Die Parlamentswahlen im Libanon werden in der Region mit Spannung erwartet

Wahl mit Tücken

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Während einige dieses »Sekten«-System generell für undemokratisch ­halten, gab es auch Kritik von Religionsgemeinschaften, die sich benachteiligt fühlten. Die Schiiten etwa bekamen weit weniger Sitze, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Die Christen bemängelten, dass ihre Kandidaten hauptsächlich von Muslimen gewählt werden und somit gar nicht die wirk­liche Wahlentscheidung der Christen widerspiegeln.

Das neue Wahlgesetz behält den Religionsproporz bei. Durch die Einführung des Verhältniswahlrechts könnte aber das größte Manko des bisherigen Systems langfristig überwunden werden. Das bisherige Mehrheitswahlrecht führte dazu, dass fast nur Vertreter der einflussreichen Familien, der sogenannten Zu’ama, gewählt wurden. Waren in einem Distrikt beispielsweise die Sunniten in der Mehrheit, gewann immer die Liste, auf der auch die Kandidaten der Zukunftspartei des Ministerpräsidenten Saad Hariri standen. Seine Listenpartner anderer Konfessionen konnte sich Hariri aussuchen. Er wählte, genau wie die Hizbollah, keine Kommunisten oder Vertreter neuer Bürgerparteien. Auch die populärsten Kan­didaten hatten keine Chance, wenn sie nicht von einer der großen Parteien auf deren Liste genommen wurden. Bei den Kommunalwahlen im Sommer 2016 führte das dazu, dass die neue Bürgerbewegung Madinati (Meine Stadt) zwar 40 Prozent der Stimmen in Beirut holte, aber keinen einzigen Sitz.

Nun könnte das anders werden. Zumindest in einigen Bezirken hat die aus bürgerbewegten Gruppen bestehende Liste Tahalof Watani (Allianz meines Landes) Chancen, die Zehn-Prozent-Hürde zu schaffen. Das scheint viele Kandidaten ermutigt zu haben, überhaupt ins Rennen zu gehen. Mit 976 Kandidaten sind es fast doppelt so viele wie bei der vorletzten Wahl 2005. Davon sind 113 Frauen – das ist viel für den Libanon. Auch die neue Wählerschaft könnte für Überraschungen sorgen. Erstmals können Libanesinnen und Libanesen wählen, die im Ausland wohnen. Von den 15 Millionen Exil­libanesen, die sich hätten registrieren können, haben das allerdings nur 90 000 getan.

Nicht zuletzt gilt die Wahl auch als Seismograph für die Region: Wie ­entscheiden sich die Wählerinnen und Wähler in der ältesten, wenn auch ­dysfunktionalen Demokratie der arabischen Welt? Wollen sie mehr Demokratie oder sehnen sie sich nach traditioneller Führerschaft angesichts all der gescheiterten Revolutionen? Der Libanon galt immer als Wahrsager für die Region. Über Jahrzehnte war es das einzige Land, in dem man seine Meinung sagen konnte.

Diesmal aber könnte das Wahlergebnis auch noch mehr als nur eine inter­essante Größe für politische Beobachter sein. Denn es wird sich zeigen, ob die prosyrische Front, insbesondere die Hizbollah, für ihren neuerlichen Machtzuwachs auch Zustimmung bei der Bevölkerung findet.

Die Ergebnisse einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung unter Jungwählern und -wählerinnen deuten ­allerdings darauf hin, dass sich womöglich nicht viel ändern wird. Nur sechs Prozent gaben an, eine der neuen Bürgerparteien wählen zu wollen. Die Wahlentscheidung der großen Mehrheit scheint wie eh und von Loyalität ­gegenüber einer bestimmten Partei oder Familie bestimmt zu werden. Obwohl der Syrien-Konflikt im Wahlkampf eine große Rolle spielt, scheint er bei der Wahlentscheidung eher unwichtig zu sein. Auch das ist nicht neu: Die Libanesinnen und Libanesen interessieren sich zuallererst für den Libanon. Die wichtigsten Themen für die befragten Jungwähler sind die Bewältigung der Arbeitslosigkeit, die Lösung der Flüchtlings-, Wirtschafts- und Wohnraumkrise und Maßnahmen gegen die sich im ganzen Land auftürmenden Müllberge. Immerhin 27 Prozent der Befragten fühlen sich von den alten Parteien nicht vertreten. Darum wagt kaum ­jemand genaue Prognosen.

Bei den etablierten Parteien hat das neue Wahlrecht allerdings bereits für Panik gesorgt. Bis zur letzten Minute wurden Listen erstellt, verworfen und wieder neu zusammengestellt. Diese Listen dürften nun wiederum bei den Wahlberechtigten für Verwirrung sorgen. Denn häufig finden sich politische Widersacher gemeinsam auf einer ­Liste. So tritt in einigen Bezirken Hariris Zukunftspartei zusammen mit der Freien Patriotischen Bewegung des Präsidenten Aoun an. Das ist dem Zusatz im Wahlgesetz geschuldet, dass Wähler auf der von ihnen gewählten Liste ­einen Präferenzkandidaten ankreuzen können, der dann die größten Chancen hat, ins Parlament zu kommen. Wenn Alliierte auf einer gemeinsamen Liste sind, machen sie sich somit gegen­seitig Konkurrenz. Mancherorts muss man nun die Partei wählen, die man am wenigsten mag, wenn man seinen Favoriten unterstützen möchte. Auch das ist etwas ganz Neues.