In diesem Jahr wird der 200. Geburtstag von Karl Marx begangen

Murks mit Marx

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In den Worten des Philosophen Michael Quante, der sich ebenfalls zur Aktualität des Marx’schen Denkens äußerte, heißt es dann, dass man Marx’ »Überlegungen in eine anthropologisch fundierte Ethik des guten und gelingenden Lebens« überführen müsse. Wie er zugibt, »eine Richtung, die bei Marx im ›Kapital‹ überhaupt nicht angedacht ist«. Solche Ideen sind ganz auf der Linie jener Sozialphilosophie, die eine kritische Gesellschaftstheorie im eigentlichen Sinne abgelöst hat, beispielsweise vertreten von den Erben der Frankfurter Schule, die sich auch darum bemühen, Marx wieder auf seinen Platz zu verweisen. Der ist, auch nur eine mögliche Perspektive unter vielen zu vertreten. Marx habe also eigentlich nichts anderes getan, als seine subjektiven Ansichten und Hoffnungen als objektive Tatsachen auszugeben, und damit die Grenze der Normativität ignoriert.

Dies zu postulieren, war gewissermaßen das Verdienst von Jürgen Habermas, der bereits in den sieb­ziger Jahren den Historischen Materialismus zur Kommunikations­theorie umschrieb. Der letzte Versuch einer Aktualisierung des Sozialismusbegriffs von Axel Honneth, derzeitiger Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt, steht ganz im Zeichen eines solchen Vorgehens. Ihm zufolge kranke der Sozialismus vor allem an den Erblasten des Marxismus – gemeint ist der überhöhte Anspruch, die Gesellschaft als Ganze zu erkennen und verändern  –, weshalb man den Begriff wieder als Selbstbeschreibung des »­guten und gelingenden Lebens« umformulieren müsse – Sozialismus als Gerechtigkeitstheorie, die sich jeder Spekulation über Ursachen der Ungerechtigkeit enthält. Gleiches unternimmt Rahel Jaeggi mit dem Entfremdungsbegriff, dem sie ebenfalls einen zu hohen gesellschaftstheoretischen Anspruch attestiert. Er sei daher nur zu halten, würde er auf eine sozialphilosophische Diagnosefunktion beschränkt. Entfremdung kann man damit zwar feststellen, aber kein systematisches Argument zu deren Erklärung ableiten.

So entstehen Gedankengebäude, die bestimmte Probleme von Marx nicht mehr haben. Allerdings um den Preis, dass man sich auch nicht mehr mit dem eigentlichen Thema beschäftigt, das Marx bearbeitet hat: einer Theorie der Gesellschaft. Was damit vermeintlich als Kritik im Marx’schen Geiste betrieben wird, ist die Bestätigung der Bedingungen, unter denen Marx’ Denken erst haltlos wird. Er wird dort zurecht­gestutzt, wo er den Existenzbedingungen einer populistischen Linken wie der Sozialphilosophie widerspricht. Wenn aber Marx überhaupt einmal relevant gewesen ist, dann als Gesellschaftstheoretiker, der genau diesen intellektuellen Zirkelschluss aufhebt.

Das war radikal, weil es solche »kritischen« Selbstver­gewisserungen als Reproduktionsleistung entlarvte, und zwar als Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen. Im besten Sinne könnte Marx das gemeint ­haben, als er sagte: »Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin.«