Wie Lieferdienste die Gastronomie verändern

Wie wir schlemmen wollen

Es ist ein Krieg der Lieferdienste: Unternehmen kämpfen um die Kundschaft, Restaurants um ihr Geschäftsmodell, Fahrer für bessere Arbeitsbedingungen und alle zusammen um die Zukunft der Gastronomie.
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In seinem türkisfarbenen Sprintertrikot verlässt der Deliveroo-Fahrer das Restaurant, schwingt sich die Transportkiste mit der heißen Ware auf den Rücken und strampelt auf seinem Fahrrad los, eine heute alltägliche Szene in deutschen Groß­städten.

Doch an einer Gabelung entdeckt der Kurier plötzlich das pink­farbene Trikot der Konkurrenz von Foodora, dessen Träger auf ihn ­zurast. Schnell biegt er in die Seitenstraße und tritt so schnell er kann in seine Pedale. Es scheint, als könne er den Erzfeind abschütteln, da rammt ihn plötzlich ein zweiter Foodora-Mann von der Seite. Auf einmal sind es schon drei rosa Radler, die dem Deliveroo-Fahrer seine Ware abluchsen wollen. Ein Retter in Türkis befreit seinen Deliveroo-­Kollegen, doch immer mehr Radfahrer beider Unternehmen stoßen dazu und es entbrennt ein offener Kampf. Manche Fahrer sind bewaffnet. Voll von Schrammen und blutverschmiert erreicht unser Fahrer das Lieferziel. In dem Moment, in dem er die Papiertüte mit der Bestellung überreichen will, schlitzt ihn ein Foodora-Fahrer von hinten mit seinem Messer auf. Türkis hat verloren, Pink gewonnen.

Zugegeben, so dramatisch wie in dem Sketch der Youtube-Serie »Gute Arbeit Originals« tobt der Wett­bewerb zwischen den Lieferdiensten nicht. Doch metaphorisch gesprochen ist da draußen tatsächlich eine wilde Schlacht entbrannt. Deutschland gilt als einer der am heißesten umkämpften Märkte für Lieferdienste von Essen. Die Gewinnspannen sind niedrig. Deshalb können nur die ökonomisch überleben, die es schaffen, viele Bestellungen und damit viel Umsatz dauerhaft für sich zu generieren. Bei diesem Kampf geht es aber nicht nur darum, welche Trikotfarbe sich durchsetzt. Es geht eventuell um die Zukunft der gesamten Gastronomie.

Foodora startete 2015 und ist mittlerweile in 36 Städten in Deutschland verfügbar, ferner in 21 weiteren Ländern aktiv. Böse Zungen bezeichnen Foodora als einen deutschen Klon des 2013 in London gegründeten Deliveroo. In der Theorie sind die ­radelnden Kellner ein Segen für Großstädte. Statt die inneren Bezirke ­weiter mit Autos vollzustopfen, schlängeln sie sich schnell, platzsparend und klimaneutral auf dem Drahtesel durch die Metropolen. Auch mit Blick auf heiß umkämpfte Wohnungsmärkte sind Restaurants, die keinen großen Gast­raum benötigen, ein Segen. In Berlin gibt es jetzt schon Burgerläden, die ihren Hauptumsatz über die Fahrradkuriere ­abwickeln und nur noch nebenbei ein paar Gäste an der Theke mit­versorgen.

 

In Großbritannien haben es einige Restaurants geschafft, den Lieferbetrieb komplett vom klassischen Restaurant­geschäft zu trennen. Wer etwa bei Cocotte bestellt, der bekommt sein ­Essen unter Umständen gar nicht mehr aus dem schicken Backsteinrestaurant im hippen Notting Hill, sondern aus einem Container in einem Industriegebiet im Süden Londons. Dort haben zahlreiche angesagte Restaurants sogenannte ghost kitchens eröffnet, Restaurants ohne Gasträume, die ausschließlich für die Deliveroo-Fahrer kochen.

 

Beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DeHoGa), der ­wichtigsten Gastrolobby des Landes, gibt es große Befürchtungen. In der Hotelbranche habe man bereits schlechte Erfahrungen mit Online-Buchungsportalen gemacht, heißt es. Diese verlangen pauschal hohe Provisionen für die Vermittlung. Doch ohne die Zimmerklicker aus dem Internet könnten viele Hotels nicht mehr überleben. Versuchen Sie mal, bei Google nach Hotels in einer Stadt zu suchen. Die ersten Treffer kommen in der Regel von Booking.com, Expedia oder HRS. Die ­Zwischenhändler haben die Suchergebnisse vereinnahmt und damit ­einen relevanten Teil der Kundschaft abgegriffen. Den Hotels nützt das nicht. Bei der DeHoGa fürchtet man, es könnte den Restaurants bald ­ähnlich gehen. Gastronomen berichten über Provisionsforderungen von 30 Prozent des bestellten Warenwertes. Dafür spart das Restaurant dann theoretisch Service, Gastraum und Geschirr.

