Die kritischen Stücke des Dramatikers Ayad Akhtar zu Islam und Kapitalismus

Schwänke von der Krisenhaftigkeit der Welt

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Das Stück unterscheidet sich von dem Film »The Wolf of Wall Street« dadurch, dass der Finanzkapitalismus nicht nach dem Muster von Entgrenzung und daraus notwendig folgender Beschränkung – also Gier und Maßregelung – interpretiert, sondern der widersprüchlichen Entwicklung des Kapitals selbst nachgespürt wird. Um die in den siebziger Jahren einbrechenden Profitraten zu stabilisieren, waren und sind ­unkonventionelle Methoden geradezu erforderlich, auch um die Stellung der US-amerikanischen Ökonomie im Weltmaßstab zu sichern. In der Folge treffen die Machtansprüche verschiedener Kapitalfraktionen aufeinander, wobei die »alte« Industrie mittels einer patriotischen und mal mehr, mal weniger latent antisemitischen Propaganda ihre Vorherrschaft zu sichern versucht, selbst wenn dies zum Nachteil gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt gerät.

Akhtars Hauptfigur Robert ­Merkin erinnert deutlich an den US-amerikanischen Investmentbanker ­Michael Milken, der als »The Junk Bond King« zu zweifelhaftem Ruhm gelangte. Wie dieser kauft Merkin Schrottanleihen, sogenannnte junk bonds, auf, um angeschlagene ­Unternehmen zu kassieren. »Junk« ist kein Plädoyer für den moralisch eingehegten Kapitalismus, sondern zeigt deutlich, dass der Regelbruch schon immer die Grundlage des Erfolgs im kapitalistischen System war. Merkins Gegenspieler ist der Unternehmer Everson, ein Relikt des ­Industriezeitalters, der nur durch gefälschte Bilanzen verbergen kann, dass Teile seines Imperiums – vor ­allem die Stahlproduktion (also das, was Donald Trump gegenwärtig mit Schutzzöllen zu hätscheln versucht) – inzwischen unprofitabel geworden sind.

Es beginnt ein Ringen um die Übernahme des Unternehmens, in dem Everson unterliegt, der daraufhin antisemitische Ressentiments gegen Merkin hegt. Deutlich wird: Es gibt keine guten und bösen Kapitalisten, es gibt nur über- und unterlegene. »Wir bewegen uns alle auf dem Markt. Reagieren auf ihn. Wachsen mit ihm. Unterliegen seinen Gesetzen. Wer diesen Gesetzen nicht gehorcht, fällt zurück. Wenn er zurückfällt, ­bemerkt man seine Schwäche. Und die Schwachen werden schließlich geschluckt«, sagt Merkin. Und Helden gibt es in »Junk« schon gar nicht, auch eine investigativ recherchierende Journalistin lässt sich am Ende kaufen. Das Stück setzt auf Analyse statt Empörung – mit Erklärungskraft für die Gegenwart. Für Akhtar ist es kein Zufall, dass der »König der Schulden« (Trump über Trump) inzwischen Präsident der USA ist.

Wenn man ökonomische Vorgänge auf die Bühne bringt, stellt sich das Problem, dass man mit einer begrenzten Anzahl von Figuren im Rahmen einer beschränkten Handlung eine überindividuelle gesellschaftliche Struktur darstellen muss – Bertolt Brechts »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« oder Peter Hacks’ »Der Geldgott« sind recht gelungene ­Beispiele für den Umgang mit diesem Problem. »Junk« kann das Problem der Komplexität trotz vieler guter Ideen künstlerisch nicht zufriedenstellend lösen. Im Münchner Residenztheater bekam man Ende April, zwei Wochen nach der deutschsprachigen Erstaufführung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, die Schwächen des Stückes recht deutlich demonstriert. Über 20 Figuren und über 70 Szenen können das Interesse des Publikums am Bühnengeschehen nämlich recht schnell ermatten lassen, wenn die Regie den Stoff nicht zu greifen und künstlerisch zu schärfen vermag.

Die Misere von »Junk« ist eine ­ästhetische, das Stück ist zu sehr einem illustrativen Naturalismus verhaftet. Handlung und Konflikt sind überzeugend gestaltet, doch Figuren und Rede sind nur Abbilder ihrer Vorlagen. Dabei schadet es in der Dramatik nicht, wenn die Charaktere klüger sind als in Wirklichkeit – oder eine stilisierte Sprache pflegen, die der alltäglichen nicht entspricht. Akhtar steht zunächst für einen kritischen Naturalismus auf Grundlage eines soliden dramatischen Handwerks. Die Broadway-Kunst ist weit besser als ihr Ruf. Der Boulevard ist eine Form, von der Welt zu erzählen, und damit das Pendant zu dem Ende letzten Jahres uraufgeführten, sich in selbstreferentiellen Sprachspielen erschöpfenden Trump-Drama »Am Königsweg« von Elfriede Jelinek. Was dem einen an Inhalt fehlt, mangelt dem anderen an Sprache. So bleibt das epochale Drama der Deindustrialisierung des Westens vorerst noch ungeschrieben. Akhtars Ansatz, die Konflikte der Gegenwart als drama­tischen Stoff auf die Bühne zu bringen, ist dennoch vielversprechend.