In den USA streiken Lehrkräfte in mehreren republikanisch regierten Bundesstaaten

Lehrerinnen sehen rot

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Zum Verlust gewerkschaftlicher Repräsentation tragen vielerorts sogenannte right to work-Gesetze bei, die teilweise schon in den vierziger Jahren vornehmlich in republikanisch regierten Bundesstaaten eingeführt wurden. Sie erschweren Gewerkschaften unter anderem, Mitgliedsbeiträge zu erheben, und schränken deren Möglichkeiten ein, Aktionen und Kampagnen zu organisieren sowie Bildungsarbeit zu betreiben. Derzeit gelten in 28 Bundesstaaten right to work-Gesetze. In Indiana, Kentucky, Michigan, West Virginia und Wisconsin wurden sie erst nach der Finanzkrise eingeführt; in Missouri steht ein Referendum darüber noch aus.
Anfang 2018 verloren Lehrkräfte zuerst in West Virginia die Geduld. Nach wochenlangen Auseinandersetzungen wegen steigender Krankenkassenbeiträge und stagnierender Löhne legten sie Anfang Februar ihre Arbeit nieder. Zehntausende beteiligte sich am 17. Februar an einer Demonstration gegen Kürzungen im Gesundheitswesen und lehnten das Angebot des Gouverneurs ab, den Lohn um ein Prozent zu erhöhen. In der Woche darauf folgten Lehrkräfte, Schulbusfahrer, Angestellte der Schulverwaltung und Küchenpersonal in allen 55 Bezirken West Virginias dem Aufruf der Gewerkschaften zum Streik. Die Aktionen gegen Kürzungen im Bildungsbereich waren die ersten Streiks seit 30 Jahren. Gegen die vermeintlichen Sachzwänge knapper Ressourcen forderte die Bewegung ein Ende von Steuervergünstigungen für die Kohleindustrie sowie andere Energiefirmen und Großkonzerne und verband damit ihren Arbeitskampf im Bildungssektor mit allgemeinen verteilungspolitischen Fragen. Nach neun Tagen Arbeitsniederlegung und großen Demonstrationen in der Hauptstadt Charleston siegten die meist weiblichen Streikenden. Im Bundesstaat mit dem landesweit drittniedrigsten Jahreseinkommen pro Haushalt erkämpften sie eine Lohnerhöhung um fünf Prozent und die Zusage für die Bildung einer Kommission, die eine Lösung für die steigenden Krankenkassenbeiträge finden soll.

Die Streiks erreichten große öffentliche Aufmerksamkeit und lösten in anderen Bundesstaaten eine Kettenreaktion aus. Anfang März befürworteten 80 Prozent der Lehrkräfte Oklahomas und 76 Prozent der Eltern von Schulkindern einen Streik, bei dem eine Erhöhung des Jahresgehalts um 10 000 US-Dollar innerhalb von drei Jahren sowie mehr Investitionen in den Schulen gefordert wurden. 30 000 Lehrkräfte beteiligten sich an den Streiks, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes schlossen sich der Bewegung mit eigenen Lohnforderungen an. Nach sieben Tage beendeten die Lehrkräfte am 12. April ihre Arbeitsniederlegung. Sie hatten die Zusage für eine Erhöhung des Jahresgehalts um 6 000 US-Dollar und mehr als 400 Millionen US-Dollar an Investitionen, die durch Steuererhöhungen generiert werden sollen – und das in einem Bundesstaat ohne gesetzlich geregelte Tarifverhandlungen. Vor den anstehenden Wahlen hofft die Bewegung nun, den Verteilungskampf weiterzuführen und die Last auf die Wohlhabenden zu verschieben, zum Beispiel durch die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer und ein Ende der Steuervergünstigungen für Energiefirmen.

Am 2. April legten Tausende Lehrkräfte in Kentucky ihre Arbeit nieder und schlossen damit Schulen in allen 120 Bezirken. Angesichts fehlender gesetzlicher Arbeitnehmerrechte bestand die Arbeitsniederlegung in kollektiven Krankmeldungen. Hauptanlässe der Kampagne waren die Teilprivatisierung des Rentensystems sowie Pläne für untere Einkommen belastende Steuerreformen, die ans Licht gekommen waren. Die republikanische Regierung Kentuckys hatte unter anderem die Einführung einer einheitlichen Einkommenssteuer von fünf Prozent geplant. Zehntausende Demonstrierende gingen in der Hauptstadt Frankfort gegen solche Vorhaben auf die Straße. Bei den Wahlen im November und den Vorwahlen im Mai dürften diese Konflikte eine wich­tige Rolle spielen.

Ende April gingen die Proteste gegen die Austeritätspolitik in den von den Republikanern dominierten Bundesstaaten Colorado und Arizona weiter. Dort hatten Kürzungen dazu geführt, dass der Schulunterricht in vielen Distrikten nur noch an vier Tagen der ­Woche stattfindet und Fächer wie Kunst und Musik sowie andere Angebote ­gestrichen wurden. Viele Lehrerinnen und Lehrer müssen trotz niedriger Einkommen Materialien für den Unterricht selbst kaufen.

Am 26. und 27. April versammelten sich knapp 10 000 Menschen zu einer Demonstration in Denver, der Hauptstadt Colorados. Die Demonstrierenden stellten ebenfalls Verteilungsfragen in den Vordergrund und forderten ein Ende von Steuervergünstigungen für Großkonzerne, um Investitionen in Bildung zu ermöglichen. Eine von der Colorado Education Association unterstützte Wählerinitiative kämpft dafür, die Besteuerung von Jahreseinkommen über 150 000 US-Dollar zu er­höhen.

Arizona ist seit Mitte März in Aufruhr. Dort gehören die Lehrergehälter zu den niedrigsten im ganzen Land, seit 2009 wurden in Arizona mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar an Bildungsausgaben gestrichen. Die neu gegründete Facebook-Gruppe Arizona Educators United zählte nach zehn Tagen bereits 30 000 Mitglieder. In sozialen Medien zeigen sie die schlechten Zustände in den Schulen: vergammelte Schulbücher, kaputte Stühle, Tische und Böden, verschimmelte Wände. Am 26. April demonstrierten 75 000 Menschen in roten T-Shirts unter dem Motto »Red for Ed(ucation)« (Rot für Bildung) in der Hauptstadt Phoenix. Sie forderten eine Lohnerhöhung von 20 Prozent, eine Milliarde US-Dollar an Investitionen sowie kleinere Schulklassen. Am 3. Mai erstritten die Streikenden nach tagelangen Protesten und einer mehrstündigen Senatssitzung eine Lohnerhöhung um 19 Prozent. ­Zudem sollen 400 Millionen US-Dollar an Kürzungen im neuen Haushaltsplan wieder zurückgenommen werden. Viele wollen bis zu den Wahlen im November weiter demonstrieren, damit Großverdiener stärker finanziell in die Pflicht genommen werden.

Die Streikwelle in republikanisch regierten Bundesstaaten inspirierte auch Lehrkräfte andernorts. Wegen eines Streits über Gehalt und Krankenkassenbeiträge legten Mitte April Lehrerinnen und Lehrer in Jersey City für einen Tag die Arbeit nieder – zum ersten Mal seit 20 Jahren. In Puerto Rico wird gegen die Schließung von Schulen gestreikt. Und auch die Situation in North Carolina ist angespannt. Viele Lehrerinnen und Lehrer scheinen mit ihrer Geduld am Ende. Die Streikbewegung erfährt viel Sympathie und Solidarität, sie könnte zur Verbreitung der Forderung nach einer politischen Wende beitragen.