Der Angriff aus dem Internet ist nur eine der zahlreichen Kränkungen, die die Branche in den vergangenen Jahren ertragen musste. Auf den Dörfern sterben die Lokale aus, den Küchen fehlt der Nachwuchs, weil die harten Arbeitsbedingungen kein Geheimnis mehr sind. Die Einführung des Mindestlohns hat viele zwar ausbeuterische, aber fest etablierten Geschäftsmodelle in der Branche kriseln lassen – und jetzt verlangen ­Internetfirmen auch noch Provision für Kundschaft.

Als Foodora in Berlin startete, war es schneller ein Hit, als die Gastronomie angemessen darauf reagieren konnte. Die Folge waren Klagen von Restaurantbesuchern, die sich an den verschwitzten und gehetzten Boten störten, die oft im Gastraum der ­Restaurants herumlungern mussten, bis die Küche ihnen das auszuliefernde Essen reichen konnte. In Großbritannien haben es einige Restaurants geschafft, den Lieferbetrieb komplett vom klassischen Restaurant­geschäft zu trennen. Wer etwa bei Cocotte bestellt, der bekommt sein ­Essen unter Umständen gar nicht mehr aus dem schicken Backsteinrestaurant im hippen Notting Hill, sondern aus einem Container in einem Industriegebiet im Süden Londons. Dort haben zahlreiche angesagte Restaurants sogenannte ghost kitchens eröffnet, Restaurants ohne Gasträume, die ausschließlich für die Deliveroo-Fahrer kochen. In Berlin hat die Hipster-Kantine »Beets & Roots« ähnliches probiert.

Doch auch abseits der ghost kitchens verändert der ausgeweitete Liefer­betrieb die Gastronomie tiefgreifend. Wie das Ambiente in dem Restaurant ist, kann dem Kunden am Laptop zu Hause völlig egal sein. Er sieht das Lokal und seine Speisen durch die Augen von Instagram und Co. nur noch als medial vermittelten Raum. Wo Innenarchitekten einst ein ­besonderes Raumgefühl zu konzipieren versuchten, werden jetzt von ­Fotografen die perfekten Winkel und Hintergründe gesucht. Ein gutes Gericht ist heute auch ein fotogenes Gericht. Ist das Mahl hübsch angerichtet, erfreut es nicht nur den Kunden, der es verzehrt. Die Chance ist groß, dass er sein Essen zuvor fotografiert und so über soziale Netz­werke bei seinen Freunden noch ein wenig Werbung für das Restaurant macht. Längst klagen die ersten Kritiker, dass eine ganze Reihe hipper Neueröffnungen sensationell gestylte Teller serviert, die am Gaumen trotzdem nur Mittelmaß liefern. Kein Problem, in der Regel ist der Tweet oder das Bild ja längst verschickt, ­bevor der erste Bissen im Mund landet. Aus demselben Grund servieren auch die neuen Burgerläden immer höher getürmte Bulettenberge, teilweise mit drei Lagen, die kein Kiefer mehr zu fassen vermag, die sich aber gut auf einem Schnappschuss machen. Auf der einen Seite steht der »Guide Michelin«, bei dem nach Verlagsangaben nur der Geschmack zählen soll, auf der anderen professionelle Food-Fotografie, bei der auch mal ein Schwamm paniert wird, weil dieser besser aussieht, als das echte Schnitzel. Der Trend geht gerade weg vom »Guide« und hin zum Schwamm. Wichtig ist die Fotografie, da der über das Internet ­bestellende Kunde sein Essen wohl eben auch nach dem Motto »Das Auge isst mit« aussuchen wird.

Und noch etwas spielt eine Rolle: Die ­Kulturwissenschaftlerin Jenny L. Herman untersucht, wie Speisen im ­Internet präsentiert werden. Dabei hat sie beobachtet, dass optisch schön angerichtetes Essen neben dem Nährwert einen weiteren Nutzwert für die soziale Repräsentation hat. Über die Gerichte auf dem Instagram-Account können auch kulturelle ­Hintergründe und soziale Klasse markiert werden.

Während Gourmets früher schwärmerische Artikel schrieben, liefern die sogenannten Foodies heute druckreife Fotografien ihrer Mahlzeiten. Das muss kein Anlass zu ­Kulturpessimismus sein, in beiden Fällen wird das gustatorische Er­lebnis, welches seinem Wesen nach nicht medial vervielfältigt werden kann, über andere Medien, früher Text, heute Bild, mit einer breiten Öffentlichkeit geteilt. Doch das Bild verrät eben nicht alles: Zum Beispiel, wenn der Burger-Turm zwar gut aussieht, die Beläge aber aufgrund der Größe beim Essen links und rechts auf den Boden rieseln.