Jurek Permantier, Aktivist der Refugee Law Clinic Berlin, im Gespräch über die Lage von Geflüchteten im »Hotspot«-Camp auf der griechischen Insel Samos

»Das Ganze gleicht einer Gefängnisinsel«

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Wie sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus?
Die ist ebenfalls mies: Es gibt einen Camparzt, nur zwei Psychologen und meist keine verfügbaren Übersetzerinnen oder Übersetzer. Es gibt ein Krankenhaus, das den Namen nicht verdient, da es fast nichts behandeln kann. Eigentlich sollten Geflüchtete, ­deren Leiden dort nicht behandelbar sind, eine »Open Card« bekommen, eine Erlaubnis, die Insel zu verlassen. Aber das passiert selbst ohne GAS-Streik selten beziehungsweise dauert Monate.

Welche Begegnungen hatten Sie mit den Geflüchteten dort, worüber wollen sie mit Ihnen reden?
In einer Vorbereitung geben wir zunächst einen Überblick über den Ablauf eines Interviews, danach sprechen wir über die Türkei. Geflüchtete müssen wegen des EU-Türkei-Abkommens im Einzelfall beweisen, dass die Türkei für sie kein sicheres Land ist. Erst danach reden wir über die Geschehnisse im Herkunftsland. Generell war das Vertrauen in unserer Gruppe nach einer Weile sehr groß, die Hintergründe waren aber ganz unterschiedlich. Viele Menschen wussten von sich aus, worauf es ankommt, andere hatten gar kein Gefühl dafür, wie viel sie von sich in einem Interview preisgeben müssen. Wir haben dann versucht – möglichst gefühlvoll – die asylrelevanten Verfolgungshandlungen und Fluchtalternativen abzuchecken.

Mitte März ist ein Flüchtlingsboot vor Samos gesunken, 16 Menschen sind dabei gestorben.
Das kam noch dazu. Bei gutem Wetter kann man bis in die Türkei sehen, an der ihr am nächsten liegenden Stelle sind es gerade einmal 1 400 Meter von Küste zu Küste. Da müsste niemand ertrinken. Am Tag bevor die Überlebenden ans Ufer kamen, hatte ein Verwandter der im Boot befindlichen Familie im Camp bereits überall Alarm geschlagen, da sie ihm eine Notfallnachricht mit Koordinaten gesendet hatten. Der Küstenschutz hat wohl sogar ein Schiff losgeschickt, die Überlebenden aus dem Boot haben auch ein Schiff gesehen, aber es fuhr einfach vorüber. Weitere Anrufe des Angehörigen wurden ignoriert. Das hat die Gleichgültigkeit der Behörden noch einmal verdeutlicht.

Die griechische Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile deswegen.
Auf die würde ich mich nicht verlassen. Ich habe viele Geschichten über Polizeigewalt und willkürliche Maßnahmen gehört, die einen immer wieder völlig ratlos machen. Teilweise wurde Geflüchteten vorgeworfen, sie seien Geheimagenten, nur damit sie fünf Stunden lang festgehalten und zu Schlepperrouten ausgequetscht werden konnten. Das alles ist der Preis, der gezahlt wird dafür, dass man sagen kann, das Abkommen mit der Türkei funktioniere gut.

Wie geht es jetzt vor Ort weiter?
Prinzipiell haben wir alle eine Abneigung gegen dieses typische Entwicklungshilfemuster, dass einige Menschen mit Geld dorthin kommen, für ein paar Wochen Arbeit leisten und dann wieder gehen. Das heißt, wir versuchen schon, etwas Nachhaltiges aufzubauen. Dafür haben wir das Pilotprojekt auf sechs Monate verlängert, treten jetzt in Kontakt mit Gruppen aus Athen, die das Gleiche machen, also anderen Refugee Law Clinics, und versuchen, es entweder mit denen in Kooperation weiterzuführen oder ganz abzutreten.
Wie kann man Ihre Organisation unterstützen?
Die Anreise nach Samos muss man selbst bezahlen, aber die Unterkünfte vor Ort bezahlen wir mit Spendengeldern. Wir arbeiten mit dem Freiwilligenverein vor Ort und sympathischen griechischen Dorfkommunisten zusammen und werden uns dann immer eine billige Bleibe suchen. Also spendet gerne! Wer Erfahrungen im Bereich Asylrecht hat, kann auch für mindestens drei Wochen mit uns nach Samos fliegen. Dazu muss man entweder die einjährige Ausbildung der RLC Berlin absolviert oder eine vergleichbare Beratungserfahrung haben.
Interview: Markus Lenz