen Debatte über die Strategie der AfD ist das willkürlich geplünderte Werk Gramscis gegenwärtig Feindbild und Fundus zugleich. In Deutschland hat zuletzt die rechtslibertäre Zeitschrift Eigentümlich frei (EF) dem »Kulturmarxismus« mehrere Schmäh­kritiken gewidmet. Auch Weidel war mehrfach Autorin des Blatts. Ihr Text für die JF wirkt, als habe sie ihr Material ungeprüft aus EF übernommen.

In dieser Diskussion zeigen sich Differenzen in der extremen Rechten: Dem mit linken Versatzstücken angereicherten »Sozialpatriotismus« in der AfD misstrauen die Hardcore-Kapitalisten von EF ebenso wie die marktgläubige Weidel. Und sie kämpfen – anders als Höcke – gegen jede Form des staatlichen Interventionismus.

Weidel hat also Grund zur Unruhe. In ihrer Rolle als Herbert Wehner der AfD-Fraktion wird sie scheitern, da die Partei keine »Zuchtmeisterin« akzeptiert. In der Strategiefrage wird zudem deutlich, dass Weidel im Gegensatz zum Flügel um Höcke jedwede auch nur rhetorische Konzession an linke Tra­ditionen ablehnt. Ihr bevorzugtes Metier ist die Konspirationskunde.